Unsere Autoren nehmen Abschied Mach's gut, "Wetten, dass..?"

Düsseldorf · Nach fast 34 Jahren stellt das ZDF die immer noch größte Fernsehshow Europas ein. Unsere Autoren, ungefähr gleich alt, nehmen Abschied.

Diese Wetten waren dem ZDF zu eklig
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Diese Wetten waren dem ZDF zu eklig

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Foto: dpa

Im Grunde war das Ende von "Wetten, dass..?" am 4. Dezember 2010 besiegelt. An diesem Tag verletzte sich der Wettkandidat Samuel Koch bei seinem Versuch, mit Sprungfedern fahrende Autos zu überspringen, so schwer, dass er seitdem vom Hals abwärts gelähmt ist. Als Reaktion kündigte Thomas Gottschalk, der die Show mit einer nicht weiter erwähnenswerten Unterbrechung seit 1987 moderiert hatte, seinen Rückzug als Moderator an.

Die Show hatte schon seit einiger Zeit mit sinkenden Quoten zu kämpfen. Die Konkurrenz war größer und vielfältiger geworden, Zuschauerzahlen in zweistelliger Millionenhöhe schaffen heute sowieso nur noch der Fußball und Tatorte aus Münster. Nach Gottschalks angekündigtem Abschied begann eine sehr würdelose Suche nach einem Nachfolger. Joko und Klaas sagten ab, Jörg Pilawa sagte ab, der erklärte Wunschkandidat des ZDF, Hape Kerkeling, sagte sogar höchstpersönlich in der Show ab ("Ich werde es nicht machen"), weil er angeblich zu viel zu tun habe.

Schließlich berief das ZDF in seiner Verzweiflung Gute-Laune-Talker Markus Lanz, und der durfte von Beginn an mit dem Nimbus antreten, ungefähr zwölfte Wahl gewesen zu sein. Er führte ein paar Neuerungen ein wie die "Lanz-Challenge", bei der er in einem Wettkampf wie "Liegestütze machen mit Bierkiste auf dem Rücken" gegen einen Kandidaten aus dem Publikum antrat und verdonnerte die Prominenten dazu, mit "ihren" Wettkandidaten das Studio zu betreten. Doch diese Reformversuche wurden bald geräuschlos eingestellt.

Auch sein erklärtes Ziel, die Hollywood-Stars nicht schon nach einer Viertelstunde vom Sofa zu entlassen, musste er aufgeben. Überhaupt die internationalen Gäste: Obwohl sie ihre Produkte immerhin noch vor einem amtlichen Millionenpublikum bewerben durften, wurde es eine Art Volkssport, nach dem Auftritt in der komischen Show aus Germany in US-Late-Night-Shows über "Wetten, dass..?" herzuziehen. Bei Tom Hanks ("Wenn das kein Qualitätsfernsehen ist") konnte man es noch nachvollziehen, immerhin musste er eine Katzenmütze tragen und Markus Lanz beim Sackhüpfen zusehen.

Doch die Lästereien von Robbie Williams ("Wir sind vertraglich dazu verpflichtet, in die Show zu gehen und fünf Stunden auf dem Sofa zu bleiben"), James Blunt ("Es war schmerzhaft") oder dem kanadischen Schauspieler Will Arnett ("Ich bin fasziniert von der deutschen Mentalität, Witze funktionieren überhaupt nicht") wirkten wohlfeil. Schließlich wird sie niemand gezwungen haben, im deutschen Fernsehen Eigen-PR zu betreiben.

Verbale Klatschen aus Hollywood, bröckelnde Quoten (zuletzt 5,5 Millionen, zu Gottschalks Zeiten waren es mal 17 Millionen) bei immer noch hohen Produktionskosten und das mangelnde Format des Kuschel-Talkers Lanz für eine groß angelegte Samstagabendshow brachten das ZDF schließlich dazu, das Ende seines einstigen Flaggschiffs zu verkünden. Am kommenden Samstag läuft die letzte Ausgabe. Unsere Autoren nehmen ganz individuell Abschied.

