TV-Nachlese zu Maybrit Illner Demokratie sollte erotisch sein

Düsseldorf · In Amerika regt sich Widerstand gegen Donald Trumps Politik. Die Justiz hat seinen Einreisestopp aufgehoben. Trump will das nicht hinnehmen. Aber wird Trump deswegen zum autokratischen Herrscher? Illners Gäste waren sich in dieser Frage lange einig. Streit gab es bloß einmal zu einer ganz anderen Sache.

Das ist die TV-Journalistin Maybrit Illner beruflich und privat.
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Das ist Maybrit Illner

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Foto: Illner Maybrit Screenshot ZDF

Darum ging's:

Der neue US-Präsident will nicht nur das Spiel gewinnen, sondern auch die Spielregeln ändern und bis dahin beleidigt er die Schiedsrichter. Nach drei Wochen im Amt liegt Trump im Streit mit der Justiz, mit den Hütern der Verfassung. Die macht einen Präsidenten zwar ziemlich mächtig, aber nicht allmächtig, sagt Moderatorin Maybrit Illner — am Donnerstagabend mit einem dicken Pflaster am Kinn — in ihrer Talkrunde zum Thema "Trump macht ernst — ist dieser Präsident noch zu stoppen?". Aber bringt Trump der Welt mehr Sicherheit oder lehrt er uns etwas anderes?

Darum ging's wirklich:

Maybrit Illner hatte Glück. Denn ihre Gäste folgten brav den Diskussionsthemen, die sie für die Sendung vorbereitet hatte. Nicht einmal eine Parallele zwischen Trump und der AfD wurde gezogen. Zunächst sprach man über Trumps Regierungsstil und die Frage, ob aus Trump einmal ein guter Präsident wird. Dann ging es um politische Heuchelei: Europa rege sich über die Mauer zu Mexiko auf, obwohl man die Türkei dafür bezahle, syrische Flüchtlinge fernzuhalten. Zuletzt ging es schließlich um das Verhältnis von Russland und Amerika. Erst da gab es Krach — zwischen dem Ex-SPD-Politiker Matthias Platzeck mit DDR-Biografie und dem "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt, der die Sendung mit gut platzierten Pointen bereicherte.

Die Gäste:

  • Matthias Platzeck, Deutsch-Russisches Forum und ehemaliger SPD-Parteivorsitzender
  • Deborah Feldman, US-amerikanische Autorin
  • Peter Rough, Trump-Unterstützer, Sicherheitsexperte und Politikberater in Washington
  • Julian Reichelt, Vorsitzender "Bild"-Chefredaktion
  • Josef Braml, Politikwissenschaftler
  • Wolfgang Ischinger, Leiter Münchner Sicherheitskonferenz

Der Frontverlauf:

Europa sollte sich hüten, mit Überheblichkeit auf das zu blicken, was derzeit in den USA passiert. Schließlich tauchen auch hierzulande politische Marktschreier wie Marine Le Pen in Frankreich, Geert Wilders in den Niederlanden oder die AfD in Deutschland auf, die einen Trump siegen sehen wollen. Daher müsse man sich mit allzu hysterischer Kritik zurückhalten, so die Auffassung aller Sendungsgäste — mit Ausnahme von Deborah Feldman. Die US-amerikanische Autorin wollte den neuen Präsidenten sofort aus dem Amt kicken.

Dagegen wehrte sich jedoch der frisch gekürte Nachfolger von Kai Diekmann in der Chefredaktion der "Bild"-Zeitung, Julian Reichelt. Trump weise zwar autokratische Züge auf, könne sich schließlich aber nicht über die Gewaltenteilung in den USA hinwegsetzen, die gerade unter Beweis stelle, dass sie "unter Druck besonders gut" funktioniere. Ihm machten im Gegenzug die "Putschsehnsüchte" mancher Europäer und vieler Amerikaner Sorge. "Wenn wir an unserer Demokratie hängen, sollten wir uns niemals in einer anderen Demokratie den Putsch herbeisehnen", sagte Reichelt zu Deborah Feldman. Die reagierte nur mit einem ironischen "Tut mir Leid". Sie habe noch nicht aufgegeben und versuche nur, ihr Land zu retten.

Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, brachte die Stimme der Vernunft in die Runde. Er lieferte nach Julian Reichelt die mit Abstand längsten und treffsichersten Kommentare. Er plädierte dafür, Politik zu machen. Sich über alles an Trump aufzuregen, selbst über den US-Präsidenten im Bademantel, sei keine Politik. Die Europäer müssten ihre Interessen definieren und die dann gegenüber den USA vertreten. "Es ist nicht unsere Rolle zu entscheiden, ob man Trump wiederwählen sollte."

Matthias Platzeck war der Meinung, statt permanent Trumps Politik zu kommentieren, müsse man fragen, warum er überhaupt an der Macht sei. Für ihn hing das mit der mangelnden Erotik der Demokratie zusammen. Mit Erotik meinte er in diesem Fall Anziehungskraft. In Deutschland zweifelten viele Bürger daran, dass ihre Stimme bei den Wahlen tatsächlich etwas verändere. Der Demokratie sei durch zu viel Bürokratie und Verrechtlichung die Erotik abhanden gekommen.

Ischinger machte sich ähnlich wie Reichelt keine Sorgen, dass Trump das System der Gewaltenteilung aushebeln könne. Ihm stehe unter Umständen dasselbe bevor wie seinem Amtsvorgänger Barack Obama: 2018 seien die nächsten Wahlen zum Repräsentantenhaus. Dann könnten die Republikaner ihre Mehrheit verlieren. Wenn Republikaner und Demokraten im Kongress nicht zusammenarbeiten, bekomme Trump seine Gesetze nicht mehr durch die Abstimmungen. Der amerikanische Politikberater Peter Rough, der mit charmantem österreichischen Akzent spricht, warnte davor, Donald Trump als "Hassprediger" abzutun.

Anschließend besprachen die Diskutanten, ob es politische Heuchelei sei, Trumps Mauer an der Grenze zu Mexiko zu kritisieren, wenn man gleichzeitig einen Deal mit der Türkei habe, der syrische Flüchtlinge aus Europa fernhalte. An der Grenze zwischen Türkei und Syrien würden Flüchtlinge erschossen, das nehme Europa und auch Deutschland billigend in Kauf, sagte Julian Reichelt. Es blieb nicht der letzte Seitenhieb auf den politischen Umgang mit der Syrienkrise.

Er lieferte sich zum Ende der Sendung ein Wortgefecht mit Matthias Platzeck. Der Leiter des Deutsch-Russischen Forums machte sich die Sicht eines ihm bekannten Syrers zu eigen, dass Russland möglicherweise auch als Garant für einen multireligiösen und vielfältigen syrischen Staat fungiere. Für Reichelt war diese Aussage an Zynismus nicht zu überbieten. Russland habe Stabilität herbeiführt durch einen Vernichtungskrieg und die Auslöschung einer gesamten Stadt. "Wer sich das als Stabilität wünscht ..." Weiter kam er nicht. Denn Platzeck fiel ihm ins Wort und drohte ihm, sich zurück zu halten. "Das ist jetzt Bild-Zeitungsmanier der überlsten Art und Weise", schrie er und zeigte mit dem Finger auf Reichelt. Eine derartige "Denunziation" habe er zuletzt in der DDR erlebt. Die Moderatorin Maybrit Illner ging schließlich dazwischen. Es blieb der einzige hitzige Moment der Sendung.

(heif)
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