"Ich bin ein Star — Holt mich hier raus!" Menderes gewinnt Dschungelcamp — ein Herz und keine Kehle

Gold Coast · Deutschland hat einen Mann zum Dschungelkönig gewählt, dessen größte Leistung es war, zerbrechlich zu sein, ohne zu zerbrechen. Die Entscheidung für Menderes Bagci ist die Entscheidung für einen Außenseiter, der Außenseiter bleiben wird – der melancholische Nachklapp zum letzten Tag im Dschungelcamp.

Dschungelcamp 2016: Menderes und Kandidaten feiern großes Wiedersehen
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Dschungelcamp 2016: Das große Wiedersehen der Kandidaten

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Foto: RTL/Stefan Menne

Deutschland hat einen Mann zum Dschungelkönig gewählt, dessen größte Leistung es war, zerbrechlich zu sein, ohne zu zerbrechen. Die Entscheidung für Menderes Bagci ist die Entscheidung für einen Außenseiter, der Außenseiter bleiben wird — der melancholische Nachklapp zum letzten Tag im Dschungelcamp.

Seine Krönungsrede beginnt der neue Dschungelkönig mit der Unabgezocktheit, die sein Markenzeichen geworden ist. "In welche Kamera jetzt?", fragt Menderes, der Schulbub von 31 Jahren. Den Siegersekt hat er nach dem Anstoßen ins Gebüsch gekippt — zu krass wäre das gewesen — auf den Kopf hat man ihm einen Blumenkranz gesetzt, der sonst im Frühjahr in deutschen Kleinstädten an die Haustür genagelt wird. Mit feucht durchgewischten Augen sagt er: "Ich habe bisher noch nie etwas gewonnen." Spätestens in diesem Moment weiß Telefon-Deutschland: Es hat die richtige Entscheidung getroffen.

Die letzte Folge von "Ich bin ein Star — Holt mich hier raus!" hatte sowohl etwas vom letzten Tag auf einem Festival — die Melancholie wehte durchs Lager — als auch von der letzten Etappe der Tour de France. Keiner tat dem anderen mehr etwas. Die Zuschauer wollten nur einmal noch ihre Lieblinge sehen. Bitte keinen Streit mehr, sondern ein Ende ohne Kontroverse. Zwar galt es noch, den Dschungelkönig zu krönen, aber hat das traditionell nur innerhalb des Camps eine Bedeutung.

Jedem Charakter seine Prüfung

Die Freude, die die Teilnehmer über das Erreichen des Finales zeigten, mochten die Zuschauer süß finden, doch in gleichem Maße rätselhaft. "Finale, das ist das Weltbeste", sagte Thorsten Legat zu Beginn, und Sophia Wollersheim war erstaunt: "Ich kann nicht glauben, dass die Leute mich so gerne haben." Es war die Freude von Leuten, die von der Hoffnung erfüllt waren, in Deutschland nicht mehr zu den Abgeschriebenen beziehungsweise erstmals zu den Aufgeschriebenen zu gehören.

Noch einmal durfte jeder eine Prüfung machen, die seinem Charakter entsprach. Thorsten krabbelte mit dem Ehrgeiz eines Oliver Kahns im Champions-League-Finale durch Kakerlaken und Fleischabfälle und über Warane und Krabben, um mit der Zunge, die bei der Bildung seines berühmtesten Schlagwortes "Kasalla" maßgeblich beteiligt war, die maximale Zahl der Sterne von den Schrauben drehen. "Ich weiß jetzt, wo meine Grenzen sind — ich habe keine", verkündete er danach. Was allerdings nichts an den Grenzen seines Fußballteams ändert: Der FC Remscheid liegt erstaunlicherweise noch immer auf einem Abstiegsplatz.

Sophia absolvierte die sexuell konnotierte Essensprüfung. Den Schweinehoden fand sie trocken. Das Geschlechtsorgan der Krokodilin verspeiste sie mit den Worten "Wer Hoden isst, kann auch eine Vagina essen". Nur die sexuell unverdächtigen Mehlwürmer ließ sie liegen.

Menderes, der Mann, der die Dinge lieber über sich ergehen lässt, als sie anzupacken, legte sich fünf Minuten in eine stockdunkle Kammer, die nach und nach mit Schlangen aufgefüllt wurde. Hätte er nicht am Ende angefangen zu singen, man hätte denken können, er sei eingeschlafen.

Eine Wahl, die ihren Namen verdient

Zur Belohnung begaben sie sich dann zum langweiligsten aller Camprituale, dem letzten Abendmahl. Für alle Zuschauer, die in den vergangenen zwei Woche nicht von Reis und Bohnen gelebt haben, war es unbegreiflich, warum sich Menschen so sehr über ein Stück Fleisch mit Pommes freuen.

