Pflegedebatte bei "Hart aber fair" "Wer zu Hause pflegt, ist in der Armutsfalle"

Düsseldorf · Das Thema Pflege geht irgendwann jeden an. Schon jetzt ist die Situation in den Heimen und zu Hause fatal. Frank Plasberg suchte mit seinen Gästen nach einer Lösung – deshalb ging der Blick am Ende in den Norden.

Das Thema Pflege geht irgendwann jeden an. Schon jetzt ist die Situation in den Heimen und zu Hause fatal. Frank Plasberg suchte mit seinen Gästen nach einer Lösung — deshalb ging der Blick am Ende in den Norden.

Darum ging's

"Waschen, pflegen, trösten — wer kümmert sich um uns, wenn wir alt sind?" Diese Frage stellte Moderator Frank Plasberg seinen Gästen im Studio. Seit Jahren ist die Situation in der Pflege extrem schwierig. Zu wenige Menschen wollen überhaupt Pfleger werden. Wie kommen wir da nur wieder heraus?

Darum ging‘s wirklich

Plasberg versprach zu Beginn einen "Blick in die Zukunft" — und doch blieb die Diskussion oft in der Gegenwart und der Vergangenheit hängen. Wer ist eigentlich schuld an den Missständen, was wurde falsch gemacht? Am Ende wurden nur wenige Lösungen angeboten.

Die Runde

  • Eckart von Hirschhausen — Mediziner, Autor und Moderator
  • Karl Lauterbach — SPD-Bundestagsabgeordneter und -Gesundheitsexperte
  • Bernd Meurer — Betreiber dreier Pflegeheime, Präsident des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste
  • Anette Dowideit — Journalistin, unter anderem im Investigativteam von "Welt/N24", Spezialgebiete Gesundheits- und Pflegebranche
  • Ante Caljkusic — Altenpfleger, Dozent für Auszubildende in der Pflege
  • Susanne Hallermann — Interessenvertretung pflegender Angehöriger "wir pflegen e.V."

Frontverlauf

Die Runde ist sich schnell einig: Ins Pflegeheim will niemand gern. "Mit Einzug in Heim ändert sich radikal vieles", erklärt Pfleger Caljkusic. "Das geht morgens schon los. Wir haben alle unser eigenes Morgenritual", sagt er. Wer zum Beispiel erst mal im Schlafanzug frühstückt und sich dann wäscht, der müsse sich im Heim umstellen. "Mir ist nicht ein Fall bekannt, bei dem jemand im Morgenmantel am Frühstückstisch saß." Der Verlust von Selbstbestimmung, Individualität und Privatsphäre ist für viele eine Horrorvorstellung. Auch der Heimbetreiber Meurer sagt: "Das Heim steht am Ende einer Versorgungskette." Wenn nichts mehr geht, geht's ins Heim.

Auch deshalb sind wohl nur 27 Prozent der Pflegebedürftigen in Deutschland im Heim. Der Rest wird zu Hause von Angehörigen und ambulanten Pflegediensten betreut. In den Heimen, so zeigt eine Untersuchung, komme es immer wieder auch dazu, dass gegen den Willen der Bewohner gehandelt wird. "Die Pflegekräfte sind einem System ausgeliefert, das die Gewalt provoziert. Ich bin fassungslos, dass die Politik diese Situation nicht verändert", sagt Pfleger Caljkusic. Gewalt komme immer von Überforderung, sagt die Journalistin Dowideit. Viele Stellen in den Heimen seien nicht besetzt, was zu Stress führe.

Das stimmt: 14.500 Stellen in der Pflegebranchen gelten derzeit als unbesetzt — einen so großen Fachkräftemangel gebe es in keiner anderen Branche, hat Plasbergs Redaktion recherchiert. Und es wird noch schlimmer: Laut SPD-Politiker Lauterbach werden in den kommenden zehn Jahren weitere 200.000 bis 300.000 Pflegekräfte benötigt. Woher die kommen sollen? Lauterbach will den Beitrag zur Pflegeversicherung erhöhen, damit in der Branche zumindest bessere Löhne gezahlt werden können. "Ohne bessere Bezahlung werden wir diese Menschen nicht bekommen", sagt er.

Die Alternative: Menschen werden zu Hause gepflegt. Studiogast Susanne Hallermann hat das gemacht und mehrere Jahre ihre Oma gepflegt. Weil sie erst die Stundenzahl im Job reduzierte und dann kündigte, rutschte sie ab in Hartz 4. "Wer zu Hause pflegt, ist in der Armutsfalle", sagt sie. "Das ist diskriminierend und gesellschaftlich fatal." Auch in diesem Bereich will SPD-Mann Lauterbach mehr Geld verteilen. Und ein Rückkehrrecht in Vollzeitbeschäftigung ähnlich wie bei der Elternzeit garantieren. Man merkt schnell: Es ist Wahlkampfzeit.

Sicher, das Pflegesystem braucht mehr Geld. Nur was kann sonst noch getan werden? Arzt von Hirschhausen will Mehrgenerationenhäuser fördern, Profis und Ehrenamtler enger verknüpfen. Pfleger Caljkusic schlägt vor, die Pflege wieder in öffentliche Hand zu geben: "Warum muss in Deutschland mit Gesundheit und Pflege Geld verdient werden?" In skandinavischen Ländern würden Heime und Krankenhäuser vom Steuerzahler getragen werden, dort laufe es besser. Der zu Sendungsanfang versprochene Blick in die Zukunft geht also gen Norden.

Satz des Abends

Eckhart von Hirschhausen: "Wir haben den Berufsstand in den letzten 20 Jahren gegen die Wand fahren lassen. Wenn Piloten streiken, kommt man ein paar Tage nicht von A nach B. Ohne Pfleger kommt man nicht vom Bett auf‘s Klo — und das ist viel schlimmer."

Fazit

Am Ende ist alles ganz einfach: Ein Großteil der Menschen, die ins Heim kommen, sind dement oder haben eine Vorstufe von Demenz. Wer also nicht ins Heim will, sollte nicht dement werden. Einfacher gesagt als getan? Angeblich, so sagte es Eckhart von Hirschhausen in der Sendung, ist erwiesenermaßen das beste Mittel gegen Demenz das Tanzen. Also ab auf die Tanzfläche!

(mre)
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