Lagerfeuer ohne Schnittchen

Wenn ich mich an "Wetten, dass..?" erinnere, erinnere ich mich nicht an Schnittchen von Mama und im Bademantel auf der Couch sitzen. Ich war elf, als meine Eltern den ersten Fernseher anschafften. Zu alt für so einen Kinderkram. "Wetten, dass..?" hingegen war ab diesem Moment Pflicht. Wie jeder Deutsche verpasste ich jahrelang keine einzige Sendung, kein Bühnenbild mit brennenden Mülltonnen, keines von Gottschalks üblen Sakkos. Ich ging auch nicht früher ins Bett, selbst wenn die Sendung langweilig war. Am Montag las ich stets die Besprechung der Show in der "Bild"-Zeitung. Erst, als ich nach dem Zivildienst in meine erste eigene Wohnung zog, verfolgte ich "Wetten, dass..?" nicht mehr. Ich entschied mich gegen einen Fernseher wegen der GEZ-Gebühren. Nur noch einmal schaltete ich ein. Als Markus Lanz debütierte.

Jahrelang habe ich gedacht, dass ich die Sendung nicht vermisse. Vermutlich stimmt es bis heute, dass die Sendung als solche mir nicht fehlt. Sie war neun Jahre so sehr Pflichtprogramm, dass ich vergaß, weshalb ich sie überhaupt sah. Aber jetzt weiß ich: Mir fehlt "Wetten, dass..?" als Lagerfeuer der Nation. Als letztes Lagerfeuer. Kein Tatort und kein Dschungelcamp versammelt heute so viele Leute aus so vielen Gruppen vor dem Fernseher wie "Wetten, dass..?" zu seinen besten Zeiten. Die Fußball-WM ist vor allem ein Sportereignis, kein Fernsehereignis. Das zählt nicht. Dieses Gefühl, dass sich ein ganzes Land für einen Samstagabend auf etwas einigen kann, vermisse ich. Wenn diese Einigkeit auch dadurch unterstützt wurde, dass die Konkurrenz gering war. Dass diese Zeit nie wiederkommen wird, habe ich hinzunehmen. Große Freude löst es in mir nicht aus. Vielleicht hätte ich jetzt doch gerne ein Schnittchen.

Sebastian Dalkowski

Weltstars in unserem Wohnzimmer

Ich bin mit "Wetten, dass..?" aufgewachsen. Die Show war immer da, seit ich denken kann. Sie gehörte bei uns zuhause ebenso zum Pflichtprogramm wie die "Tagesschau" und die "Sportschau". Über Alternativen wurde gar nicht diskutiert. Sie hatte etwas Heimeliges, im besten Sinne Spießiges, und doch war da dieser Glamour-Faktor, den es sonst nirgends im deutschen Fernsehen gab.

Denn in diese urdeutsche Show mit ihrem biederen Ambiente, in der ein blondgelockter Moderator mit buntem Anzug schon als frecher Farbkleks galt, kamen sie alle. Madonna, Whitney Houston, Phil Collins, Elton John, die Bee Gees, Joe Cocker, Cher. Ich hörte, wie das Saalpublikum ausflippte, wenn diese Wesen das Studio betraten, und ich hatte jedes Mal das Gefühl, einem fernsehhistorischen Moment beizuwohnen. Eine krude Mischung aus Aufgeregtheit und Stolz erfüllte mich: Diese Stars könnten jetzt überall auf der Welt sein, aber sie sitzen in Böblingen oder Offenbach auf einer beigen Couch und lassen sich von Thomas Gottschalk Gummibärchen anbieten.

Ich wurde älter, aber die Euphorie über die Weltstar-Dichte nahm kaum ab. Unvergessen, wie Michael Jackson 1995 auf einem Geländer über dem Studio thronte und den "Earth Song" sang. Michael Jackson! Unvergessen, wie Leonardo DiCaprio, Tom Hanks und Steven Spielberg 2003 auf der Couch Platz nahmen, um ihren Film "Catch Me If You Can" vorzustellen. Mögen meine Freunde lieber zusammen in der Kneipe gefeiert haben, für mich gab es nur einen Platz: vor dem Fernseher. Damals schien es undenkbar, dass sich diese Stars später über die Sendung beschwerten, wie es zuletzt bei einigen Gästen aus Übersee der Fall war. Dieses Gefühl der Aufgeregtheit werde ich sehr vermissen.

Gesa Evers

Wie ich lernte, Thomas Gottschalk zu lieben

Fernsehen gehört nicht zu den Erinnerungen meiner Kindheit. Lange habe ich geglaubt, im Nachteil zu sein, wenn ich den Pausen- und Flurgesprächen über das A-Team und den neuen Tatort nicht folgen konnte. Heute sehe ich es als Privileg an, um den größten Teil fernsehdeutscher Abendunterhaltung herumgekommen zu sein. Nur Thomas Gottschalk war immer da. Bei "Wetten, dass..?” saß die ganze Familie samstagabends auf der Couch.

