TV-Nachlese Maybrit Illner Kölner Pfarrer nennt Religion "saugefährlich"

Düsseldorf · Nach den Anschlägen in Brüssel diskutiert Maybrit Illner über den Terror und "die Bedrohung in und aus unserer Mitte". Und diesmal wird es kein trockener Polit-Talk – was insbesondere einem Kölner Pfarrer und einem Ex-Salafisten zu verdanken ist. Der Talk im Check.

 Der Kölner Pfarrer Franz Meurer bei Maybrit Illner.

Der Kölner Pfarrer Franz Meurer bei Maybrit Illner.

Foto: Screenshot ZDF

Nach den Anschlägen in Brüssel diskutiert Maybrit Illner über den Terror und "die Bedrohung in und aus unserer Mitte". Und diesmal wird es kein trockener Polit-Talk — was insbesondere einem Kölner Pfarrer und einem Ex-Salafisten zu verdanken ist. Der Talk im Check.

Darum ging's:

"Feinde im eigenen Land — was tun gegen den IS-Terror?" lautete der Titel der Sendung. Und dabei sollte es eben nicht nur um den IS selbst gehen, sondern auch um jene Rekrutierten, die in Frankreich, Belgien oder auch Deutschland geboren und aufgewachsen sind.

Darum ging's wirklich:

Diskutiert man darüber, wie man den Terror "aus unserer Mitte", wie Illner es nannte, begegnen will, dann muss man vor allem über Integration sprechen - und darüber, junge Menschen am Rande der Gesellschaft nicht allein zu lassen. Das wurde dann auch in der Talkshow schnell klar.

Die Runde:

Eingeladen waren der Londoner Terrorismusforscher Peter Neumann, der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach, der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke), die Jesidin und Journalistin Düzen Tekkal, der Kölner Pfarrer Franz Meurer, der in einem Viertel tätig ist, in dem überwiegend Muslime leben, und der Mönchengladbacher Ex-Salafist Dominic Musa Schmitz.

Frontverlauf

Es war ein angenehmer Talk in dem Sinne, dass es keine parteipolitischen Zänkereien gab — auch nicht zwischen Bosbach und Ramelow. Insbesondere Bosbach und Neumann waren sich einig, dass es gemeinsame europäische Linien beim Kampf gegen den Terror geben müsse. "Wir müssen zu einer gemeinsamen europäischen Lösung bei derGefahrenabwehr kommen", sagte etwa Bosbach. Und Neumann bemängelte unter anderem, dass bislang nur vier Staaten Daten zu Gefährdern an Europol geschickt hätten und dass dies auch nur die Polizeien und nicht die Geheimdienste täten, weil es ja eine Polizeibehörde sei. Auch Ramelow forderte gemeinsame Mindeststandards auf europäischer Ebene. Neumann warnte, dass es immer wieder zu Anschlägen kommen werde, aber er sagte auch: "Neukölln ist nicht Molenbeek". Das belgische Problemviertel sei seit Jahrzehnten vom Staat allein gelassen worden, so etwas habe man in Deutschland nicht.

In Bezug auf die Integration von Flüchtlingen sagte Ramelow, man müsse ihnen auch "unsere Hausordnung", also Rechte und Pflichten vermitteln. Und: "Religion darf nie Teil des Problems sein, sondern er muss Teil der Lösung sein." Tekkal betonte, dass auch die Jesiden (und alle anderen Muslime) in der Pflicht seien, Position zu beziehen, sich von Gewalt zu distanzieren — und zwar nicht nur von terroristischer Gewalt, sondern etwa auch in der eigenen Familie (Thema "Ehrenmord"). "Bildung allein schützt vor Extremismus nicht", gab sie sich überzeugt.

Bemerkenswertester Gast

Der Kölner Pfarrer Franz Meurer war der Optimist schlechthin in der Runde. Er berichtete aus der Arbeit in seiner Gemeinde, in der überwiegend Muslime leben. "Bei uns geht es nicht viel ums Reden, sondern ums Handeln", sagte er etwa, sprach von gemeinsamen Weihnachtsfeiern mit Christen und Muslimen, von der Einrichtung eines jesidischen Friedhofs im Viertel, nannte ganz einfache Rezepte wie gemeinsames Waffel-Backen, um sich einander anzunähern und sich kennenzulernen. "Es sind die Mühen der Ebene", sagte er. Aber er sprach auch vom "Recht auf Strafe", dass Delikte — und zwar möglichst schnell — bestraft werden müssen.

Spannendster Gast

Dominic Mus Schmitz aus Mönchengladbach war mit 17 Jahren zum Islam konvertiert, hatte sich dann dem Salafismus angeschlossen. Inzwischen ist er ausgestiegen, hat ein Buch geschrieben, wirbt an Schulen für einen friedlichen Islam. Er konnte Einblicke geben, wie junge Menschen von Islamisten rekrutiert werden.

Die Salafisten, sagte er, wollten natürlich am liebsten jeden anwerben, aber es seien eben die Jugendlichen mit Problemen, die für die einfachen Antworten auf tiefsinnige Fragen des Lebens empfänglich seien. Auch ihm sei es so ergangen, er habe als 17-Jähriger einfache Antworten haben wollen — und die hätten die Salafisten immer parat gehabt. Dass er sich dem Salafismus und nicht allein dem Islam zugewandt hat, erklärt er sich damit, dass er wohl Brüderschaft, das Anderssein, die Rebellion haben wollte.

Der Punkt auszusteigen sei bei ihm in dem Moment gekommen, "als ich wirklich realisiert habe, dass ich gar kein Ich mehr hatte, dass diese ganze Ideologie mein Denken, Fühlen und Handeln bestimmt hat und ich gar keine Identität mehr hatte". "Ich wollte wieder selbst entscheiden können, wen ich liebe, wenn ich hasse."

Satz des Abends:

"Religion ist saugefährlich", sagte Pfarrer Meurer und brachte damit den Satz des Abends, den er auch im Fortgang noch erläuterte. "Wenn du willst, dass ein guter Mensch was Böses tut, führe ihn zur Religion." Und an anderer Stelle fügte er noch an: "Religion muss sich der Vernunft unterwerfen", zuerst kämen Menschenrechte, das Grundgesetz oder auch Respekt.

Erkenntnis

Viel Neues gab es am Ende nicht, denn alle sind sich einig, dass Integration ein wichtiger Punkt ist, um dem Terrorismus ein Stück weit zu begegnen und zu verhindern, dass junge Menschen von Islamisten rekrutiert werden. Genau das ist auch der Punkt, der in der aktuellen Politik — mit den unterschiedlichsten Rezepten — diskutiert wird.

(das)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort