TV-Nachlese "Maybrit Illner" 16-Jähriger führt Ehe-für-alle-Gegner vor

Düsseldorf · Ist die Abstimmung über die "Ehe für alle" Wahlkampftaktik oder vollzieht sie eine Entscheidung, die längst dem Zeitgeist entspricht. Darüber diskutierten am Donnerstagabend Illners Gäste. Ein Schüler nahm dabei den Kritikern allen Wind aus den Segeln.

Darum geht's So schnell kann es gehen, wenn sich aus einem Satz der Kanzlerin eine politische Dynamik entwickelt, die sich verselbstständigt: "Scheidungsgrund: Ehe für alle — das Ende der Großen Koalition?", darüber diskutierte Maybrit Illner mit ihren Gästen. Es gebe offenbar wenig Überzeugungen, die in der Politik ewig halten. Aber hat die SPD die CDU zu der Abstimmung im Bundestag gezwungen, oder hat Angela Merkel ihre Partei ausgetrickst?

Darum geht's wirklich Wurden am Beginn der Sendung noch Argumente für oder gegen die plötzliche Abstimmung im Bundestag ausgetauscht, ging es zuletzt doch viel mehr um die grundsätzliche Frage, ob es eine "Ehe für alle" geben sollte. Der Auftritt von Raphael Zinser, der als Pflegekind von einem schwulen Paar aufgezogen wurde, erweiterte die Perspektive. Er konfrontierte vor allem Hedwig von Beverfoerde, die die Ehe für alle für einen "Zivilisationsbruch" hält und glaubt, dass Kinder nur in heterosexuellen Ehen glücklich werden können.

Die Gäste

  • Thomas Oppermann (SPD), MdB, Fraktionsvorsitzender
  • Bettina Böttinger, Fernsehmoderatorin
  • Michael Kretschmer (CDU), stellvertretender Fraktionsvorsitzender
  • Robin Alexander, "Welt"-Journalist
  • Hedwig von Beverfoerde, Aktionsbündnis "Demo für alle"

Der Frontverlauf

Eigentlich muss man nur das letzte Drittel der Sendung gucken, dann ist alles zum Thema "Ehe für alle" gesagt. Und das liegt an einem 16-jährigen Schüler, der im Alter von zwei Jahren zu einem schwulen Paar als Pflegekind kam. Raphael Zinser ist noch dazu Mitglied der CDU — der Partei, die die Abstimmung über die "Ehe für alle" am Freitag im Bundestag gerne verhindern würde. Zu diesem Zeitpunkt haben die Gegner der Abstimmung und die Gegner der Ehe für alle hauptsächlich das Wort geführt.

Zinser ist das lebendige Beispiel dafür, dass die Vorurteile und Ressentiments gegen sogenannte Regenbogenfamilien überholt sind. Hedwig von Beverfoerde vom bürgerlich-konservativen Aktionsbündnis "Demo für alle" findet keinen Anker mehr für ihre Argumente und auch der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Thomas Kretschmann kann dem Schüler kaum noch etwas entgegnen. Zinser sagt zwei richtige Sätze, an denen niemand in der gesellschaftlichen Debatte dieser Tage vorbeikommt. Erstens: Auf die Frage der Moderatorin Maybrit Illner, wie es sei, bei einem schwulen Paar aufzuwachsen, antwortet Zinser: "Was soll ich sagen, ich kenne nichts anderes." Damit zeigt er, dass die Ehe, die von Beverfoerde zur absoluten Norm erklärt, nicht seine Normalität ist.

Zweitens: Zinser meint, dass es höchste Zeit für die Abstimmung sei, aber sagt auch: "Ich halte den Zeitpunkt der Abstimmung für falsch." Damit drückt er das Gefühl von Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen aus, die vermutlich einige Bundesbürger in dieser Woche empfunden haben. In diesen beiden Punkten kann ihm keiner aus der Runde widersprechen. Der Schüler ist wie ein Prellbock sowohl für "Ehe für alle"-Gegner, aber auch für die Enthusiasten.

