Interview mit Maybrit Illner Deniz Yücel will sich gegen Terror-Vorwürfe verteidigen

Düsseldorf · Der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel, der ein Jahr lang in türkischer Untersuchungshaft saß, erzählte bei Maybrit Illner, warum die Zeit im Gefängnis für ihn und seine Frau auch wertvoll gewesen ist, warum er einen Stift klaute und warum er bei seinem Prozess in der Türkei aussagen will.

Fotos zeigen Deniz Yücel in Freiheit
8 Bilder

Deniz Yücel in Freiheit

8 Bilder
Foto: dpa, BO pil

Darum ging's Wie sollen Deutschland und Europa mit den immer neuen Erpressungen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan umgehen? Zu dieser Frage diskutierten die Gäste bei Maybrit Illner am Donnerstagabend.

Darum ging's wirklich Als besonderen Gast hatte Illner Deniz Yücel eingeladen. Mit ihm sprach sie darüber, wie er die Zeit in türkischer Untersuchungshaft überstanden hat, wie er die deutsche Politik in Bezug auf die Türkei bewertet und wie es in Zukunft für ihn weiter geht. Die anschließende Diskussion geriet dabei in den Hintergrund.

Die Gäste

  • Norbert Röttgen, CDU, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag
  • Özlem Topcu, Journalistin der "Zeit"
  • Claudia Roth, Grüne, Bundestags-Vizepräsidentin
  • Deniz Yücel, Journalist, saß ein Jahr lang in türkischer Untersuchungshaft

Der Verlauf

"Ich glaube, dass ich meinen Job ganz gut gemacht habe", sagte Deniz Yücel auf Maybrit Illners Frage, warum der türkische Staat ihn verfolge. Yücel hatte unter anderem wegen Korruptionsvorwürfen gegen den Sohn des türkischen Präsidenten Erdogan recherchiert. Zu Beginn der Sendung wurde ein Interview mit dem "Welt"-Journalisten ausgestrahlt, das Illner am Tag vor der Sendung geführt hatte. Yücel hatte sich am 14. Februar 2017 der türkischen Polizei gestellt, nachdem er wegen Terror-Verdachts zur Fahndung ausgeschrieben worden war. Seither saß er zunächst in Polizeigewahrsam und dann ab dem 27. Februar 2017 in türkischer Untersuchungshaft. Ein Jahr lang brauchte der türkische Staat, um die Anklage gegen ihn vorzulegen. Am 16. Februar 2018 wurde Yücel schließlich aus der Haft entlassen.

Bei Illner erzählte er über seinen Alltag hinter Gittern: Bereits im Polizeigewahrsam hatte er versucht, ohne Stift und Papier zu schreiben. Dafür verwendete er eine abgebrochene Plastikgabel und Tomatensoße, die allerdings zu fettig gewesen sei. Später habe er bei einem Arztbesuch einen Stift geklaut. Dann habe er seine Haftbedingungen in das Buch "Der kleine Prinz" geschrieben, das seine Frau ihm geschenkt hatte. In einer Tüte mit schmutziger Wäsche, die er seinem Anwalt mitgegeben habe, seien seine Notizen aus dem Gefängnis herausgeschmuggelt worden.

"Das Schlimmste waren die Einsamkeit und das Gefühl, dass ich zum Schweigen gebracht werden sollte", sagte Yücel. Deswegen habe er sich immer wieder mitteilen wollen. Was ihm in der Zeit der Haft am meisten geholfen habe, sei die Solidarität der Menschen in Deutschland gewesen. "Ich hatte das Gefühl, ich bin nicht allein. Da sind Menschen, die sich für mich einsetzen und sich um mich sorgen." Auch seine Beziehung zu seiner Frau Dilek, die er noch in der Haft geheiratet hatte, sei überlebenswichtig gewesen. "Für uns war das auch eine sehr wertvolle Zeit."

In dem Interview bezeichnete Yücel die türkische Regierung als "hauptberufliche Gangster". Er habe sich ein Zeichen großer deutscher Unternehmen wie Siemens gewünscht, die in der Türkei Geschäfte machen. "Etwa eine Wortmeldung von führenden Vertretern der deutschen Wirtschaft, die in der Türkei ja auch sehr stark engagiert sind", sagte er. Das sei eine Sprache, die die türkische Regierung verstehe. "In der Regierung sind Islamisten und Nationalisten. Das sind sie aber nur nebenbei. Hauptberuflich sind das Gangster." Diesen Punkt betonte Claudia Roth später in der Diskussionsrunde. "Man kann beinah den Verdacht hegen, die deutschen Wirtschaftsakteure seien froh über den Ausnahmezustand in der Türkei. Denn damit ist das Streikrecht vom Tisch", sagte die Grünen-Politikerin.

Außerdem berichtete Yücel, dass er vorhabe, in dem Verfahren gegen ihn in der Türkei auszusagen. Die Anklage, auf die er ein Jahr lang gewartet habe, sei eine Farce. Sie basiere auf acht Artikel aus der "Welt", die teilweise sogar falsch übersetzt worden seien. Der Anklage liege eine Liste mit Telefondaten bei, die zeige, zu wem Yücel Kontakt gehabt habe. Einige Nummern könne er darin gar nicht zuordnen, andere gehörten zu anderen internationalen Journalisten. Der Staat werfe ihm vor, dass er Kontakt zu Personen gehabt haben könnte, die entweder unmittelbar oder indirekt in Verbindung zur PKK stehen.

Nach dem Interview diskutierten Norbert Röttgen (CDU), Claudia Roth und die "Zeit"-Journalistin Özlem Topcu, wie die deutsche Regierung mit der Türkei umzugehen habe. Zunächst wollte Illner von Röttgen wissen, ob es einen Deal mit der Türkei gegeben habe, damit Yücel freikommen konnte. Röttgen sagte, dass die Bundesregierung dies verneint habe und er das auch für glaubhaft halte. "Das wäre bescheuert, über Geiselnahmen politische Deals zu machen. Darauf kann sich keine Regierung einlassen."

Die Grünen-Politikerin Roth kritisierte die Rüstungsexporte der Bundesregierung in die Türkei, obwohl diese eine völkerrechtswidrige Intervention auf kurdischem Gebiet in Syrien gestartet habe. Röttgen stimmte Roth darin zu. Er halte Waffenlieferungen in die Türkei derzeit für unvertretbar. Dann verwies er darauf, dass die Türkei Nato-Mitglied sei und daher auch ein strategischer Partner. "Es wäre falsch, unseren ganzen Einfluss auf die Türkei zu verlieren, jetzt da sie sich an der Seite von Russland und dem Iran in Syrien einmischt und den USA mit einer militärischen Intervention droht."

Dem widersprach Roth. "Es gibt keinen Blanko-Check für Nato-Mitglieder", sagte sie. Man müsse darüber sprechen, ob die Türkei weiterhin Mitglied des Verteidigungsbündnisses bleiben könne. Zugleich sagte sie, man müsse das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei beenden. Das bedeute aber auch, dass man das Land humanitär entlasten müsse. Sie kritisierte, dass die Europäische Union nicht in der Lage und nicht Willens sei, sich eine eigenständige Flüchtlingspolitik zu geben.

(heif)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort