Türkei-Talk bei "Maybrit Illner" "Heiße Phase ums Referendum — dann sind alle Mittel erlaubt"

Düsseldorf · Die Türkei war zum dritten Mal in vier Wochen Talk-Thema bei Maybritt Illner. Dieses Mal stand die Spionageaffäre um den türkischen Geheimdienst im Fokus. Tenor der Runde: Der türkische Geheimdienst hat aus Kalkül gehandelt.

Darum ging's:

Der türkische Geheimdienst MIT hat laut einer schwarzen Liste mehr als 350 Menschen sowie Organisationen in Deutschland ausspioniert, darunter zwei deutsche Politikerinnen. Die AKP versucht offenbar, ihre Gegner und Kritiker auch hierzulande unter Druck zu setzen. "Müssen Türken in Deutschland, die beim Referendum mit Nein stimmen, darum bangen, ob ihre Wahl geheim bleibt?", fragte Gastgeberin Maybrit Illner zu Beginn der Sendung. Unter den knapp drei Millionen Deutsch-Türken herrschten Misstrauen, Angst und Feindschaft. Von ihren Gästen wollte Illner wissen, ob sich diese Risse jemals wieder schließen lassen und was die Spionageaffäre für das deutsch-türkische Verhältnis bedeutet.

  • Stephan Mayer (CSU), Innenpolitischen Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag
  • Erich Schmidt-Eenboom, Sicherheitsexperte und Geheimdienstkenner
  • Mürvet Öztürk, fraktionslose Abgeordnete im hessischen Landtag. Die Integrationspolitikerin hat eine Kampagne gestartet, die Deutsch-Türken ermutigen soll, beim Verfassungsreferendum mit Nein zu stimmen
  • Haluk Yildiz, Erdogan-Anhänger und Gründer der islamischen BIG-Partei
  • Ralph Ghadban, Islamwissenschaftler und Politologe
  • Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, ehemalige Bundesjustizministerin

Frontverlauf:

Schon früh war klar: Die Runde würde sich weitgehend einig sein. Nur ein Gast, Haluk Yildiz, war pro Erdogan. Die AKP-kritische Landtagsabgeordnete Mürvet Öztürk glaubt nicht, selbst vom türkischen Geheimdienst ausspioniert worden zu sein. Sie wisse aber von vielen in Deutschland, die beim Referendum gerne mit Nein stimmen würden, aber eingeschüchtert seien, weil die AKP sie als Terroristen bezeichnet habe. "Das hat hier schon sehr nachhaltig gewirkt, so dass die Menschen sich überlegt haben, nicht mehr wählen zu gehen." Es könne nicht sein, dass ein Rechtsstaat wie Deutschland nicht sicherstellen könne, dass die Menschen hier unbesorgt zur Wahlurne gehen und mit Nein stimmen könnten.

Illner wollte von Öztürk wissen, was für Menschen auf dem Spiel stehe, die sich in Deutschland zu einem Nein bekennen, aber Verwandte in der Türkei haben. Öztürks Antwort: Einige hätten Angst, dann nicht mehr in die Türkei einreisen zu dürfen. Oder dass sie sich dann um ihre Angehörigen sorgen müssten. "In der ganzen Debatte geht es aber nicht nur um Gülen-Anhänger", betonte Öztürk. Auch viele Oppositionelle, die in der Türkei für Menschenrechte und Meinungsfreiheit einträten, würden drangsaliert.

Nur ein Erdogan-Anhänger in der Runde

Erwartungsgemäß sah Haluk Yildiz das anders: "Sie beschreibt ein Land, das mir fremd ist. Ich weiß nicht, woher sie ihre Quellen hat", sagte er mit Blick auf die Politikerin. "Ich finde diese Argumente absolut an den Haaren herbeigezogen." Yildiz, dessen BIG-Partei im September bei den Bundestagswahlen antreten will, verwies darauf, Gegner von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan seien bei vergangenen Wahlen auch nicht drangsaliert worden. Auf der Liste des MIT stünden nicht "irgendwelche Gülen-Anhänger", sondern Menschen, die gesucht würden. Die deutsche Politik versuche, Stimmung gegen die türkische Regierung zu machen und im Wahlkampf von innenpolitischen Themen abzulenken.

