Interview mit Jürgen Domian "Würde gerne eine TV-Talkshow moderieren"

Köln · Vor 20 Jahren ging er mit seinem Talk bei Einslive auf Sendung – Ende 2016 hört er auf. Im Interview mit unserer Redaktion spricht Domian über Tabus, schlaflose Nächte und die Zukunft.

Die 11 skurrilsten Anrufe bei Domian
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Foto: Screenshot: Youtube

Vor 20 Jahren ging er mit seinem Talk bei Einslive auf Sendung — Ende 2016 hört er auf. Im Interview mit unserer Redaktion spricht Domian über Tabus, schlaflose Nächte und die Zukunft.

Seit dem 3. April 1995 ist Jürgen Domian Nacht-Talker beim Radiosender Einslive. In dieser Woche feiern der 57-Jährige und der Sender Jubiläum. Die vergangenen 20 Jahren haben beide geprägt - vor allem die Sendung des Moderators sorgte für kuriose, skandalöse und rührende Momente.

Twitter-Reaktionen auf das Ende der Sendung
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Foto: dpa, obe cul ink

Gibt es einen Anruf, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Domian Ganz besonders ist mir Hubert in Erinnerung. Er war der erste Anrufer, der sich vom Sterbebett aus bei uns gemeldet hat. Er war damals 35 Jahre alt, litt an Leukämie und hatte sich zum Sterben nach Hause verlegen lassen. Da er völlig einsam lebte, hatte er niemanden zum Sprechen. Unsere Sendung war für ihn ein Strohhalm.

Stichwort "Kopfkino". . .

Domian Da fallen mir Tausende Geschichten ein, die die Anrufer mir erzählt haben. Von Folterszenen im Stasi-Knast bis zu rührenden Schilderungen von Pilgern, die den Jakobsweg oder andere Pilgerpfade gegangen sind. Ganz zu schweigen von den vielen bizarren Sex-Geschichten oder den Erzählungen über Verbrechen und Gewalttaten.

Vor 20 Jahren hatte der Talk den Ruf einer "verruchten" Sendung. Trotzdem war es schwierig, wegzuhören.

Domian Für mich besteht die Faszination nach wie vor darin, hinter die Masken der Menschen schauen zu können und in die ungeheure Vielfalt menschlichen Lebens und Verhaltens Einblick zu gewinnen.

Gab es Gespräche, bei denen Sie an Ihre Schmerzgrenze gegangen sind?

Domian Am schwierigsten sind für mich Gespräche mit Sterbenden oder mit Menschen, die einen Angehörigen verloren haben. Was soll ich einer Frau sagen, deren Kind entführt und ermordet wurde? Ich kann ihr nur zuhören, trösten oder helfen kann ich nicht. In tiefer Trauer sind wir alle letztendlich allein.

Gab es Themen, bei denen Sie nie gedacht hätten, dass es sie gibt?

Domian Davon gibt es sehr viele. Als ich zum ersten Mal von "Objektsexualität" hörte, glaubte ich zunächst an einen Fake. Der Anrufer aber wirkte äußerst seriös und so hörte ich ihm zu. "Objektsexualität" bedeutet, dass jemand einen Gegenstand liebt und sexuell begehrt. Der erste Anrufer zu diesem Thema liebte seine Heimorgel. Heute weiß ich, dass diese Spielart der Sexualität zum Facettenreichtum menschlicher Erotik und Liebe gehört. Es gibt in Deutschland sogar einen Lehrstuhl, der sich ausführlich mit "Objektsexualität" beschäftigt.

Kennen Sie noch Tabus?

Domian Mein Leitspruch lautet: Man kann über alles reden, solange man respektvoll und differenziert miteinander redet. Also nein, ich kenne keine Tabus.

Haben sich die Gespräche in den vergangenen 20 Jahren verändert?

Domian Es geht heute weniger um Sexualität. Das liegt am Internet. Heute haben fast alle alles schon gesehen, gegoogelt oder ausprobiert. Gegenwärtig geht es in der Sendung vorwiegend um das Menschliche, um Liebe, Trennung, Hoffnung, Krankheit, Tod und Abschied. Zu gesellschaftlichen und politischen Themen melden sich die Leute heute so häufig wie früher.

Woher nehmen Sie Ihr Verständnis?

Domian Ich versuche jeden zunächst ernst zu nehmen und neutral zu behandeln, bevor ich meine Meinung sage. Grundsätzlich hilft mir dabei meine langjährige Beschäftigung mit dem Zen-Buddhismus. Respekt vor allen Lebewesen und der Natur ist eine der Hauptsäulen des Zen.

Gab es Situationen, in denen Sie die Anrufer am liebsten vor sich selbst geschützt hätten?

Domian Wir weisen die Anrufer, die mit heiklen Themen anrufen, vor dem Gespräch darauf hin, dass sie erkannt werden könnten und dass dies für sie nachteilig sein kann. Sehr viele Anrufer lassen wir erst gar nicht auf Sendung. Dass es bei einer allnächtlichen Show dann mal nicht so glatt läuft, muss man leider in Kauf nehmen. Das sind aber Ausnahmen.

Haben Ihnen Ihre Ratschläge manchmal den Schlaf geraubt?

Domian Nur einmal. Es ging um Kindesmissbrauch und im Gespräch mit dem erwachsenen Bruder des Opfers widersprach ich nicht vehement genug, als dieser von Selbstjustiz sprach oder sie zumindest andeutete. Ich war durch die Dramatik des Falls zu sehr emotionalisiert worden. Gott sei Dank aber konnte ich die Sache am nächsten Tag in einem weiteren Telefonat klarstellen.

Sie geben auch viel über sich preis. . .

Domian Ich bin von Natur aus wenig schamhaft oder schüchtern. Das Preisgeben fällt mir also nicht schwer. Zudem ist es sehr gut, wenn ein solches TV/Radio-Format von jemandem moderiert wird, der auch von sich erzählt, seine Unzulänglichkeiten zugibt und offen sagt, wenn er nicht mehr weiter weiß. Die Leute wollen hier keinen neutralen und perfekten Moderator.

Haben die Gespräche Sie beeinflusst?

Domian Mein Menschenbild ist schlechter geworden. Das liegt daran, dass ich in so viele und so tiefe Abgründe geschaut habe. Früher konnte ich mir nicht vorstellen, was Menschen imstande sind anderen anzutun. Andererseits begegnen mir in der Sendung auch viele mutige, tapfere, selbstlose und gute Menschen. Das wiegt alles auf und ist der Grund dafür, dass ich nicht ansatzweise bitter oder zynisch geworden bin. Der Mensch ist eben, wie er ist.

Sind Sie auch privat Kummerkasten?

Domian Privat ist alles ganz normal. Natürlich spreche ich mit meinen Freunden über ihre Probleme. Aber sie sprechen eben auch mit mir über meine Anliegen.

Müssen Sie erst wieder lernen, nachts richtig zu schlafen?

Domian Ich glaube schon. Das Schlafen im falschen Lebensrhythmus ist für mich ein großes Problem.

Ist das Kapitel Nachttalk vorbei?

Domian Ende 2016 ist das Thema Nacht-Telefon-Talk für mich definitiv abgeschlossen.

Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?

Domian Nach über 20 000 geführten Telefon-Interviews würde ich meine Gesprächspartner gern endlich mal sehen. Ich möchte Gastgeber einer großen TV-Talkshow werden.

Jessica Kuschnik stellte die Fragen.

(RP)
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