Talksendung Maybrit Illner Die Lehren aus dem Anschlag von Berlin

Düsseldorf · Der Anschlag von Berlin wirft viele Fragen auf. In ihrer Spezialsendung versuchte Maybrit Illner am Dienstagabend, einige zu beantworten und mit ihren Gästen Mittel gegen Angst und Terror zu finden.

Darum ging es

Wie verändert die Todesfahrt mit einem Lkw in einen Weihnachtsmarkt das Land? Das wollte Maybrit Illner von ihren Gästen wissen. Was weiß man über die Tat und den Täter, wie gut ist Deutschland auf solche Anschläge vorbereitet? Das sollte in der Sendung geklärt werden.

Darum ging es wirklich

Es ging weniger um den Anschlag in Berlin, sondern um die Lehren daraus. Wer führt eigentlich so einen Anschlag aus, und wie kann man ihn davon abhalten? Was ist bisher falsch gelaufen, was kann man besser machen bei der Terrorbekämpfung? Es ging nicht nur darum, Fehler aufzuzeigen, sondern endlich auch einmal Lösungen zu liefern.

Die Gäste

  • Maggie Schauer, Traumapsychologin
  • Armin Laschet, Stellvertretender Vorsitzender der CDU, Vorsitzender der NRW-CDU
  • Renate Künast, Die Grünen, Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag
  • André Schulz, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK)
  • Peter Neumann, Terrorismusexperte
  • Nemi el Hassan, Studentin, Autorin

Frontverlauf

"Alle hatten damit gerechnet, zumindest die, die sich mit der Terrorgefahr beruflich beschäftigen", leitete Moderatorin Maybrit Illner die Sendung ein. Nichtsdestotrotz sei der Anschlag von Berlin ein einschneidendes Erlebnis. "Alle Trauernden brauchen Mitgefühl und Trost. Alle, die Angst haben, brauchen Antworten. Unsere Gäste werden Ihnen davon nicht genug geben können. Wir wollen dennoch sammeln, was wir wissen, was wir nicht wissen, was wir fürchten müssen und was wir tun können."

Zunächst ging es um die Einordnung. Hätte man wissen müssen, dass es Anschläge auf Weihnachtsmärkte geben könnte? Terrorismusexperte Neumann weist darauf hin, dass es in Frankreich Ende 2014 bereits mehrere Anschlagsversuche auf Weihnachtsmärkte gegeben habe. Hinzu kommt der Lkw-Anschlag von Nizza: "Das war ein Anschlag, der aus Sicht des Islamischen Staates so erfolgreich war, dass ich überrascht wäre, wenn es keine Nachahmer geben würde", sagte Neumann. BDK-Mann Schulz sieht Weihnachtsmärkte — so, wie viele andere öffentliche Veranstaltungen auch — als sogenanntes weiches Ziel. "Weihnachtsmärkte haben dazu einen besonderen Symbolcharakter, weil sie für ein christliches Symbol stehen. Das macht sie dann noch attraktiver."

Dann folgt schon die Lösungssuche: Kann man überhaupt jemanden stoppen, der einen Anschlag begehen will? "Sie können Vorsorge treffen, aber natürlich nicht im ganzen Land, auf jedem Marktplatz, in jedem Straßencafe, bei jedem Weihnachtsmarkt. Der Schutz kann versucht, aber nie total hergestellt werden", sagte Laschet. Terrorexperte Neumann befand, man müsse sich schon mehr Gedanken machen. "Mir ist das bei Nizza aufgefallen: Der Lkw ist 1,6 Kilometer gefahren, ohne, dass ihm eine Barriere im Wege stand." Man müsse drüber nachdenken, Polizeiautos zu positionieren, natürliche Barrieren nutzen, Poller oder Betonblöcke aufstellen. Das würde Anschläge nicht unmöglich machen, aber erschweren.

BDK-Mann Schulz sagte, das würde schon gemacht. Außerdem müsse man sich fragen: "Was wollen wir den Bürgern zumuten?" Mann müsse abwägen, was man wolle, welche Einschränkungen wie Einzäunungen, Abtasten, Sicherheitskontrollen man haben wolle. "Wenn wir Weihnachtsmärkte sicher bis zu einer Festung machen, ist es beim nächten Mal wieder ein Einkaufszentrum."

