Maischbergers Jahresrückblick "Meine Oma würde sagen: Das gehört sich nicht"

Düsseldorf · Statt dem "Ende der Welt" brachte 2017 die G20-Krawalle in Hamburg, die #Metoo-Debatte und die Ehe für alle. War es ein gutes oder ein schlechtes Jahr? Darüber diskutiert Sandra Maischberger mit ihren Gästen - und kurz geht es auch um Provokationen in der Werbung.

Darum ging's

Als "Panikjahr" habe sich 2017 angekündigt, sagt Sandra Maischberger. Jetzt will sie wissen, was daraus geworden ist. Ist Trump doch keine Gefahr für die Welt? Sind die Populisten trotz der Wahlerfolge der AfD wirklich auf dem Rückzug? Haben die Volksparteien ausgedient, auch wenn Union und SPD wieder eine Regierung bilden könnten? Wer ist Gewinner, wer Verlierer des Jahres?

Darum ging's wirklich

Die Runde ohne Politiker muss sich durch einen gut gefüllten Themenkorb arbeiten: Sechs Medienleute, eine Drag Queen und eine Schauspielerin diskutieren über Trump, den G20-Gipfel und Erdogan. Es kommen auch die #Metoo-Kampagne, Blasphemie, die Ehe für Alle, die AfD und Martin Schulz auf den Tisch. Kein langweiliges Menü.

Die Gäste

  • Peter Hahne, Fernsehmoderator und Autor
  • Olivia Jones, Entertainerin und Drag-Queen
  • Günter Wallraff, Reporter
  • Sophia Thomalla, Schauspielerin
  • Astrid Frohloff, ARD-Fernsehjournalistin
  • Markus Feldenkirchen, "Spiegel"-Autor

Frontverlauf

Das "Ende der Welt", wie ein Spiegeltitel zum Jahresbeginn ankündigte, brachte 2017 offensichtlich nicht. Dafür reichlich andere Themen, und die knöpfte sich Sandra Maischberger mit ihren Gästen häppchenweise vor.

Der G20 in Hamburg "ist zu groß geworden"

"Hamburg war mit Sicherheit der falsche Standort für dieses Treffen", fasst die Journalistin Astrid Frohloff ihren Blick auf die Eskalationen und den Gipfel in der Hansestadt zusammen. Die Talk-Runde stimmt zu. Abgesehen von massiven Fehlentscheidungen in jeder Phase der Veranstaltung müsse man sich nach Ansicht der ARD-Frau aber auch die Ursachen der Gewalt noch einmal in Ruhe anschauen.

Der lange Prozess der Entscheidungsfindungen, der hinter einem solchen Gipfel stehe, sei vielen Menschen nicht klar. "Dieser Gipfel ist zu groß geworden. Das kann man anders machen." Auch Olivia Jones, die Hamburg während des G20-Gipfels vorsichtshalber verlassen hatte, würde das nächste Treffen dieser Art gern anderswo sehen: "Vielleicht auf einem Kreuzfahrtschiff oder einer Hallig."

Dicke Bücher für die Türkei-Reise

Ein "höchst unglückliches Jahr" war 2017 nach Ansicht von Markus Feldenkirchen für das deutsch-türkische Verhältnis. Der "Spiegel"-Autor prangert die Paradoxie an, dass die Türkei in Deutschland für ein freiheitseinschränkendes Referendum werben durfte. Peter Hahne findet, der unberechenbare Diktator mache Deutschland erpressbar.

Günter Wallraff hat seine eigene Strategie: Für seine anstehende Reise in die Türkei packt er einen Schwung dicker Bücher ein — Lektüre, falls er inhaftiert wird. Der Journalist, der zwei Jahre undercover als "Türke Ali" in Deutschland lebte, will in der Türkei Prozesse begleiten und Solidarität mit den dort inhaftierten Journalisten zeigen. "Es gibt Situationen, da ist das Gefängnis der anständigste Ort in einem Staat."

Angst vor Trumps Selbstherrlichkeit

Ex-ZDF-Moderator Peter Hahne erinnert daran, das 67 Prozent der US-Wähler in der Provinz leben - "die denken anders" als die Leute in den Metropolen, sagt Hahne. "Während wir uns über seine Twitter-Nachrichten aufregen", besetze Trump Gerichte neu und ziehe seine außenpolitischen Entscheidungen durch. Wallraff hofft, dass das "demokratische Amerika" den US-Präsidenten rechtzeitig stoppe, bevor der selbstherrliche Trump die Welt in Gefahr bringe.

