"TV total" Die Generation Raab sagt Tschüss

Kerken/Grefrath · Die Popularität von Stefan Raab lässt sich daran ablesen, wie oft er auf den Schulhöfen Thema war. Mehr als während meiner Schulzeit ging nicht. Ein Rückblick zur 2243. und letzten Ausgabe "TV total".

Stefan Raab: 10 denkwürdige Momente bei TV Total
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10 denkwürdige Momente mit Stefan Raab

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Kein Gott, kein Staat, nur Stefan Raab!" — hätten wir Schuljungen der 1990er einen Schlachtruf gehabt, das wäre er wohl gewesen. Raab war der größte vorstellbare kleinste gemeinsame Nenner.

Zwar habe ich die erste Sendung am 8. März 1999 noch als braver Sechstklässler verschlafen und den späteren Großteil der bis heute mehr als 2200 Folgen von "TV total" aus Niveau-Gründen boykottiert. Dazwischen aber, zwischen 2000 und 2004, parallel zu meiner Pubertät, war die Sendung Pflicht, ein mit Hingabe zelebriertes Ritual; zunächst nur montags, ab Februar 2001 montags bis donnerstags. Zu seiner Hochzeit war Raab mein Held, und der aller meiner Freunde (und Feinde) auf dem Schulhof.

Er verband Jungs aus Kerken, Kempen und Viersen, Gladbach, Düsseldorf und Köln, Gymnasiasten, Real- und Hauptschüler, Sportler und Streber, Coole und Uncoole.

Stefan Raab - seine Shows und Karriere-Stationen in Bildern
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Das waren Raabs Karriere-Stationen

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Wir hatten ja nichts, vor Raab

Auf jeder der endlosen morgendlichen Busfahrten spielten wir seine Dreistigkeiten vom Vorabend nach. Noch vor dem Erledigen der Hausaufgaben, und, wenn es viel zu zitieren gab, stattdessen. Ein Teenager muss tun, was ein Teenager tun muss. Neben unserem Alter ist das mit Raabs Qualitäten, seinem einzigartigen Feuer dieser frühen Jahre zu erklären — und damit, dass die deutsche Comedylandschaft bis zu seinem Auftauchen eine karge Wüste war: Wir hatten Matze Knop alias "Supa Richie" und im Fernsehen lahme Schenkelklopfer wie "Die Camper", "Das Amt", "Ritas Welt" und "Hausmeister Krause". Die "Harald Schmidt Show" gab es auch, aber die war uns irgendwie suspekt, zu hoch, zu trocken. Vielleicht was für Studenten oder so.

Unser Mann war Raab. Er brachte der süßen Kylie Minogue Kölsch bei ("Do bes en lecker Mädsche!") und entlockte seinem Vater im Geiste, Will Smith, Lektionen in "cooler" Körpersprache. Per "Raabigramm" sang er den nervigsten Prominenten die härteste Kritik charmant zu Ukulelenklängen direkt ins Gesicht: DJ Bobo, Dieter Bohlen und Britney Spears gab er, was sie verdienten.

Er war wie wir, ein komischer Vogel in zu großen Freizeithemden über grellbunten T-Shirts. Bloß furchtlos. Lange vor dem Poker-Boom ging er "all in", machte sich selbst zum Affen und verwundbar - im wahrsten Sinne des Wortes, ließ er sich doch von Rappern und Boxweltmeisterinnen die Nase brechen.

Die Raab-Ultras unter uns erlangten bald die Fähigkeit, sich ausschließlich in Raab-Zitaten zu unterhalten. Die stammten meist nicht mal von ihm selbst, sondern aus den Untiefen des Trash-TV, aber der Metzger mit dem Honigkuchenpferdgrinsen hatte sie uns geschenkt, und wir hinterfragten seine Vorführung der so unterbelichteten wie überforderten Menschen nicht.

"Maschendrahtzaun", mehrstimmig

Wir riefen "Pfui!" und "Respekt!" wie der Meister, blökten "Isch gucke!" wie der Bordellbesucher aus einer Talkshow, der seine Freundin als Wiedergutmachung zum Schalke-Spiel einladen wollte. Wir stammelten den Monolog eines jungen Mannes mit Schnäuzer namens Oleg nach: "Er fing genauso an zu lügen, wie, wie, wie ... Allgemein! Was soll das?" Wir trällerten seine Trash-Hits, allen voran: "Maschendrahtzaun in the morniiing, Maschendrahtzaun late at niiight, Maschendrahtzaun in the eveniiing — Maschendrahtzaun makes me feel alright". Teilweise mehrstimmig.

Und wenn wir jemandem verbal den Rest geben wollten, sagten wir, was Raab einem Angestellten von Bohlens Plattenfirma am Telefon erklärt hatte — anhand von Einspielern aus dessen Hörbuch: "Wenn Sie damit meinen, dass ich nicht mit Ihrer Tochter schlafen soll", erklang es dann im unnachahmlich schnöselig-nöligen Bohlen-Tonfall, - Kunstpause - "das habe ich schon längst erledigt". Wir Jungfrauen mit 14, 15.

Die Jugend von heute lacht längst über Youtube-Stars, und auch wir waren Raab schon lange vor dem Abitur 2006 untreu geworden, übergelaufen zu "Kalkofes Mattscheibe", "Stromberg" oder US-Late-Night-Shows.

Im Juni habe ich meinen besten Raab nochmal ausgepackt, die Zähne gebleckt, das Sakko gestrafft, das Publikum mit minimalsten Gesten im Griff. Ich musste, ich konnte nicht mehr herausbringen als seine Phrasen "Soooo ...", "Wir haben doch keine Zeit!" und "Was ist hier denn los? Man weiß es nicht so genau, oder?"

Das war mehr als genug, der Hochzeitssaal bebte, minutenlang. Später fiel mir auf, dass ich gar nicht Raab imitiert hatte — sondern die Raab-Parodie von Max Giermann aus "Switch Reloaded".

(tojo)
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