"Nervöse Republik" Nahaufnahmen aus der Welt der Politik

Berlin · Eine 90-minütige ARD-Dokumentation geht unter anderem dem Verhältnis von Journalisten und Politikern nach.

Mit einem sonoren "Plopp" fällt die Tür der gepanzerten Limousine zu. Bundesinnenminister Thomas de Maizière fährt zu einem Termin. Er greift in eine große Plastikdose mit Süßigkeiten, steckt sich ein Weingummi in den Mund. Vielleicht hätte er auch noch ein zweites oder drittes Stück genommen, wäre da nicht die Kamera auf dem Beifahrersitz.

Diese Szene ist vielleicht der menschlichste Moment in "Nervöse Republik", einem 90-minütigen Dokumentarfilm über die hektische und sonst eher steril wirkende Welt der Bundespolitiker und Politik-Journalisten. Der Film von Stephan Lamby taucht ein in einen Berufsalltag der eng getakteten Termine. Die Währung in dieser Welt ist Aufmerksamkeit. Was heute wichtig ist, interessiert in der nächsten Woche oft schon niemanden mehr.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird von "Wutbürgern" angepöbelt. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) und Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) schallt ein mehrstimmiges "Hau ab" entgegen. Ein Verteidiger der "Willkommenskultur" wirft der Fraktionschefin der Linken, Sahra Wagenknecht, eine Torte ins Gesicht. Das Auto von AfD-Chefin Frauke Petry brennt. Es ist 2016, ein Jahr, in dem Flüchtlinge, Terroranschläge, der Brexit, die Suche der SPD nach dem richtigen Kanzlerkandidaten und die Erfolge der AfD bei mehreren Landtagswahlen alte Gewissheiten erschüttern.

Die Kamera kommt den Protagonisten dieses Films sehr nahe. Man sieht Zungen, die nervös die Lippen benetzen, und Augen, die nicht mitspielen wollen, wenn sich der Mund zu einem gekünstelten Lächeln verzieht. Lamby hat de Maizière und Wagenknecht begleitet, er hat Parteitage besucht, hat lange mit der AfD-Chefin Petry gesprochen. Er hat die SPD-Generalsekretärin Katarina Barley und CDU-Generalsekretär Peter Tauber beobachtet, wie sie die Ergebnisse der Landtagswahlen analysieren und den Journalisten von "Spiegel" und "Bild" über die Schultern geschaut.

Es sei ihm nicht um die Ereignisse an sich gegangen, sagt Lamby, sondern "um die mediale Aufbereitung". Als Kämpfer in vorderster Reihe im Ringen um Wahrheit und Wahrhaftigkeit taucht im Film ein Reporter der "Sächsischen Zeitung" auf. Der Journalist aus dem Geburtsort des fremdenfeindlichen "Pegida"-Bündnisses ist der heimliche Held dieses Films. Furchtlos und mit bewundernswerter Geduld erklärt er auf der Straße einem mürrischen Verschwörungstheoretiker, wie Medien funktionieren. Er sagt, dass er sich von keinem Politiker sagen lasse, was er zu schreiben habe.

Lamby ist ein interessanter Blick hinter die Kulissen des Polit-Betriebs gelungen. Über das, was die Protagonisten tun, wenn ihre Arbeitstage zuende sind, erfährt man nichts. Vielleicht auch, weil alle, die dazugehören, zu sehr Profis sind, um Einblicke zu erlauben. Zum Schluss bleibt die Erkenntnis: Ganz so nervös wie 2016 ist die Bundesrepublik 2017 nicht mehr.

"Nervöse Republik", Das Erste, 22.45 Uhr

(dpa)
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