Neue Netflix-Staffel Düsterer, komplexer, brutaler — Daredevil geht durch die Hölle

Düsseldorf · Die erste Staffel war schon richtig gut, die zweite ist noch besser. Mit der Fortsetzung der Superhelden-Serie "Daredevil" setzt Netflix neue Maßstäbe fürs Fernsehen.

Netflix: Daredevil geht in der zweitern Staffel durch die Hölle
Foto: Netflix/Marvel

Es könnte alles so einfach sein. Der Syndikatsboss Wilson Fisk aus der ersten Staffel sitzt im Gefängnis, die Kanzlei Nelson und Murdock vertritt die Armen und Schwachen im New Yorker Stadtteil Hell's Kitchen. Und nachts schlüpft der blinde Anwalt mit den übersinnlichen Fähigkeiten Matt Murdock (Charlie Cox) in sein neues Kostüm, um als Daredevil, der Teufel von Hell's Kitchen, für Sicherheit und Ordnung zu sorgen. Natürlich bleibt es nicht bei so überschaubaren Verhältnissen, sondern recht schnell wird alles durcheinander gewürfelt — und das äußerst brutal.

Mit Frank Castle (Jon Bernthal), dem Punisher, tritt eine neue Figur auf, die wie Daredevil gegen Verbrecher vorgeht. Für ihn heißt das aber, dass er sie nicht wie der Superheld der Justiz überstellt, sondern er bringt sie um. Und das wird nicht schön gefärbt gezeigt, sondern in aller Radikalität und für eine Fernsehproduktion recht explizit. Generell ist diese zweite Staffel nichts für Zartbesaitete. Gewalt wird zwar nicht zelebriert, aber sie wird als das gezeigt, was sie ist: brutal, blutig, grausam, schmutzig, schmerzhaft. Und sie wird nicht dadurch besser, dass ein Charakter wie Daredevil, der sich moralisch überlegen fühlt, diese Gewalt ausübt — um an sich Gutes zu bewirken.

Heiligt der Zweck also die Mittel? Darf man die Ordnung verletzen, um so die Ordnung aufrechtzuerhalten? Wo sind die Grenzen von Rache und Gerechtigkeit — in einem Rechtssystem, das alles andere als fehlerfrei ist und oft versagt? Ist es besser, Leben zu retten oder dafür zu sorgen, dass sie erst gar nicht in Gefahr geraten? Bei aller Brutalität geht die Serie diesen Fragen nach, ohne abschließende Antworten zu finden. Das überlässt man dem Zuschauer.

Großartig sind die Dialoge zwischen Daredevil und dem Punisher, die sich gegenseitig von ihren unterschiedlichen Standpunkten zu überzeugen versuchen. Doch während Frank Castle frei von Gewissensbissen und mit sich selbst im Reinen ist, hadert der gläubige Katholik Matt Murdock immer wieder mit sich selbst und seiner Selbstaufopferung. "Du musst auch einmal von dem Kreuz runterkommen", rät ihm eine Freundin, die sein Geheimnis kennt, gegen Ende der Staffel. Sie will ihn davon überzeugen, sich von seiner selbst gewählten Bürde zu befreien.

Doch seine Rolle als "Teufel von Hell's Kitchen" hat da längst die Oberhand gewonnen: Er lässt seine Freunde in seinem "gewöhnlichen" Leben als Anwalt immer öfter im Stich und entfernt sich immer weiter von ihnen, weil er seine beiden Leben nicht mehr in Einklang bringen kann.

Schon die erste Staffel war düster, die zweite ist noch um einiges dunkler. Sie zeigt, wie die Figuren scheitern, zweifeln und durch die Hölle gehen. Die Narben nehmen zu — sowohl die unsichtbaren seelischen, als auch die deutlich sichtbaren physischen. Die Staffel mit 13 Folgen hat eine enorme Dynamik, und stetig verändern sich Beziehungen zwischen den Figuren. Das liegt auch daran, dass es anders als in der ersten Staffel nicht mehr nur eine Geschichte gibt, sondern gleich zwei: Neben dem Punisher tritt auch Matt Murdocks ehemalige Geliebte Elektra (Elodie Yung) in Daredevils Leben. Mit ihr beginnt ein zweiter Storybogen mit tragischen Folgen und getragen von hervorragender Schauspielerleistung. Die Serienmacher haben es erneut geschafft, die Darsteller zu Höchstleistungen zu motivieren — auch weil sie ihren Hauptfiguren sehr viel Raum lassen.

Der Zeit, die den Charakteren gewidmet wird, fällt dann leider die eine oder andere Storywendung zum Opfer. Die Enthüllung, wer am Ende der Hauptschuldige an Punishers Schicksal ist, wird eher nebenbei präsentiert und reißt nicht wirklich mit. War die erste Staffel noch zwei bis drei Folgen zu lang, hätte der zweiten Staffel noch mindestens eine weitere Folge gutgetan. Aber das ist schon Kritik auf hohem Niveau und wird durch die Inszenierung wettgemacht: Die Actionsequenzen sind stark inspiriert vom modernen asiatischen Action-Kino. Die indonesische "Raid"-Reihe und der südkoreanische Kultfilm "Oldboy" aus 2003 haben die Serienmacher offensichtlich nachhaltig beeindruckt. Die Anspielungen sind unübersehbar, die ungeschliffene Rohheit der Gewaltdarstellung eine Hommage.

Und vor allem eine Sequenz schreibt Fernsehgeschichte und setzt neue Maßstäbe: In der dritten Episode kämpft Daredevil gegen eine Rockergang — über fünf Minuten lang in einem engen Treppenhaus von oben nach unten. Ohne einen einzigen Schnitt wurde das durchgehend in einem Zug aufgenommen und nicht später im Schnittraum montiert. Der Aufwand und die Vorbereitung für die Kameramänner, die Darsteller und die gesamte Crew für so einen "Continuous Shot" ohne Unterbrechung münden in einem Glanzstück des modernen TV-Serienformats und sind ganz großes Kino fürs Fernsehen.

Ob man das in der dritten Staffel noch überbieten kann? Denn die wird es geben. Zumal es zum Schluss der zweiten Staffel einige lose Storyenden gibt. Unter anderem auch, wie es mit Daredevil selbst weitergeht, nachdem er erkannt hat, dass er sehr viel mehr der außergewöhnliche Mann mit der Maske ist als der gewöhnliche Anwalt.

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