Auch Feldenkirchen beobachtet das Wirken des 71-Jährigen weiter mit Sorge. Er hält den US-Präsidenten für jemanden, der sich für unbesiegbar hält, weil er "schon als junger Schnösel" erlebt habe, dass er mit allem davonkomme. Er habe gelernt, sich irgendwie mit den Kräften in Washington zu arrangieren. "Das einzige, worauf er empfindlich reagiert, ist seine Verbindung zu Russland."

#Metoo-Kampagne - zu spät oder zu hysterisch?

Sophia Thomalla kritisiert die Kampagne, in der Frauen gegen sexuelle Übergriffe und Belästigungen protestieren. Sie findet, Frauen, die vor 20 Jahren belästigt wurden, hätten auch damals schon mal den Mund aufmachen können. Feldenkirchen ist anderer Meinung: "Vielleicht mussten die ja erstmal den Mut entwickeln, sich zu äußern." Frohloff findet, "die Debatte wird zu hysterisch geführt". Es werde zu viel vermengt: Vergewaltigung, Anmache und Anzüglichkeiten würden unter dem #Metoo-Logo in einen Topf geworfen. Eine so wütend geführte Debatte könne auch umkippen.

Journalist Feldenkirchen widerspricht: "Die Klammer für alle bekannt gewordenen Vorwürfe ist Machtmissbrauch". Natürlich gebe es enorme Unterschiede zwischen der "Hand auf dem Knie" und einer Vergewaltigung. Dennoch sei die Debatte ,die die Kampagne angestoßen habe, wichtig, weil sie zu "gesellschaftlicher Bewusstseinsmachung" beitrage. Motto: besser mal übertreiben, als wenn alle weiter schweigen.

Sophia Thomallas jüngster Model-Job - sie ließ sich als weiblicher Jesus für eine Lottogesellschaft ans Kreuz schlagen - bekommt nicht viel Platz im Talk, auch wenn Maischberger ihn gern als Auftakt zu einer "Blasphemie"-Diskussion sähe. "Ausgeleiert und ein blöder Gag", kanzelt Wallraff ab. Hahne erbost sich schon etwas mehr: "Es muss uns doch auch ein bisschen was heilig sein." Meine Oma würde sagen: Das gehört sich nicht."

Die "Ehe für alle" und die AfD

Die "Ehe für alle"-Entscheidung krönt Maischberger zum "Gesetz des Jahres". Drag Queen Olivia Jones findet, es bleibe trotz des Gewinns für Schwule und Lesben eine Menge im Bereich der Gleichberechtigung in der Gesellschaft zu verbessern. Feldenkirchen sagt, eine große gesellschaftliche Reform "sei noch nie so verhuscht und zufällig verstolpert daher gekommen". Maischbergers These, Angela Merkel habe mit der gleichgeschlechtlichen Ehe Tafelsilber der CDU über Bord geworfen und nebenbei die AfD stark gemacht, geht der Runde zu weit.

Wallraff hofft, einen Teil der AfD-Wähler wieder zurückzuholen - durch Argumente und neue Inhalte. Hahne klagt, Politiker und Medienleute lebten in einer Parallelgesellschaft. Seiner Ansicht nach gibt es "in Berlin keinen Polizisten, der die AfD nicht gewählt hat". Auf der anderen Seite stünde eine verlogene Elite, die mit zweierlei Maß messe, einerseits Multikulti preise, dann aber ihre Kinder in die Schule mit geringerem Ausländeranteil schickten.

Frohloff gibt ihm teilweise recht. Die AfD habe Stimmungen im Volk aufgefangen, die andere Parteien nicht interessierten. Die etablierten Parteien hätten vergessen, was die Leute beschäftige, sie säßen im "Raumschiff Berlin, aus dem sie auch mal runter gucken" müssten.

Ist Schulz der Verlierer des Jahres?

In einer umfangreichen Reportage beschreibt Markus Feldenkirchen im "Spiegel" auch die verletzlichen Seiten von SPD-Kandidat Martin Schulz. Die Kollegen loben die Nahaufnahme als "großartig" und "einzigartig". Hahne geht soweit zu sagen, dass das Stück vor der Wahl hätte veröffentlicht werden sollen. Die Reportage hätte Schulz nicht demontiert, sondern als Politiker gezeigt, der auch mal Fehler eingestehen könne. Davon könne man künftig mehr gebrauchen.

(juju)
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