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Interview "Ich war schon 70-mal beim Arbeitsamt"

Düsseldorf · Vielen Schauspielern bleibt in der Sommerpause der Gang zum Amt nicht erspart. Existenzangst kennt auch Heinrich Schafmeister.

Heinrich Schafmeister (57) ist Schauspieler und Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Schauspiel (BFFS). Für ihn gehört Existenzangst zum Beruf.

Was bedeutet die nun eingeläutete Sommerpause für die Schauspieler?

Heinrich Schafmeister Der Sommer ist ideal zum Drehen. Doch die Sender drehen weniger fiktionale Sendungen, die knapper budgetiert werden. Die Drehtage werden weniger, dafür länger, um Kosten zu sparen. Für einen "Tatort" werden 21 Drehtage angesetzt. Wenn ich als Hauptrolle zehn habe, ist das schon doll. Man muss sich das wie einen Eisberg vorstellen: Sie sehen die Spitze, doch die meiste Arbeit liegt unter Wasser.

Das heißt konkret?

Schafmeister Wir werden je Drehtag bezahlt. Die meiste Arbeit aber findet vor den Drehtagen statt. Man erwartet, dass ich vorbereitet zum Set komme, meinen Text kenne, das Kostüm sitzt. Hinter jedem Drehtag steckt eine Woche Arbeit.

War das früher anders?

Schafmeister Früher wurde am Set mehr schauspielerisch geprobt. Das findet jetzt kaum statt, weil das gar nicht finanzierbar ist.

Verdienen Schauspieler nicht viel?

Schafmeister Die Leute glauben, wir bekommen so viel Geld pro Tag. Das stimmt aber nicht. Mein Vater war Richter. "Du verdienst aber gut pro Drehtag", hat er mal zu mir gesagt. Da hab ich gesagt: "Wie viele Sitzungstage hattest du diesen Monat?" "Vier", antwortet er. "Ach, du verdienst aber viel pro Sitzungstag." "Nee, was meinst du, ich muss ja die ganzen Akten vorbereiten." "Eben", sag ich. Die eigentliche Arbeit ist Zuhause, auch für Schauspieler.

Wie viele Schauspieler gibt es in Deutschland, und was verdienen sie?

Schafmeister Es gibt etwa 15 000. Rund zwei Drittel davon haben Theater-Engagements und synchronisieren. Laut einer wissenschaftlichen Studie von 2010 verdienen 4,7 Prozent mehr als 100 000 Euro brutto. Mehr als die Hälfte verdient weniger als 20 000 Euro brutto. Wir haben jetzt den Schauspieltarifvertrag durchgesetzt. Damit ist eine Einstiegsgage festgelegt, die auch Berufseinsteiger bekommen sollten. Was angemessen ist für die erfahrenen Schauspieler, das ist Verhandlungssache.

Wie oft müssen sich Schauspieler denn arbeitslos melden?

Schafmeister Ich war in meinem Leben schon 70-mal beim Arbeitsamt. Ich muss es machen, ob ich die Stütze brauche oder nicht. Wegen der Rente. Es gibt hier keine unbefristet angestellten Schauspieler. Dauert ein Dreh 20 Tage, können wir nur 20 Tage beschäftigt sein. Solche Strukturen hatte der Gesetzgeber nicht auf dem Schirm. Wir zahlen ein ins Sozialversicherungssystem, bekommen aber kaum was raus.

Warum nicht?

Schafmeister Ich drehe ab Mitte Juli einen Rosamunde-Pilcher-Film - also ich muss jetzt nicht jammern. Meine Beschäftigung wird aber maximal vier Wochen sein. Letztens hab ich eine "Soko" gedreht und war eine Woche versichert. Da komme ich nie auf die Zeit, die ich brauche, um Anspruch auf Arbeitslosengeld I zu haben. Ich melde mich dann also arbeitslos ohne Leistungsbezug.

Also direkt Hartz IV?

Schafmeister Da kommen die nächsten Schwierigkeiten. Wenn du in einer Maßnahme steckst und dann kommt ein Drehangebot rein, dann willst du raus und Geld verdienen. Aber das Amt sagt: "Das geht nicht, der Dreh ist befristet, das muss schon etwas Unbefristetes sein." Mit anderen Worten: Du würdest in deinen Beruf nicht mehr zurückkommen.

Schreiben Sie Bewerbungen?

Schafmeister Das wäre der beste Weg, garantiert kein Angebot zu bekommen (lacht). Der Bewerbungsgang führt über den roten Teppich. Dort kann übrigens nur sein, wer gerade nicht dreht. Nicht falsch verstehen, man muss sich jetzt nicht gleich bei jedem Sorgen machen. Schauspieler sind Optimisten, fröhliche Menschen, sonst hätten wir den Beruf nicht gewählt. Nur wenn wir wirtschaftlich denken, sieht es schlecht aus. Die Gehälter haben sich in den vergangenen Jahren halbiert.

Mal ans Aufhören gedacht?

Schafmeister Den Gedanken kennt jeder Schauspieler. Existenzangst gehört dazu. Man fragt sich: Bekomme ich den Kühlschrank nächste Woche voll? Wenn ich "normale" Leute reden höre - irre: Die planen ihren Urlaub ein Jahr im Voraus und wissen, dass sie dann Zeit haben und das bezahlen können. Ich kann das nicht.

Also am besten gar nicht erst Schauspieler werden?

Schafmeister Schauspielerei ist der schönste Beruf der Welt - den man nicht weiterempfehlen kann (lacht). Es wird immer Schauspieler geben - auch wenn die wirtschaftliche Lage nicht gut ist.

Was muss sich von Seiten der Politik verbessern?

Schafmeister Es muss sich im Bewusstsein etwas ändern. Die Politik muss noch mehr wahrnehmen, dass die Menschen heute anders beschäftigt sind. Das gilt nicht nur für Schauspieler. Und die Öffentlich-rechtlichen müssen verstehen, welch wichtigen - auch kulturellen - Auftrag sie als neutrales Medium haben. Die Gebühren steigen - ich frage mich auch, wo alles hingeht, aber bei der Produktion kommt immer weniger Geld an.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE JESSICA KUSCHNIK

(RP)
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