TV-Kritik "Maybrit Illner" "Wir müssen die Türkei jetzt ganz doll mögen"

Düsseldorf · Deutschland will sich mit Tornados und einer Fregatte im Kampf gegen den IS engagieren. Doch ist das wirklich die richtige Antwort auf den Terror? Und welche Ziele verfolgen eigentlich andere Staaten wie Russland oder die Türkei in Syrien? Auf diese Fragen fand der Talk bei Maybrit Illner teils konstruktive, teils skurrile Antworten.

 Die Runde bei Illner diskutierte konstruktiv über Antworten auf den Terror des IS.

Die Runde bei Illner diskutierte konstruktiv über Antworten auf den Terror des IS.

Foto: Screenshot ZDF

Erkenntnis

Heute kommt die Erkenntnis gleich zu Beginn. "Wir mögen die Kurden, die tapfer gegen den IS kämpfen. Das mag die Türkei nicht. Das mögen wir zwar nicht, aber noch weniger mögen wir unkontrollierte Flüchtlingsströme. Deshalb müssen wir die Türkei jetzt ganz doll mögen, sonst mag die Türkei unsere Außengrenzen nicht sichern".

Nein!, möchte man schreien. So einfach ist das doch nicht! Bei Maybrit Illner wurde in dieser Woche am Glücksrad gedreht, und heraus kamen Aussagen, die dem Zuschauer helfen sollen zu verstehen, "wer in Syrien eigentlich mit welchem Interesse kämpft und welche Rolle wir dabei jetzt spielen sollen", wie Illner sagt. Teils haarsträubende Aussagen. Denn die Konstellation in Syrien ist kompliziert, und das bleibt auch so, da kann das ZDF so lange am Glücksrad drehen, lachende oder grimmige Smiley zeigen und Sätze zum besten geben wie "Russland mögen wir wegen der Ukraine nicht. Aber Russland kämpft gegen den IS. Das mögen wir", wie es will. Das Stichwort "Stammtischparole" kommt in den Sinn.

Darum ging's wirklich

Schade, denn abgesehen von dem Aussetzer mit dem Glücksrad war die Sendung ein Gewinn. Zwar hatte der Titel der Talkrunde "Angst, Panik, Krieg — alte Antworten auf den neuen Terror?" die Kraft, dem Zuschauer das Blut in den Adern gefrieren zu lassen. Knapp zwei Wochen nach den Terroranschlägen in Paris sind viele Menschen verunsichert. "Die Sorge ist groß, dass die Täter nur darauf warten, wieder zuzuschlagen", fasst Illner die Stimmung zusammen. Doch was dann folgt, ist kein Krawall-Talk, der Ängste weiter schürt, sondern eine konstruktive Suche nach Antworten auf die Schrecken der vergangenen Tage.

Eine zentrale Frage: Ist es zielführend, in Syrien Tornados einzusetzen, wenn die Attentäter von Paris aus Europa, nämlich Frankreich und Belgien, kamen? Auch dieser höchst aktuelle Bezug zur Entscheidung Deutschlands vom Nachmittag, den millitärischen Einsatz gegen den IS zu verstärken, ist ein klarer Pluspunkt für Illner.

​​Die Runde

Die Runde war groß, und sie war bunt durchmischt. Das sorgte für eine lebhafte und für den Zuschauer gewinnbringende Diskussion. Da war der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger. Er sprach sich klar für einen militärischen Einsatz gegen den IS aus, forderte aber gleichzeitig dazu auf, auch darüber hinaus ein Konzept zu entwickeln. "Wir dürfen die Strategie nicht auf das Militärische verengen", sagte Ischinger. Der russische Botschafter in Deutschland, Wladimir Grinin, verteidigte - wenig überraschend - das Bündnis seiner Regierung mit Syriens Diktator Baschar al-Assad. "Wir bekämpfen in Syrien Terroristen", sagt er. Und: "Ohne Assads Truppen geht es nicht". Auf die Frage, was mit Assad passieren soll, sollte der Krieg gegen den IS irgendwann beendet sein, hatte Grinin allerdings keine Antwort parat.

Anschläge in Paris: Die blutige Spur des Terrors
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Tatort Paris – die blutige Spur des Terrors

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Foto: afp, le

Unerwartet und deshalb bemerkenswert war die Haltung des ehemaligen Grünen-Chefs Jürgen Trittin. Zwar forderte er für Syrien eine politische Strategie und glaubte nicht, dass das Militär allein die Probleme lösen kann. Doch auch wenn er vorsichtig argumentierte, präsentierte er sich klar als Befürworter eines militärischen Einsatzes gegen den IS. Vor einigen Jahren noch wäre es undenkbar gewesen, dass sich ein Grünen-Politiker so stark für ein militärisches Eingreifen einsetzt. Trittins Haltung zeigte, dass der IS parteiübergreifend als ernst zu nehmende Bedrohung wahrgenommen wird, die eine entschiedene Reaktion fordert. Dass das so ist, zeigte auch ein Zitat von Angela Merkel, das zu Beginn der Sendung eingeblendet wurde: "Der Islamische Staat lässt sich nicht mit Worten überzeugen. Er muss mit militärischen Mitteln bekämpft werden", hatte Merkel bei einem Treffen mit Frankreichs Präsident Francois Hollande gesagt.

Florian Hahn, außen-und verteidigungspolitischer Sprecher der CSU im Bundestag, legte seinen Fokus auf die Rolle Russlands, die er kritisch sieht. Zusätzlich äußerte er aber auch Kritik an dem Verhalten der Türkei. Klare Worte zur Türkei fand auch Deniz Yücel, Türkei-Korrespondent der "Welt". Die Türkei nutze den Einsatz gegen den IS als Vorwand, um gegen die Kurden Krieg zu führen, sagte er. Doch auch mit der Kanzlerin rechneteYücel ab: "Bislang hat sich Deutschland in Syrien nicht engagiert. Das war garantiert nicht der richtige Weg".

Bemerkenswertester Gast

Pepp in die Runde brachte die einzige Frau. Florence Gaub, Sicherheitsanalystin beim Europäischen Institut für Sicherheitsstudien in Paris, zwang mit ihren Fragen und Argumenten immer wieder nicht nur die anwesenden Gäste, sondern auch den Zuschauer zum Nachdenken. "Der IS kommt aus dem Irak, es ist eine irakische Bestie. Dort wurde es geboren, und muss auch dort sterben", war so eine Satz.

Satz des Abends

"Es ist absurd zu glauben, dass Wegducken hilft". Ischinger will der Bevölkerung den "Zahn ziehen", dass Deutschland vor einem Angriff des IS sicher sei, wenn sich das Land aus dem Krieg in Syrien heraushalten würde. Die aktuellen Entscheidungen legen nahe, dass dies auch die (neue) Haltung der Bundesregierung ist.

Sieger nach Punkten

Einen "Sieger" der Diskussion gab es nicht. Gewinner aber war der Zuschauer. Die Diskussion bei Illner war konstruktiv und die Beiträge der Gäste überwiegend gut durchdacht. Sprich: Keine weitere Krawall-Sendung ohne Inhalt, die den Zuschauer nur noch weiter verunsichert. Stattdessen ein Gespräch, aus dem der Zuschauer etwas mitnehmen konnte. Bleibt nur zu hoffen, dass er die Nummer mit dem Glücksrad schnell wieder vergessen hat.

(lsa)
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