Absichten des türkischen Geheimdienstes im Fokus

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hinterfragte, warum der MIT sich mit der Liste an den Bundesnachrichtendienst (BND) gewandt habe. Das sei eine Aufforderung gewesen, hierzulande Grundrechte zu verletzen. Einen Paradigmenwechsel nannte sie, dass der BND dieser Bitte nicht gefolgt sei. Dass der MIT in Deutschland spioniere, sei nicht neu, sagte der CSU-Politiker Stephan Mayer. Dass er es so offen zugebe aber schon: "Das ist ja das Dreiste an dem Vorgang." Seiner Meinung nach stehe eine "perfide" Strategie Erdogans dahinter, die Bevölkerung hinter sich zu versammeln, indem der Feind im Ausland gesucht und gefunden werde.

Nach Ansicht des Sicherheitsexperten Erich Schmidt-Eenboom reicht es nicht aus, dass der Generalbundesanwalt nun gegen den MIT ermittelt: "Meiner Meinung nach müsste man die führenden Mitarbeiter aus Deutschland ausweisen." Er wertet das Vorgehen ebenfalls als nützlich für Ankara und formulierte eine steile These: Wenn Deutschland sich weigere, jene zu beobachten, die in der Türkei als Terroristen gelten, dürfe es künftig auch keine MIT-Informationen etwa über IS-Kämpfer, Graue Wölfe und andere erwarten.

Laut dem libanesischen Islamwissenschaftler Ralph Ghadban war die Übergabe der Liste ein "Manöver", um die Türkei zu polarisieren und Angst zu schaffen. Das könne Erdogan für sich nutzen. "Jetzt sind wir in der heißen Phase ums Referendum - und dann sind alle Mittel erlaubt", sagte Ghadban. Alleinkämpfer Yildiz entgegnete, die Runde unterstelle dem BND, er sei Erdogan auf den Leim gegangen. "Das finde ich sehr verwerflich."

Wie soll man weiter mit dem Nato-Partner zusammenarbeiten?

Öztürk wünschte sich beim Schutz der Betroffenen mehr Unterstützung und klare Kante von der Bundesregierung. Die Verhältnisse - das Denunziantentum oder dass Menschen etwa aufgrund eines Facebook-Posts fürchten müssten, nicht mehr in die Türkei einreisen zu dürfen - erinnerten sie an die DDR. "Es ist eine Katastrophe, dass die Türkei sich in diese Richtung entwickelt", ergänzte Leutheusser-Schnarrenberger. Das Vertrauensverhältnis zwischen beiden Regierungen und Nachrichtendiensten sei "zerrüttet" und "angespannt", sagte CSU-Innenexperte Mayer. Doch die Türkei bleibe ein wichtiger Partner Deutschlands: "Wir müssen darauf drängen, dass wir wieder ein vernünftiges Verhältnis zur Türkei bekommen."

Erstaunlich wenig Wortgefechte

Insgesamt war es eine ruhigere Gesprächsrunde, als das Thema vermuten ließ. Es ging noch um die Rolle der verbotenen türkischen Kurdenpartei PKK, die Gülen-Bewegung und die Frage, wie eine Zustimmung der Türkei zu der Verfassungsreform das Land ändern würde. Hitzig wurde es kurz, als Yildiz Deutschland vorwarf, im Glashaus zu sitzen und selbst in der Türkei zu spionieren. Was das alles für die türkische Community in Deutschland bedeutet, wurde nur unzureichend erörtert. Vielleicht hätte es hierzu mehr Betroffene gebraucht, die über ihren Alltag sprechen. Die dürften aber nicht leicht zu finden sein.

Satz des Abends:

"Erdogan ist ein Neo-Osmanist - bestrebt einen eurasischen, islamischen Staat einzuführen." (Erich Schmidt-Eenboom)

(RP)
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