TV-Nachlese Maybrit Illner "Ängstliche sind leichter beeinflussbar"

Düsseldorf · Maybrit Illner hat am Donnerstagabend mehrere Vertreter einer möglichen Jamaika-Koalition in ihre Sendung eingeladen, die einander vorsichtig zu verschiedenen Themen abklopften. Deutlich wurde: Grün und Gelb verstehen sich gut, Grün und Schwarz nicht ganz so.

Das ist die TV-Journalistin Maybrit Illner beruflich und privat.
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Das ist Maybrit Illner

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Foto: Illner Maybrit Screenshot ZDF

Darum ging's

Moderatorin Maybrit Illner diskutierte mit "dreieinhalb" Politikern, einer Journalistin und einer Politikwissenschaftlerin über das Thema "Wohlstand, Werte, Wechsel — wofür soll Jamaika stehen?" Außerdem auf der Agenda: "Drängeln in der Mitte" statt Links oder Rechtsruck und die plötzliche Beliebtheit des Begriffs "Heimat".

Darum ging's wirklich

Thematisch ein Rundumschlag, bekam man das Gefühl, dass die Vertreter einer möglichen Jamaika-Koalition einander bei Maybrit Illner ein wenig auf den Zahn fühlen wollten. Das Ergebnis war nicht immer kohärent, aber kurzweilig. Aufschlussreich waren die Einordnungen von ZDF-Hauptstadtstudioleiterin Schausten sowie Politikwissenschaftlerin Münch.

Die Gäste

  • Ole von Beust, CDU, ehemaliger Erster Bürgermeister von Hamburg
  • Simone Peter, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen
  • Alexander Graf Lambsdorff, FDP, Vizepräsident des Europäischen Parlaments
  • Markus Söder, CSU, Bayerischer Staatsminister der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat
  • Bettina Schausten, Leiterin des ZDF-Hauptstadtstudios
  • Prof. Ursula Münch, Politikwissenschaftlerin, Direktorin der Akademie für Politische Bildung

Frontverlauf

"Mit Jamaika droht der Mitte die Überfüllung", stellt Moderatorin Maybrit Illner zum Auftakt der Sendung zur Diskussion. Zur Untermauerung spielt sie Zitate der Jamaika-Koalitionäre ein, die die "Mitte" thematisieren. Hat Angela Merkel durch ihre Politik die Mitte preisgegeben, will Illner von Ole von Beust wissen. Der ehemalige Erste Bürgermeister von Hamburg verneint dies.

Alexander Graf Lambsdorff von der FDP widerspricht: Die CDU sei im Vergleich zu früher unter Merkel nach links gerückt. Früher hätten Konservative die CDU gewählt. Lambsdorff verzichtet darauf, hier die AfD namentlich zu erwähnen. Markus Söder möchte weg von den Begriffen links, rechts, Mitte. "Wir müssen auch Politik für die normalen Leute in Deutschland machen", sagt er.

Die Politikwissenschaftlerin Prof. Ursula Münch, die die Akademie für Politische Bildung leitet, weist darauf hin, dass die Selbstverortung einer Partei, ob sie zum Beispiel für mehr oder weniger Staat, mehr oder weniger Zuwanderung und mehr oder weniger Globalisierung ist, nicht unbedingt der Wahrnehmung der Wähler entsprechen muss. Sie glaube nicht, dass Deutschland insgesamt nach rechts gerückt sei. Vielmehr fehle den Menschen ein Teil im Parteienspektrum, ergänzt sie - und greift den von Lambsdorff aufgebrachten Punkt auf. "Es ist die Position, die die CDU früher hatte."

Vor allem unter der Kanzlerin habe sich Deutschland nach links bewegt, nicht nur in der Flüchtlingspolitik, auch in der Energiepolitik. "Durch den Linksrutsch ist etwas freigeworden, und wir alle wissen, wer die Lücke besetzt hat", sagt Münch. Die SPD wiederum habe das Problem, dass sich die CDU "sozialdemokratisiert" habe. Mit der Folge, dass sich Wähler allgemein immer schwerer täten, die Parteien einzuordnen. Alle Parteien würden versuchen, "soziale Sicherungssysteme" stärker zu besetzen, auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels, sagt die Wissenschaftlerin voraus.

Simone Peter, die gemeinsam mit Cem Özdemir den Bundesvorsitz vder Grünen innehat, kommt auf die Eingangsthese zurück: "Wichtig ist, dass nicht alle in die Mitte strömen, sondern dass wir eine wirklich differenzierte Debatte bekommen." Die Herausforderungen seien riesig, und "der Stillstand der Großen Koalition muss aufgebrochen werden", sagt Peter.

Vielleicht um die Jamaika-Koalitionäre in der Zeit der Sondierungen noch einmal auf den Boden der Tatsachen zu holen, stellt Illner Umfrageergebnisse zu aktuellen Fragen vor. So wünschten sich 67 Prozent der Deutschen ein Limit bei der Aufnahme von Flüchtlingen, 80 Prozent forderten ein Einwanderungsgesetz. Drei Viertel wollen mehr Videoüberwachung an öffentlichen Orten. Und 78 Prozent wollen den Solidaritätszuschlag (Soli) abschaffen.