Ich kann nicht sagen, dass ich Thomas Gottschalk als Show-Moderator bewundert hätte. Er war halt irgendwie immer da und damit ständiger Gesprächsgegenstand — ein bisschen so wie Helmut Kohl. Nur während der Kanzler irgendwann über die Spendenaffäre stolperte und immer mehr von der Bildfläche verschwand, wurde Thomas Gottschalks Präsenz immer größer. Und seine Auftritte immer peinlicher.

Es war mir unangenehm, wenn Gottschalk Claudia Schiffer und später Heidi Klum zweideutige Avancen machte. Oder Naomi Campbell etwas näher kam, als es sich eigentlich gehörte. Und ich konnte nicht hinsehen, wenn der Moderator offensichtlich die Namen seiner Gäste vergaß. Oder nicht das geringste Interesse an dem Thema zeigte, über dass er sich gerade mit seinem Gesprächspartner unterhielt.

Irgendwann verlor ich "Wetten, dass..?" aus dem Blick. Ich sah die Sendungen nicht mehr, unter Studenten war das neueste Outfit von Thomas Gottschalk kein Thema mehr. Erst als Markus Lanz übernahm, merkte ich, was für ein Verlust der Abgang des alten Show-Dinos für die Sendung war. Thomas Gottschalk machte aus der riesigen Studiobühne ein Wohnzimmer, und auf der "Wetten, dass..?”-Couch aus den Hollywoodstars wieder einfache Menschen. Danke Thomas, Du bist der Größte.

Sven Grest

Nachruf auf eine alte, nette Tante

Ach, "Wetten, dass..?". Ich bin nicht schadenfroh, weil du tot bist. Aber auch nicht traurig darüber, zumal das ja weder plötzlich noch unerwartet kam. Ich sehe das pragmatisch: Alles geht vorbei.

Und du hattest doch ein gutes Leben. Viele Leute mochten dich. Über Generationen. Obwohl du nie auf Gehässigkeit und niedere Instinkte gebaut hast wie das heutige Trash-TV, das sich wie eine Seuche verbreitet von Big-Brother-Häusern zu Castingshowbühnen zu Dschungelcamps. Du hast mit deinen berühmten Freunden gepunktet, klar, aber du hattest auch ganz eigene Qualitäten. Du hast die Leute in den Schlaf gewiegt mit einem Potpourri der Belanglosigkeiten: bekloppte Wetten von schrulligen Sympathieträgern, Konservenmusik, Smalltalk, Schleichwerbung.

Was mich peinlich berührt: Dass viele von uns Hinterbliebenen dich nicht in Ruhe sterben ließen. Dass sich in deinen letzten Monaten und Jahren Freunde und Feinde, Bekannte und Fremde über dich das Maul zerrissen, unermüdlich. Darüber, was du angeblich alles falsch machst, welche kleinen und großen Trends du verpasst hast, weshalb du zu uncool bist.

Dabei ist das doch der natürliche Lauf der Dinge: Alte sind so. Altbacken. Von der Zeit überholt. Was ja kein Makel ist, sondern tendenziell geradezu beneidenswert: Der schrumpfenden Freiheit zu körperlichen Aktivitäten die Freiheit entgegensetzen, nicht mehr jeden Scheiß mitzumachen.

Altern ist nicht peinlich. Peinlich ist nur das Gegenteil: Berufsjugendlichkeit. Dazu hast du alte Tante dich auf den letzten Metern leider noch breitschlagen lassen, mit deinem letzten Lebensabschnittspartner Markus Lanz. Dafür war er geholt worden,und das hat er gnadenlos durchgezogen. Neue Fans hast du dermaßen aufgetakelt nicht gewonnen, und viele alte vergrätzt.

Aber weder du bist schuld an deinem Tod noch ist es Lanz. Es ist die Welt. Und selbst die hat sich nur weiter gedreht, wie es ihre Aufgabe ist. Dein Konzept "Menschen, Tiere, Sensationen" hat lange gezogen. Damals, als es noch kein Internet gab, aber dafür einen Mainstream. Ruhe in Frieden.

Tobias Jochheim

(seda, gre, tojo)
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