Talk bei Maybrit Illner Der Islam taugt nicht als Schuldiger

Düsseldorf · Maybrit Illner begibt sich auf die Suche nach den Wurzeln des Terrors. Im Vordergrund die Frage: Was trägt der Islam zur Radikalisierung bei? Überraschend schnell einigen sich Julia Klöckner und Jürgen Trittin auf einen vielversprechenden Lösungsansatz: Es braucht mehr Imame im Gefängnis.

 Maybrit Illner diskutierte mit ihren Gästen, unter ihnen der muslimische Gefängnis-Seelsorger Husamuddin Meyer, über die Wurzeln des Terrors.

Maybrit Illner diskutierte mit ihren Gästen, unter ihnen der muslimische Gefängnis-Seelsorger Husamuddin Meyer, über die Wurzeln des Terrors.

Foto: Screenshot ZDF

"Mord im Namen Allahs — woher kommen Hass und Terror?" Maybrit Illner hatte am Donnerstagabend eine scheinbar einfache Frage formuliert. Die aber erwies sich schnell als sehr komplex. Einfache Erklärungsansätze greifen bei der Analyse der Terrorursachen nicht. Umso bemerkenswerter, dass sich die Diskussionsrunde dieser Tatsache stellte.

Beteiligt waren ein Terrorismusexperte, zwei Politiker und zwei Muslime: Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik, Julia Klöckner (CDU), Jürgen Trittin (Grüne), die türkischstämmige Menschenrechtsaktivistin Seyran Ates und der Imam Husamuddin Meyer, der als muslimischer Seelsorger aus Wiesbaden in Gefängnissen arbeitet.

"Herzenskrankheiten" im Gefängnis

Mehrfach ist in der Debatte nach den Anschlägen von Paris die Frage angeklungen, welche Rolle der Islam im Zusammenhang mit der Radikalisierung von späteren Gotteskriegern spielt. Das oft gehörte Argument von Verbänden, der Islam habe mit dem Terror nichts zu tun, sondern werde missbraucht, geriet unter Druck. In diese Kerbe schlug bei Illner auch Seyran Ates. Sie sei es leid, immer wieder zu hören, der Islam habe damit nichts zu tun, schimpfte sie. Muslime müssten sich vielmehr fragen: "Was ist mit unseren Brüdern und Schwestern los, dass sie so etwas machen?"

Bei Illner hinterließ aber vor allem Imam Husamuddin Meyer einen nachhaltigen Eindruck. Bei Plasberg ("Hart aber Fair") oder "Günther Jauch" waren muslimische Prediger bisher eher unangenehm aufgefallen, weil sie ihre Gegenüber gerne mit Vorwürfen überzogen, anstatt konstruktiv etwas beizutragen. Husamuddin Meyer hingegen, vor 25 Jahren zum Islam konvertiert, brachte hingegen mit seiner bedächtigen Art, vorgebracht in einem Deutsch mit leichtem Pfälzer Einschlag, einen anderen Ton in die Debatte. Ziel seiner Arbeit: Den Insassen innere Stabilität zu vermitteln und sie von "Herzenskrankheiten" wie Wut, Hass oder Neid zu heilen.

Die Gefängnisse laufen bislang unter dem Radar

Ihm verdankte die Runde die erste Erkenntnis des Abends: Wie Meyer schilderte, stammen die meisten späteren Terrorkämpfer im Namen Allahs aus Familien, in denen Religion keine übergeordnete Rolle spielte. Diese Männer haben demnach irgendwann einmal selbst Wut und Hass aufgebaut. Möglicherweise wegen Einflüssen von außen, vielleicht aber auch wegen einer schwierigen Kindheit. Fazit: Die Religion diente in ihren Fällen als Instrument, aber nicht als Ursache der Radikalisierung.

