TV-Kritik "Maybrit Illner" Katja Kipping hofiert Sigmar Gabriel

Düsseldorf · Die TV-Diskussion bei Maybrit Illner drehte sich am Donnerstagabend um ein Paradox: Der deutschen Wirtschaft geht es gut, aber dennoch nimmt die Zahl der Menschen zu, die sich wirtschaftlich und sozial abgehängt fühlen. Linke und SPD zeigten sich seltsam sanft.

Darum ging's: Es sind keine schlechten Zeiten für die deutsche Wirtschaft, der Export boomt, deutsche Produkte sind beliebt. Aber es profitierten längst nicht alle, lautete die These von Moderatorin Maybrit Illner in ihrer Sendung zum Thema "Gewinne steigen, Jobs verschwinden — wer kümmert sich um die Verlierer?".

Darum ging's wirklich: Die sozialen Reformen der Agenda 2010 unter der SPD-Kanzler Gerhard Schröder beschäftigten die Runde zunächst. Hartz IV, Steuersenkungen, Niedriglohn, Leiharbeit, Werksverträge, Mittelschicht, Wohnungsmarkt, Manager-Boni, Rente — jeder Gast hatte mindestens ein Stichwort parat, das schon in so vielen Fernsehdebatten zuvor diskutiert wurde.

Die Gäste:

  • Sigmar Gabriel, SPD, Bundeswirtschaftsminister und Vize-Kanzler
  • Horst von Buttlar, Chefredakteur "Capital"
  • Katja Kipping, Parteivorsitzende Die Linke
  • Matthias Wissmann, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA)
  • Guido Machowski, Betriebsratvorsitzender Porsche-Zulieferer-Betrieb
  • Sebastian Dullien, Volkswirt

Frontverlauf:

Wie immer bei einer Debatte um soziale Gerechtigkeit musste sich die SPD als erstes für die Agenda 2010 entschuldigen, die unter anderem Hartz IV, Leiharbeit und Werkverträge hervorgebracht hat. Deswegen stand in der Sendung bei Maybrit Illner Sigmar Gabriel (SPD) im Ring. Der Vizekanzler und Wirtschaftsminister ließ sich nicht lange bitten und zählte demütig die schlechten Seiten der Wirtschaftsreformen auf. Immerhin setzte er eine Einschränkung hinzu: Man dürfe nicht vergessen, dass man damals auf eine Arbeitslosigkeit von knapp sechs Millionen Menschen zusteuerte. Heute habe man in weiten Teilen Deutschlands Vollbeschäftigung.

Der Arbeitgebervertreter, der mit am Tisch saß, verteidigte die Agenda 2010. Matthias Wissmann vom Verband der Automobilindustrie (VDA) wies darauf hin, dass er das Prinzip der Leistungsanreize bei Hartz IV für angebracht halte. Außerdem müsse Deutschland wettbewerbsfähig bleiben, wenn es der Wirtschaft auch in zehn Jahren noch gut gehen solle.

Katja Kipping, Vorsitzende der Links-Partei, schlug zu Beginn ungewohnt sanfte Töne an, als sie von Moderatorin Maybrit Illner gefragt wurde, wer die Schuld habe an der sozialen Misere. Die Parteivorsitzende ließ komischerweise die Gelegenheit aus, die SPD anzugreifen. Stattdessen hofierte sie Sigmar Gabriel. "Es bringt nichts darüber zu sprechen, wer wie viel Prozent Schuld hat. Ich konzentriere mich darauf, was in der Zukunft passiert", sagt sie in Richtung Gabriel. Illner fragte nach dieser Steilvorlage sofort nach einer rot-rot-grünen Koalition. Solange die Sozialministerin die Hartz-IV-Regelsätze absichtlich kleinrechne, sei es ihre Aufgabe als Oppositionsführerin, sie dafür zu kritisieren. Sollte sich die SPD aber für einen Politikwechsel entscheiden, sei die Linke dafür die erste Adresse.

Angeregt durch einen Vorschlag des Chefredakteurs der Zeitschrift "Capital", Horst von Buttlar, diskutierte die Runde anschließend über die Sinnhaftigkeit von Steuersenkungen. Buttlar befand Steuersenkungen als ein gutes Instrument, um Arbeitnehmern etwas von ihrem Geld zurückzugeben. Dagegen hielt Volkswirtschaftsprofessor Sebastian Dullien eine Zahl: Etwa 50 Prozent der Haushalte zahlen keine Einkommenssteuer. Steuerentlastungen würden daher nur den höheren Einkommen helfen.

Sigmar Gabriel und Katja Kipping forderten daraufhin unisono, das überschüssige Geld im Staatshaushalt zu investieren. Gabriel schlug vor, Kita-Gebühren abzuschaffen und das Geld in digitale Infrastruktur, die Ausstattung von Schulen und in Forschung und Entwicklung zu stecken. Dabei rannte er bei Kipping offene Türen ein. Die öffentliche Hand brauche mehr Geld, um es in Projekte zu investieren, die allen nützten, sagte die Linken-Politikerin.

VDA-Präsident Wissmann sträubte sich gegen zu viel Sozialromantik. Alle redeten immer von den fünf bis zehn Prozent oben und von den fünf bis zehn Prozent unten, von den 80 Prozent in der Mitte spreche keiner.

Fazit

Auch wenn die Runde jedes Stichwort zum Thema soziale Gerechtigkeit, das in den vergangenen Jahren diskutiert wurde, ansprach, eine Antwort auf die Eingangsfrage gab niemand. Am Ende wollte sich niemand um die Verlierer kümmern.

(heif)
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