Traumapychologin Schauer sieht einen anderen Weg, Anschläge zu verhindern. "Wir müssten viel mehr Wert darauf legen, wie es den Menschen geht, die sowas tun." Untersuchungen in verschiedenen Ländern hätten ergeben, dass Gewalt in der Kindheit eine große Rolle spiele. Diese Menschen müssten Psychotherapien bekommen.

Sie erklärt Anschläge so: In der Regel belohne die eigene soziale Gruppe einen Anschlag. Das sei ein Anreiz, reiche aber noch nicht aus. Man brauche auch ein gewisses "Kamikazetum". Die eigenen Ängste müsse man überwinden — "da brauche ich eine gewisse psychische Disposition". Die Untersuchungen zeigen: "Wenn lange genug Krieg geherrscht hat in solchen Ländern, dann finden wir eine hohe Zahl Männer, die bereit wäre, mit Gewalt zu reagieren für eine bestimmte Ideologie", erklärt Schauer.

Wie kann die Polizei solchen Menschen auf die Spur kommen? Schulz spricht von "riesigen Datensätzen", die durchforstet werden müssten, auch im Berliner Fall. "Für uns ist es wichtig, die Nadel im Heuhaufen zu finden." Viele Anschläge hätten so schon verhindert werden können.

Laschet sieht ein weiteres großes Problem. Lange habe man geglaubt, dass jedes Land das Problem alleine lösen könne. Er nimmt Bezug auf den Fall der getöteten Freiburger Studentin. "Der Täter kommt an die Grenze, wird kontrolliert, die Bundespolizei weiß aber nicht, dass er Täter in Griechenland war", sagt Laschet. Man müsse darin eine gesamteuropäische Bedrohung sehen und zusammenarbeiten.

"Das fällt Ihnen nach 20 Jahren ein", entgegnet Schulz. "Sie schaffen einen Schengenraum, wo wir sagen, wir können die Außengrenzen gar nicht sichern. Waren Sie mal in Griechenland? Wie wollen sie denn die Grenzen von 1000 Inseln sichern? Wir haben uns darauf verlassen, dass andere Länder die "Drecksarbeit" für uns machen", sagte er. Es sei gut gegangen, weil bisher keiner kam. Jetzt habe man erstmals den Fall, dass mit Syrien ein Kriegsgebiet in der Nähe ist.

Da stimmt auch der Terrorexperte Neumann zu: Die Sicherheitsbehörden müssten mehr zusammenarbeiten. "Das ist ein Skandal und das können wir uns nicht mehr leisten", stellte er klar. Außerdem werde nach jedem Anschlag eine neue politische Sau durchs Dorf getrieben. Immer gebe es eine Wunderwaffen, von der Gesichtserkennung bis zum Burkiniverbot. "Wäre es nicht toll, wenn wir aus dieser Tragödie die Lehre ziehen, dass wir eine allumfassende Strategie brauchen?", sagt Neumann. Bessere Kooperationen zwischen den Ländern in Europa, mehr Prävention, Poller und genug Personal zum Beispiel.

Fazit

Die Gäste und auch Deutschland reagieren besonnen auf den Anschlag. Man müsse die Ängste zulassen, sie aber rational betrachten, sagte die Psychologin. Das Risiko, Opfer eines Terroranschlags hierzulande zu werden, liegt laut Illner bei eins zu 23 Millionen.

Die Gäste scheinen sich einig zu sein: Die Analyse der Terrorursachen ist langsam abgeschlossen, jetzt müssen Lösungen her und umgesetzt werden: Die Sicherheitsbehörden in Europa müssen enger zusammenarbeiten und sich austauschen, die Außengrenzen gesichert werden, Menschen, die Gewalt in ihrer Kindheit erlebt haben, müssen erkannt und psychologisch betreut werden.

Zitat des Abends

Zum Ende der Sendung kommt Studentin und Publizistin Nemi el Hassan zu Wort, sie trägt ein Kopftuch:

"Wenn wir anfangen, zu glauben, dass wir nicht mehr sicher sind in Deutschland, in Berlin, dann haben diese Leute gewonnen. Wir müssen stattdessen Allianzen schließen, über religiöse Grenzen hinaus, über nationale Grenzen hinaus. Wir müssen zusammenstehen und uns die Hand reichen."

(mre)
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