TV-Talk mit Maybrit Illner zum Jahresrückblick Selbst Thomas Gottschalk fühlt sich unsicher

Düsseldorf · Donald Trump wird der nächste US-Präsident, die Briten haben für den Brexit gestimmt, und die Türkei entfernt sich zunehmend von der Demokratie. Maybrit Illner diskutierte in ihrem Jahresrückblick, wie 2016 die Menschen verändert hat.

Darum ging's

Das vergangene Jahr hat gezeigt, dass Politiker durch Populismus Wahlen gewinnen können, dass Fakten für viele Menschen nicht zählen, und in den Sozialen Medien mit Hetze Meinung gemacht wird. Deshalb analysierten Maybrit Illners Gäste, wie diese Wut zustande kommt und was das Jahr 2016 für unsere Werte und den Begriff Wahrheit bedeutet.

Darum ging es wirklich

Donald Trump dominierte Illners Jahresrückblick. Wie konnte er die Wahl gewinnen? Was haben wir nun zu befürchten? Und wie schafft er es, die Menschen in den Sozialen Netzwerken mit Lügen und Hass für sich zu gewinnen? Überhaupt ging es bei dem TV-Talk vor allem um den Einfluss des Internets auf die öffentliche Meinung und Wahrnehmung von Wahrheiten.

Die Gäste

  • Thomas Gottschalk, Moderator und Entertainer
  • Sineb al Masrar, Journalistin und Autorin des Buchs "Muslim Girls"
  • Sascha Lobo, Blogger und Social-Media-Experte
  • Sylke Tempel, Außenpolitik-Expertin und Chefredakteurin der Zeitschrift "Internationale Politik"
  • Franziska Giffey, Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Neukölln

Frontverlauf

"Das Jahr 2016 ist fast zu Ende. Es brachte nicht das Ende der Welt und nicht das der Geschichte, aber es brachte das Ende vieler Gewissheiten", mit dieser Einleitung setzte Moderatorin Maybrit Illner den Leitfaden für ihren Jahresrückblick. Was ist nach diesem Jahr noch sicher? Was hat es mit unserem Wahrheitsempfinden gemacht?

Und schon war Illner bei Donald Trump. Dass der Immobilienmilliardär nicht US-Präsident werde, da seien sich alle sicher gewesen, sagte Illner. Er wurde es doch. Thomas Gottschalk — ein ausgewiesener USA-Kenner — berichtete, dass bei der Wahlparty in New York das Entsetzen der deutschen Gäste deutlich größer gewesen sei als das der Einheimischen. "Die Amerikaner sind extreme Meinungen im Fernsehen gewohnt", sagte der Entertainer. Außerdem würden sie die Politik nicht so sehr als treibende Kraft in ihr Leben einbinden wie Deutsche.

Dass die Wahl von Trump dennoch eine neue Qualität in die amerikanische Politik bringe, analysierten dann Journalistin Sylke Tempel und Sascha Lobo. Mit Trump komme jemand auf eine Weise ins Weiße Haus, die sich zuvor kein Kandidat hätte erlauben dürfen, sagte Tempel — mit klaren Lügen, Frauenverachtung und Scherzen über Veteranen.

"In Sozialen Medien agiert er, als sei er nicht zum Präsidenten gewählt worden, sondern zum König und zwar für immer. Das ist eine neue Qualität", sagte Lobo. Trump habe mit seinen Millionen Followern beim Kurznachrichtendienst Twitter die Möglichkeit, einen Hetz-Mob auf den Weg zu schicken, was er bereits mehrfach bei Kritikern gemacht habe, sagte Lobo. Inzwischen könne er sich sogar vorstellen, dass kriegerische Handlungen über Twitter ausgelöst werden, sagte der Social-Media-Experte.

