TV-Kritik Maybrit Illner Neun Jahre lang Schikane

Düsseldorf · Maybrit Illner befasst sich mit dem Mieten-Wahnsinn. Die Not ist groß: In Boom-Städten ist eine Wohnung mit einem normalen Einkommen nicht mehr zu finanzieren. Bei Investoren kommt es zu Exzessen. Ein Miet-Opfer berichtet bei Illner von unsäglichen Methoden.

 Maybrit Illner diskutierte am Donnerstagabend über Auswüchse auf dem Wohnungsmarkt.

Maybrit Illner diskutierte am Donnerstagabend über Auswüchse auf dem Wohnungsmarkt.

Foto: Screenshot ZDF

Das Elend auf dem Wohnungsmarkt ist bekannt. Die geballten Zahlen, die Illner zu Beginn ihrer Sendung mit dem Titel "Mieter, Makler, Spekulanten" vorstellt, beeindrucken dennoch. Innerhalb von fünf Jahren explodierten die Preise in München um 30 Prozent, in Berlin sind es 27 Prozent, Stuttgart wartet mit 23 Prozent auf.

Für eine kleine Zweizimmer-Wohnung kommen so leicht schon 1000 Euro zusammen, wer eine Familie unterbringen muss, zahlt entsprechend mehr. Die Folge: Normalverdiener können sich eine Wohnung in der Innenstadt nicht mehr leisten. "Wohl dem, der momentan keine Wohnung sucht in Deutschland", kommentiert Illner das Elend in den Städten.

Für Jürgen Michael Schick, Vize-Präsident des Immobilienverbands Deutschland, liegt auf der Hand, wer für die Misere verantwortlich ist: "Die Politik hat das Thema jahrelang ignoriert und auf die lange Bank geschoben", sagt er. SPD-Fraktions-Chef Thomas Oppermann nickt. In dieser Sache herrscht Einigkeit. Auch FDP-Frau Katja Suding und Jan Kuhnert, Mitbegründer des Berliner Mietenvolksentscheids stimmen zu: In Deutschlands Städten wurde viel zu lange viel zu wenig gebaut.

Der Rest folgt der Logik der Marktwirtschaft: Der Mangel an Wohnfläche treibt die Nachfrage und damit auch den Preis in die Höhe. Entsprechend groß der Anreiz für profitgierige Spekulanten und Miethaie. Welche Ausmaße das mitunter annimmt, schildert die Berlinerin Tanja Stoffenberger, der Illner viel Zeit zum Erzählen einräumt. Neun Jahre lang kämpfte sie dagegen an, aus ihrer langjährigen Wohnung in Kreuzberg vertrieben zu werden. Ursprünglich gehörte das Wohnhaus einer gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft, wurde aber dann an einen privaten Investor gekauft.

Damit begann ein Horrortrip. Erst wurden Modernisierungen und höhere Mieten angekündigt, was bereits etliche Mieter aus dem Haus ekelte, aber niemals eingelöst wurde. Im zweiten Schub statteten die neuen Besitzer die jetzt leerstehenden Räume mit Matratzen aus, die sie zu kriminellen Preisen an Rumänen vermieteten.

Systematische Schikane

Darauf folgte ein Bautrupp, der flächendeckend Schlösser und Türen zerstörte, so dass sich die Mieter in ihrem eigenen Haus nicht mehr sicher fühlten. Stoffenberger erzählt, wie das Umfeld offenbar systematisch verschandelt und baufällig gemacht wurde: Bilder zeigen zerstörte Putzflächen, Wasserschäden, Müllhalden, gerodete Außenflächen. Stoffenberger kämpfte, klagte, beschwerte sich bei Behörden. Als ihr dann noch jemand die Wasserleitung kappte, gab sie auf. Heute ist sie "entmietet" und bei einem Bekannten untergekommen.

Niemand in dem bisweilen vor lauter Fachlichkeit drögen Talk lässt einen Zweifel daran, dass dieser Fall eine extreme Ausnahme und alles andere als repräsentativ für die Situation zwischen Mietern und Vermietern in Deutschland ist. "Ein Rambo-Vermieter, ein schwarzes Schaf", sagt Schick. Doch zeigt der Fall Stoffenberger in aller Deutlichkeit die Tücken der Marktwirtschaft auf: Dort wo Gewinnmargen riesig sind und ein Investor mit Abriss und Rauswurf der angestammten Mieter am Ende das Fünffache seines Einsatzes verdienen kann, ist die Versuchung offensichtlich groß.

So kommt zum Ende der Sendung vermehrt der Ruf nach dem Staat auf. Selbst Immobilienverbands-Chef Schick sieht den in der Verantwortung, die Rahmenbedingungen für Neubauten zu erleichtern und so auch an der Wurzel des Übels etwas anzupacken. Die Kosten für den Bau seien um 40 Prozent gestiegen. Maßnahmen der Politik wie die Mietpreisbremse hält er hingegen für reine Symbolpolitik. Dem stimmt auch Suding zu. Sie befürchtet gar einen gegenteiligen Effekt, weil die Bremse Investoren abschrecken könnte.

Oppermann reumütig

Oppermann gibt sich als Vertreter der Regierungsparteien demütig. Er räumt offen Versäumnisse der Politik ein. Die habe zu spät reagiert und zu rigide Vorschriften für das Baurecht erlassen. Hier verspricht er nachzubessern. Zugleich wünscht er sich ein Comeback des staatlich organisierten Wohnungsbaus und eine soziale Durchmischung der Städteviertel. Jan Kuhnert (Grüne) fordert gar eine Verdopplung des öffentlichen Bestands, um bezahlbares Wohnen wieder möglich zu machen. Eine Million Sozialwohnungen seien zu Schleuderpreisen an Private verkauft worden. "Die fehlen heute" so Kuhnert.

Selbst die FDP-Politikerin Suding ist offen für ein stärkeres Engagement des Staates, dem sie einen Versorgungsauftrag zuschreibt. Dennoch sei es nicht Aufgabe des Staates, Wohnungen zu bauen. Der könne aber sehr wohl mit Investoren kooperieren und beispielsweise für fest ausgehandelte Zeiträume Wohnraum für soziale Zwecke anmieten. Schick forderte ähnliches, Kommunen sollten endlich "Grundstücke rausrücken".

Seine Ansage: "Der einzige Schutz gegen hohe Mieten sind mehr Wohnungen." Kein Widerspruch. Auch wenn das den aktuell Betroffenen kaum helfen wird.

(pst)
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