"Homeschooling" Ein Klassenzimmer zu Hause

Berlin · Eine Arte-Doku zeigt deutsche und französische Familien, die sich für das "Homeschooling" entschieden haben.

Es ist ein Satz, der in deutschen Schulklassen Neid auslösen dürfte: "Saskian Woods ist 14 Jahre alt und noch keinen Tag in seinem Leben zur Schule gegangen." Mit ihm beginnt die Dokumentation "Freilerner" auf Arte. Sie stellt die Situation von Familien in Frankreich und Deutschland gegenüber, die ihre Kinder lieber selbst unterrichten, als sich auf staatliche Bildungsangebote zu verlassen.

Ein Gutshof in Nordrhein-Westfalen und ein moderner Zwei-Verdiener-Haushalt im französischen Montpellier: Es sind keine religiösen Dogmatiker und keine "Outlaws", die Autor Klaus Balzer in ihrem Ringen um selbstbestimmte Bildung begleitet. Es sind Familien mit finanziellen und intellektuellen Ressourcen, die für ihre Kinder das wollen, was sie für die bestmögliche Bildung halten: Diese sollen ihren Interessen folgen, Lerntempo und Unterrichtsinhalte selbst bestimmen.

20.000 Schüler werden in Frankreich laut Balzers Recherche zu Hause unterrichtet - ganz legal. Die Eltern der rund 1000 Kinder in Deutschland riskieren harte Strafen bis hin zum Sorgerechtsentzug, weil hier Schulpflicht herrscht. In offiziellen Schul-Statistiken tauchen die Familien naturgemäß nicht auf.

Zahlen kann auf Anfrage weder die Kultusministerkonferenz noch das Bildungsministerium nennen. "Wir glauben, dass das in Deutschland absolute Ausnahmefälle sind", sagt Ilka Hoffmann von der Gewerkschaft Erziehung und Bildung (GEW). "Es sind meist sehr religiöse Eltern oder Menschen aus bildungsbürgerlichen Milieus, die eine Lobby haben und deshalb überproportional in den Medien vertreten sind."

Während die Eltern von Mats, Minou und Leo in Deutschland auf behördlichen Widerstand stoßen, scheint die Rechnung bei Familie Woods in Montpellier aufzugehen: Saskian bringt gute Leistungen, singt in einem Opernchor und arbeitet während der Aufnahmen zur Dokumentation an seinem zweiten eigenen Kurzfilm. Sein älterer Bruder Tommy interessiert sich seit der Kindheit für Operetten, studiert Musik und erklärt als Nachhilfelehrer einem jungen Mann, der älter aussieht als er, die korrekte Aussprache englischer Wortendungen. Zukunftsängste sind beiden Brüdern fremd.

Einmal jährlich muss Saskian einen Leistungstest ablegen. Überzeugt das Ergebnis die Behörden, darf er weiter selbst über seine Bildung bestimmen. Bleiben Fortschritte aus, kann ihn der Staat doch zum Schulbesuch zwingen. Bislang wurde nichts beanstandet. "Sobald sie einmal loslegen, sind sie nicht mehr zu bremsen", beschreibt Mutter Allison Woods.

Bei der deutschen Familie ist es komplizierter. Mats (8), der sich laut Mutter selbst das Lesen beigebracht hat und zu Hause beim Tischkickern gegen Mutter Dominique mit viel Freude "soft-skills" wie den Umgang mit Frustrationen lernt, geht nach zwei Jahren Heimunterricht auf Drängen der Schulbehörde jetzt doch zur Schule - und hat dafür kaum Verständnis: "Ich werde auf jeden Fall weiterkämpfen bis zum Ende. Bis sie kapiert haben, dass Schule blöd ist", sagt der Achtjährige. Was auch Mats am Schulbesuch gefällt: der Kontakt zu Gleichaltrigen, der nach Ansicht der GEW ein wesentlicher Bestandteil des sozialen Lernens ist, das Schulen möglich machen.

Was in beiden Ländern gleich ist: Die Freiheit, Lust und Interesse der Kinder mittels Hausunterricht über einen staatlichen Lehrplan zu stellen, muss erkauft werden. Es gibt keine finanzielle Unterstützung für Familien, die zu Hause unterrichten. Die Qualität der Bildung hängt entscheidend vom Bildungsgrad und vom Geldbeutel der Eltern ab, nicht zuletzt, weil die Entscheidung in Deutschland im Regelfall von Staatsanwälten angefochten wird. Doch auch im deutschen Regelschulsystem gibt es einen starken Zusammenhang zwischen dem Erfolg der Kinder und dem Bildungsgrad und Einkommen der Eltern.

Dokumentation "Freilerner", Arte, 19.40 Uhr

(dpa)
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