Trumps Erfolg unter den Migranten erklärte Sineb al Masrar mit sozialen Ungerechtigkeiten. Für viele sei es schwierig von dem zu leben, was sie verdienen. Daher hätten sie mit Trump etwas Neues versuchen wollen, denn die etablierten Politiker hätten ihre Lebenssituation bisher nicht verbessert. "Das Jahr 2016 war ein maximaler Warnschuss vor den Bug der Eliten, nicht nur für Politiker", sagte Lobo. Man müsse sich nun fragen, warum die Menschen so skeptisch gegenüber den Elite sind. "Die Politik muss auf Schieflagen in der Bevölkerung eingehen", forderte al Masrar auch mit Blick auf Deutschland.

"Müssen wir ein Zeitalter der autoritären starken Männer befürchten?", fragte Illner denn auch. Tempel betonte, dass wir uns darin geirrt hätten, dass die Demokratie auf dem Vormarsch sei. Erst jetzt merke man, dass es Werte gibt, die es zu verteidigen gilt. Für die komplexe Lage sei es nicht einfach, Lösungen zu finden, sagte sie.

Aus der Praxis konnte Franziska Giffey, Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Neukölln berichten. Sie berichtete über die Problematik von Fremdenhass und Fehlinformationen in Deutschland. Um überhaupt sozialen Frieden zu wahren, sei wichtig, dass Menschen sich sicher fühlten. Oft gehe es bei Vorurteilen um Verlustangst. "Wenn ich die Menschen frage, antworten viele: 'Eigentlich geht es mir ganz gut, aber ich weiß ja nicht, was noch kommt'", sagte Giffey. Das subjektive Sicherheitsgefühl habe 2016 stark abgenommen. Das beginne bei der U-Bahnfahrt und gehe mit der Frage weiter, wie man seine Miete zahlen könne.

Selbst Thomas Gottschalk spüre diese Unsicherheit, sagte er. Keine existentielle Unsicherheit, aber er stelle sich die Frage, auf was er sich verlassen könne, was wahr ist und was nicht. "Das Koordinatensystem, das ich hatte, ist mir ein bischen verrutscht", sagte der Moderator. "Und ich sehe weder in den Medien noch in der Politik jemanden, der mir das erklärt." Viele Menschen seien nicht voller Hass, sondern ratlos. "Helft mir, wo kann ich mich orientieren?", fragte Gottschalk mit Blick auf die unübersichtliche Informationslage im Internet.

Populisten würden vorgeben, Antworten auf die Fragen der Menschen zu haben, die Politik und Medien nicht beantworten. Deshalb seien sie so gefährlich. "Denn sich abriegeln ist keine Antwort", sagte Tempel. Das Netz sei zudem wie gemacht für Aktionen, die man nicht zuordnen könne. Es koste viel Mühe herauszufinden, wer hinter Informationen stecke. Diese Mühen würden sich viele nicht machen, sagte Lobo. Gleichzeitig gehe es vielen nicht mehr um Fakten, sondern um Emotionen. "Bei Reichsbürgern kann man einen Container Fakten vorbringen, das wird nichts ändern", sagte auch al Masrar.

Giffey stelle in ihrem Bezirk ebenfalls fest, dass die AfD Erfolg habe, sagte sie. Der Grund: Die Menschen würden glauben, dass endlich jemand durchgreife. Sie selbst führt ein Online-Tagebuch bei Facebook und diskutiere dort mit Kritikern. "Wenn ich versuche, in die Tiefe zu gehen, wird es bei vielen Beschimpfern schnell ganz irdisch", sagt sie. Lobo ergänzte: "Manchmal wird es aber auch unterirdisch."

Fazit

Am Ende waren sich Illners Talk-Gäste einig, dass 2016 uns lehren müsse, den Lügen und der Hetze im Internet Tatsachen und Antworten entgegen zu stellen. "Wir haben aber noch nicht herausgefunden, wie wir richtig mit dieser neuen fünften Gewalt umgehen", sagte Lobo.

Zitat des Tages

"Es gibt Leute da draußen, die glauben, dass zwei Stunden Surfen auf obskuren Webseiten schon genügen. Dann erzählen sie einem, dass man keine Ahnung hat, obwohl man sich den ganzen Tag mit Politik beschäftigt."
Sylke Tempel

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