Sodann durfte Deutschland wählen. Und Deutschland hatte an diesem Samstagabend tatsächlich eine Wahl. Es musste sich nicht entscheiden zwischen Parteien, deren Unterschiede sich ohne Wahl-O-Mat nicht erschließen, sondern hatte sich zwischen drei Typen zu entscheiden, die nur gemeinsam haben, irgendwie sympathisch zu sein: der Kampfsau mit Herz (Thorsten Legat), dem überraschend ein Charakter innewohnenden Busenwunder (Sophia Wollersheim) und dem Opfer, das sich seine Würde zurückerkämpft hat (Menderes).

Vorausgesetzt, die Anrufer hatten sie nicht aus ganz anderen Gründen bis zum 16. Tag des Dschungelcamps überleben lassen: Thorsten, weil er es wagte, Mann zu sein. Sophia, weil ihre Brüste die einzige Düsseldorfer Sehenswürdigkeit sind, die in keinem Stadtführer aufgeführt werden. Menderes, weil die Menschen Mitleid hatten, das furchtbarste aller menschenfreundlichen Gefühle.

Dass ausgerechnet diese drei es bis ins Finale geschafft hatten, war gar kein so schlechtes Zeichen. Geschafft hatte es nicht die Frau, die bloß süß aussieht (Nathalie Volk), nicht das dauerkeifende RTL-Gesicht (Helena Fürst), nicht die zwecks Seriositätszurückgewinnung völlig farblose gebliebene Blondine (Jenny Elvers), nicht der herrschsüchtige Sprachfehler (Ricky Harris), nicht der unterdurchschnittlich vom Verstand geprägte Schönling (David Ortega) — dass der gleich als erster raustelefoniert wurde, bedauerten nur die Akademiker unter den Zuschauern, denen Dramaturgie wichtiger war als Gerechtigkeit.

Deutschlands feines Gespür am Telefon

Im echten Leben kann man die Idioten und Arschlöcher nicht rauswählen, im echten Leben (so das Leben außerhalb des Fernsehens echter ist) nehmen diese Positionen ein, die ihnen aufgrund charakterlicher Uneignung eigentlich nicht zustehen, die sie aber aufgrund von Fähigkeiten — oder der erfolgreichen Vortäuschung dieser — doch einnehmen. Die Zuschauer des Dschungelcamps hingegen belohnen nicht Höchst-, sondern Herzleistungen. Nicht Rekorde, sondern Charakter. Vermutlich würde kein Vorsitzender eines Dax-Konzerns bis ins Finale kommen.

Es war deshalb gar nicht so wichtig, wer letztlich gewinnen würde, weil alle drei in Ordnung gingen. Dass Menderes gewann, vor Sophia und Thorsten, zeigt, dass Deutschland ein feines Gespür besitzt, wenn es zum Telefonhörer greift. Es ließ nicht das Sport-Ass gewinnen, nicht die Sexbombe, sondern den Mann, für den der Sieg der größte Ego-Booster war. Das tapfere Menderlein war zerbrechlich, ohne zu zerbrechen, und die Zuschauer hatten eine Schwäche für seine Schwächen.

Vielleicht schämten sie sich auch ein bisschen dafür, wie sie ihn in den vergangenen Jahren verlacht hatten. "Sorry", schienen sie zu sagen, "wir haben das alles nicht so gemeint." Die Zuschauer wählen eben nicht die, die am besten unterhalten — auch Larissa Marolt wurde einst nur Zweite — sondern die, die ihnen möglichst unaufdringlich ans Herz fassen, während sie Ungarisch-Chips-knabbernd vor dem Fernsehgerät lümmeln.

Allerdings gilt auch für Menderes — nein, besonders für Menderes — dass er seinen Sieg kaum langfristig wird nutzen können. Ein Triumph beim Dschungelcamp ist kein fruchtbarer Acker, von dem man ein Leben lang zehren kann, sondern eher eine Tüte mit Brötchen. Iss sie schnell, sonst hast du gar nichts mehr davon.

Menderes hat nach wie vor keine Talente, die ihm im Showbusiness helfen. Menschlichkeit allein reicht nicht aus. Er spricht nach wie vor mit dem Charisma eines Berufsschülers, er hat weiterhin nicht die Stimme seines Vorbildes Michael Jackson. Die Kamera ist nicht sein Freund, sondern höchstens ein Onkel zweiten Grades. Selbst er scheint zu wissen, wo sein Platz ist, weil der König des Dschungels eben nicht der König von Deutschland ist. Auch im nächsten Jahr will er bei "Deutschland sucht den Superstar" antreten.

(seda)
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