Mehr müsste man zu dieser Sendung eigentlich gar nicht schreiben, wenn nicht zuvor die Debatte schon heftig geführt worden wäre. Zu Beginn dreht sich alles um die Frage, wie es überhaupt zu der Abstimmung im Bundestag gekommen ist. Der "Welt"-Journalist Robin Alexander spricht von einer "Kommunikationspanne" bei Merkel. Die Bundeskanzlerin hatte am Montagabend beim "Brigitte"-Talk gesagt, sie wolle, dass eine mögliche Abstimmung "eher in Richtung Gewissensentscheidung" gehe und damit eine unaufhaltsame Dynamik ausgelöst.

Der stellvertretenden CDU-Fraktionsvorsitzende Michael Kretschmer wirft der SPD Vertrauensbruch vor und spricht von einem "bitteren Ende der großen Koalition". Die Hardlinerin ist Hedwig von Beverfoerde. Sie sagt, die Ehe sei eine Institution, die "vorgefunden" werde. Kein Parlament sei befugt, diese Institution einfach abzuschaffen. Die Ehe habe es lange vor jedem Staat gegeben und sei eine Verbindung auf Lebensdauer, die dazu da sei, eine Familie zu gründen und Kinder zu bekommen. Sie sei daher ein Modell, dass es nur zwischen Mann und Frau geben könne. Die Ehe sei die Grundlage der Kultur, der Urgrund der Zivilisation und die Ehe für alle sei ein "Zivilisationsbruch".

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann hält Kretschmer und von Beverfoerde Argumente entgegen. Seinem Kollegen Kretschmer entgegnet auf dessen Vorwürfe, es sei Frau Merkel gewesen, die Wahltaktik machen wollte. 2015 hatte das Land Rheinland-Pfalz unter der Ministerpräsidentin Malu Dreyer ein Gesetz für die Ehe für alle in den Bundesrat eingebracht. Die Abstimmung in den Gremien des Bundestages hatten SPD und CDU zunächst immer wieder vertagt. Merkel habe die Ehe für alle als Zugeständnis möglichen Koalitionspartnern im Wahlkampf anbieten wollen — im Tausch gegen Zugeständnisse in anderen Themen. Die SPD habe da nicht mitgemacht.

In Richtung von Frau Beverfoerde, die einen reaktionären Ehe-Begriff vertritt, sagt Oppermann. "Als 1949 das Grundgesetz mit dem Gleichheitsgrundsatz von Mann und Frau verabschiedet wurde, stand im Bürgerlichen Gesetzbuch, dass der Haushaltsvorstand der Mann ist, dass der Mann das Vermögen der Frau verwaltet, dass der Mann den Wohnsitz der Familie bestimmt und dass der Ehemann der Frau verbieten kann zu arbeiten. Wenn das heute der Ehebegriff wäre, würde keine Frau in Deutschland arbeiten."

Auf von Beverfoerdes Argument, die Ehe sei ausschließlich als Verbindung von Mann und Frau möglich, sagt Oppermann: "Darauf haben Sie kein Monopol. Der Begriff Ehe ist ein Rechtsbegriff und den können Sie nicht einfach mit Ihrem konservativen Weltbild identifizieren. Der Begriff unterliegt dem gesellschaftlichen Wandel."

Die Sorge des stellvertretenden CDU-Fraktionsvorsitzenden ist, dass mit dem Gesetz ein Chaos in den Standesämtern ausbrechen wird, weil es keine Verordnungen gebe, wie man das Gesetz administrieren soll. Doch da hat Bettina Böttinger, die in einer lesbischen Lebenspartnerschaft lebt, keine Sorgen. "Wenn Sie am Montag zum Standesamt gehen, wird die Standesbeamtin in Köln nicht wissen, was zu tun ist", befürchtet Kretschmer. Böttinger ist davon nicht überzeugt: "Die sind schon klever in Köln."

(heif)
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