Söders Kommentar auf die Umfrage - "Eigentlich heißt das CSU wählen" - erheitert die Runde, die sich im Verlauf des Abends einen engagierten, aber immer gut gestimmten Meinungsaustausch liefert. Das deutsche Finanzamt schaue auf Cents, aber Abschiebungen kriege man nicht hin, schiebt Söder nach. "Wir sind das einzige Land der Welt, in das man ohne Pass hinein kann, aber nicht wieder hinaus."

"Müsste Jamaika Steuern senken?", fragt Illner von Beust. Deutsche seien relativ bereit, mehr Steuern im Austausch für Sicherheit und Geborgenheit zu zahlen, sagt der frühere Bürgermeister von Hamburg. Beim Solidaritätszuschlag deckt sich seine Meinung mit der Mehrheit der Befragten. Er fände es "redlich", diesen auslaufen zu lassen, der Zweck sei erfüllt. Graf Lambsdorff stimmt ihm zu, ebenso Söder. "Es geht doch um eine Grundsatzfrage!", ruft er aus, als Peter davon spricht, Familien mehr zu stärken, mehr Entlastungen zu schaffen. "Wenn eine Aufgabe erfüllt ist, dann behält man das Geld trotzdem ein?", fragt er rhetorisch. Der Staat müsse ehrlich sein, fügt er hinzu.

An dieser Stelle tritt, wie mehrfach in der Sendung, zutage, dass es mehr Ähnlichkeiten zwischen Gelb und Grün gibt als zwischen Grün und Schwarz. Kurz fragt sich die Runde offen, ob die Grünen-Vertreterin Peter in der Jamaika-Regierung Finanzministerin werden solle — oder wolle. Aber über Personalfragen will in der Runde niemand ernsthaft sprechen. "Wir lernen uns erst kennen, reden noch nicht über Posten", sagt Graf Lambsdorff.

Angestoßen von Peter geht die Diskussion von der "Entlastung" weiter zur "Abstiegsgesellschaft" und zur Erfahrung, die viele Doppelverdiener-Paare in Deutschland machen, dass sie selbst mit zwei Einkommen kaum über die Runden kommen. Illner wendet sich an Münch, will wissen, was das mit den Menschen mache. "Das sorgt dafür, dass man sich umschaut und sich fragt, woher kommt die nächste Konkurrenz", sagt die Politikwissenschaftlerin. "Das sorgt für Ängste. Die Menschen wechseln schneller ihre Meinung, sind leichter beeinflussbar, etwa über soziale Medien."

Eine Steuererhöhung nach französischem Modell für Gutsituierte hält Lambsdorff nicht für sinnvoll: "Wenn wir das so machen wie Francois Hollande, mit 75 Prozent auf Einkommen ab einer gewissen Höhe, dann machen wir Gerard Depardieu zum Russen, und ich weiß nicht, was Till Schweiger dann macht." Damit spielt er darauf an, dass der französische Schauspieler aus Protest seinen Pass abgab.

Mit einem süffisanten Video-Beitrag, der die Popularität des Begriffs "Heimat" mit überzeichneten Klischees bewusst aufs Korn nimmt, versucht Illner in der Runde herauszuarbeiten, warum der Ausdruck derzeit in vieler Munde ist. Während die Konservativen von CDU und CSU am Tisch den Begriff Heimat mit Geborgenheit und Verankerung positiv bewerten, sieht die Grünenvertreterin Peter die Gefahr, dass der Begriff benutzt werden könnte, um andere auszugrenzen.

Auch Lambsdorff sieht den Heimatbegriff nicht allein positiv. Wenn Menschen das Gefühl hätten, dass ein Wandel zu weit gehe und zu schnelle komme, sei die Geborgenheit schnell weg, und es komme zur Gegenreaktion, warnt er. "Dann kommt ein Heimatbegriff auf, den ich politisch stark missbrauchsanfällig halte, wenn man ihn zu stark ausgrenzend macht."

Zum Abschluss stellt Illner die Kernfrage, die sich zum Auftakt der Sondierungsgespräche insgeheim vielleicht viele stellen: "Gibt es eine Jamaika-Koalition?" CSU-Vertreter Söder antwortet als erster, aber mit mehreren Sekunden Verspätung. "Hm, ja." Von Beust, der nicht mehr aktiv in der Politik ist und daher ein "freier Mann", wie Illner scherzt, brummelt: "In Hamburg sagt man 'Hilft ja nichts'." Während Peter der Frage ausweicht, spricht Graf Lambsdorff von "ergebnisoffenen Verhandlungen", die "ohne Zeitdruck" verlaufen sollten. Bettina Schausten, die Leiterin des ZDF-Hauptstadtstudios, kommentiert, dass es wohl unter den Verhandelnden den Ehrgeiz gebe, bis Weihnachten durchzukommen. "Ob es gelingt, hängt in der Luft."

Zitat des Abends:

"Wenn wir das so machen wie Francois Hollande, mit 75 Prozent auf Einkommen ab einer gewissen Höhe, dann machen wir Gerard Depardieu zum Russen, und ich weiß nicht, was Till Schweiger dann macht." (Alexander Graf von Lambsdorff, FDP)

(sbl)
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