TV-Talk "Hart aber fair" Auf der Suche nach der Einheit

Düsseldorf · Die Dresdener Demonstranten haben lautstark den diesjährigen Tag der deutschen Einheit begleitet. Statt mit Applaus begrüßten sie Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Pfiffen und Merkel-muss-weg-Rufen. "Hart aber fair" fragt, ob die Ostdeutschen auf die deutsche Einheit pfeifen.

Rechte marschieren in Dresden am Tag der Deutschen Einheit 2016
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Rechte marschieren in Dresden am Tag der Deutschen Einheit

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Foto: dpa, wil tmk

Darum ging's: Frank Plasberg versteht die Welt nicht mehr. "Einheit? Sie pfeifen drauf! Was ist da los, Brüder und Schwestern?", fragt der Moderator aus NRW mit Blick auf Ostdeutschland. Er will wissen, woher die Wut auf das deutsche System, die Verrohung, die Pöbeleien und die Politiker-Verachtung kommen, die die Demonstranten in Dresden gezeigt haben. Gibt es im Osten ein Demokratie-Defizit? Leben in West- und Ostdeutschland eigentlich zwei Völker? Ganz schön viele Fragen, die Plasberg vor der Sendung aufwirft.

Darum ging's wirklich: Es ging zwar immer wieder auch um die Unterschiede zwischen Ost und West, aber am Ende doch eher um die neuen Grenzen in unserer Gesellschaft: Die zwischen "Gutmenschen" und "dem Volk", zwischen strukturschwachen Regionen und Bayern, zwischen AfD und "etablierten Parteien".

  • Matthias Platzeck (SPD), Vorstand des deutsch-russischen Forums und ehemaliger Ministerpräsident des Landes Brandenburg
  • André Poggenburg (AfD), Landesvorsitzender der AfD in Sachsen-Anhalt
  • Iris Gleicke (SPD), Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer; Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie
  • Armin Laschet (CDU), Landesvorsitzender der NRW-CDU
  • Michael Jürgs, Journalist und Buchautor und ehemaliger "stern"-Chefredakteur

Der Frontverlauf: "Ich habe mich dafür geschämt", sagt der Ostdeutsche Matthias Platzeck gleich zu Beginn der Sendung und meint die pöbelnden Demonstranten in Dresden. Pöbeln? Nein, nein, das war lediglich Empörung, findet AfD-Mann Poggenburg. Es entbrennt erst einmal eine hitzige Diskussion, ob "Lügenpack" und "Volksverräter" mehr Pöbelei beinhaltet, als der Stinkefinger, den SPD-Chef Sigmar Gabriel vor einigen Wochen Demonstranten zeigte. Iris Gleicke bilanziert: "Es gibt einen unglaublichen Verlust politischer Kultur." Und damit ist die Runde auch schon bei den Rechtsextremen. Hat sich Ostdeutschland seit der Wende zu einem pöbelnden Nazi-Loch entwickelt? — die Frage schwebt im Raum.

"Die Mehrheit der Ostdeutschen ist weder fremdenfeindlich noch rechtsextrem. Aber es ist eine schweigende Mehrheit, die muss Gesicht zeigen", sagt Gleicke. Gar nicht so einfach, wie ein Film der Plasberg-Redaktion zeigt: Immer mehr Leute berichten, dass ein Bruch durch Freundeskreise und Familien geht. Eine Frau, die in der Flüchtlingshilfe arbeitet, erzählt von einer 15 Jahre aten Freundschaft, die daran zerbrochen sei. Für Platzeck ist klar, dass auch die AfD eine Mitschuld an diesen Entwicklungen trägt: "Sie erkennen nicht die Verantwortung, die Sie haben", sagt er zu AfD-Mann Poggenburg. Die AfD setze Dinge in Bewegung, "das kriegt man am Ende nicht mehr eingefangen." Er bezieht sich auf Pegida.

Nach einer kleinen Runde AfD-Bashing - die gehört bei politischen Talkshows mit AfD-Gast inzwischen dazu - kommt die Runde zum Kernthema zurück: Die deutsche Einheit sei für Ostdeutschland ein extrem einschneidendes Erlebnis, ein "Zusammenbruch" gewesen, betont Platzeck schon zu Beginn. "Außer den vier Jahreszeiten ist für die Menschen nichts gleichgeblieben." Was seither passiert sei im Osten, sähen selbst die Ostdeutschen oft nicht. "Wir brauchen mehr ostdeutsches Selbstbewusstsein", sagt Platzeck.

Die Stimmung im Osten führt laut Gleicke inzwischen dazu, dass Unternehmen und Fachkräfte fernbleiben. "Die, die ihre Heimat angeblich so lieben, setzten sie aufs Spiel." Doch woher kommt die ganze Wut? Ist sie eine Art Spätfolge der DDR? "Im Osten herrscht noch ein anderes Staatsverständnis" erklärt Platzeck. In der DDR hätten sich die Leute auf den Staat verlassen. Als man im vergangenen Jahr merkte, dass der Staat mit der Flüchtlingskrise nicht immer alles fest im Griff habe, seien viele unsicher geworden. "Man kann nicht 26 Jahre nach der deutschen Einheit alles auf die DDR schieben", widerspricht Gleicke. Sie sieht Handlungsbedarf bei der Förderung strukturschwacher Regionen, "egal ob Ost oder West". Laschet pflichtet ihr bei: "Es gibt im Osten eine Infrastruktur, von der Sie im Westen nur träumen können." In Leverkusen, sagt er, komme man noch nicht mal mehr über den Rhein.

Spruch des Abends: "Auch im Osten muss man lernen, dass Freiheit eine Geliebte ist, die jeden Tag neu erobert werden muss — und nicht nur einmal 1989 und der Rest wird schon irgendwie kommen." (Michael Jürgs)

Erkenntnis: Die Lösung für den Osten: mehr Selbstbewusstsein. Die Deutschen (Ost und West) müssen endlich sehen, was in den neuen Bundesländern alles geschafft wurde. Außerdem sollten die Deutschen zufriedener mit ihrem Land sein. Es ist ein schönes, reiches Land — wenn alle das erkennen, wird alles wieder gut.

(rpo)
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