Sein Lösungsansatz stieß auch bei den anwesenden Politikern auf Zustimmung: Mehr Imame in deutschen Gefängnissen im Rahmen der Prävention. Neben Meyer gibt es nur einen einzigen weiteren Imam, der dieser Aufgabe nachgeht. Die Fälle in Frankreich zeigen, welch tragende Rolle die Kontakte zu Fundamentalisten bei der Radikalisierung junger Männer spielen können.

George W. Bush und die "Urkatastrophe"

So offenkundig der Nachholbedarf in diesem Bereich ist, so deutlich wurde aber auch, dass die Ursachensuche nach den Wurzeln des Terrors tiefer geht. Etliche Faktoren spielen eine Rolle, viele davon klangen in der Diskussion an. Der Absolutheitsanspruch von Religionen. Die Auslegung des Koran. Die Rolle des Irakkriegs als Beschleuniger des Hasses, den Experte Steinberg sinngemäß als Urkatastrophe des heutigen Terrorismus islamistischer Prägung bezeichnete.

Als ein Kernproblem erwies sich aber die Frage nach dem Zusammenhang von Staat und Religion, bei der sich vor allem Klöckner hervortat. Sie formulierte als Antwort auf den Merkel-Satz "Der Islam gehört zu Deutschland" klipp und klar: "Nur wer sich zum Grundgesetz bekennt, gehört zu uns." Da sei ihr der Glaube erst mal egal. Entscheidend sei der Anspruch, den eine Religionsgemeinschaft aus dem Glauben ableite. Islam und islamische Theologie müssten sich intensiver mit "Auswüchsen" der Interpretation ihres Glaubens auseinandersetzen, "denn die Deutungshoheiten sind mitunter nicht nur kreativ, sondern auch tödlich."

1,5 Milliarden unter Verdacht

Dass es nur eine winzige Minderheit von entrückten Fundamentalisten ist, die ein sicherheitspolitisches Risiko darstellen, blieb in der Runde unstrittig. Wenn 1,5 Milliarden Muslime einen Anspruch auf Absolutheit der Religion ableiten würden, sähe die Welt anders aus, dann wäre das Chaos weitaus größer, mahnte der Imam.

Klar wird: Fast alle Muslime dieser Welt haben ebenso wenig mit den Radikalen zu tun, wie Christen mit den entrückten Evangelikalen, die sich von unserer Gesellschaft abgekoppelt haben. 1,5 Milliarden (nach dem Christentum mit 2,2 Milliarden die am weitesten verbreitete Religion der Welt) — diese Zahl darf man sacken lassen. Als Weltreligion mit verschiedensten Ausprägungen von Indonesien bis nach Saudi-Arabien ist der Islam daher ebenso vielfältig wie die Kulturen, die er umfasst. Wer pauschal den Islam als mögliche Ursache des Terrorismus befragt, muss zwangsläufig scheitern.

Islamkonferenz: Richtiger, aber leider komplizierter Ansatz

Frage nur: Wer kann in Deutschland stellvertretend für die Muslime handeln und wie einst die christlichen Kirchen eine verlässliche, auf den Regeln der Verfassung fußende Regelung mit der Politik treffen, die die Beziehungen zwischen Staat und Religion regelt? Unter anderem Seyran Ates macht deutlich, wie unmöglich es sich nicht nur in Deutschland darstellt, Muslimen eine repräsentative, eine einheitliche Stimme zu geben.

Bestens dokumentiert ist das in der wenig erfolgreichen Geschichte der Islamkonferenz, in der sich nach Ates' Schilderung die konservativen Verbände durchgesetzt hätten, die deutliche Mehrheit der Muslime in Deutschland aber gar nicht repräsentiert sei.

Der Wildwuchs in der Organisation des islamischen Glaubens gehört demnach zu den größten Herausforderungen überhaupt. Nur wenn sich der Islam in einer Gesellschaft domestizieren lässt, ist er vor radikalen Auswüchsen gefeit. Das aber haben Streitereien unter den Verbänden bislang verhindert.

(pst)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort