Maischberger-Publikum diskutiert über Ungleichheit "Es gibt Armut im Land, das muss man kapieren"

Köln/Düsseldorf · Sandra Maischberger lässt in ihrer Talk-Show zum zweiten Mal das Publikum zu Wort kommen. Zuschauer diskutieren zum Thema: "Millionär oder Minijobber: Ist Deutschland ungerecht?" Zwei Politiker und ein Experte sind auch geladen, müssen den Zuschauern aber den Vortritt lassen.

Sandra Maischberger: "Es gibt Armut im Land, das muss man kapieren"
Foto: Screenshot: Youtube (Mediathek TV)

Wirtschaft und Arbeitsmarkt in Deutschland boomen. Eigentlich geht es dem Land gut. Trotzdem empfinden viele Menschen eine tiefe Ungerechtigkeit. Hohe Managergehälter auf der einen Seite, prekäre Arbeitsverhältnisse und Wohnungsnot auf der anderen. Tatsächlich besitzt nur ein Prozent der Bundesbürger rund ein Drittel des gesamten Vermögens. Sandra Maischberger fragt ihre Zuschauer, was sie darüber denken - und wie ihr Leben aussieht.

Wer diskutierte mit?

Die Gäste kamen aus ganz Deutschland. Sie hatten sich nach einem Aufruf der Redaktion gemeldet, um an der Debatte teilzunehmen. Unter ihnen ein Rentner-Ehepaar aus Bayern, eine Frau, die mit drei Jobs 1000 Euro netto im Monat verdient, dem Amt aber "nicht auf der Tasche liegen will", ein Handwerksunternehmer aus Neuss und ein Mann, der nach einem Schlaganfall obdachlos wurde.

Zu den bekannteren Gesichtern gehörten:

Katarina Barley, SPD-Generalsekretärin

Ralph Brinkhaus, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

Michael Opoczynski, Wirtschaftsjournalist (WISO)

Worum ging es?

Die Debatte verlief respektvoll und blieb beim Thema. Der Großteil des Publikums sagt: In Deutschland geht es ungerecht zu. Die Studiogäste nennen Beispiele aus ihrem Alltag. Gegenmeinungen gibt es wenige.

Sandra Maischberger fragt zu Beginn in die Runde, wer Martin Schulz Recht gebe. Der SPD-Kanzlerkandidat sagt, Millionen Deutsche empfänden, es gehe ungerecht zu. Ein Rentner aus Mecklenburg-Vorpommern meldet sich: Er sei überrascht von dem Hype, den Schulz ausgelöst habe. Als EU-Politiker habe der jahrelang Zeit gehabt, etwas gegen prekäre Arbeitsverhältnisse, befristete Verträge und Ähnliches zu tun. "Wenn heute jemand wie ich fast 50 Jahre gearbeitet hat, (...) der kriegt am Ende eine Rente, die ihn nötigt, noch zum Amt zu gehen und sich das aufstocken zu lassen. Das ist eine Schande für dieses Land!"

Maischberger will eine Gegenmeinung hören. Ein Rentner aus Bayern, der jahrzehntelang in der DDR gelebt hat, verweist auf andere Länder: Jedes Mal, wenn er in den Nachrichten das "Elend der Welt" sehe, sei er froh, in Deutschland zu leben. Seine Frau ergänzt: Ihre Rente sei schmal, das sei aber "jammern auf hohem Niveau".

Ein Mann aus Heidelberg ist sauer: Die soziale Ungerechtigkeit beginne bei den Politikern, die jedes Mal vor den Wahlen Dinge versprächen und sie dann nicht hielten: "Ich denke an die Mietpreisbremse, die Pkw-Maut, den Satz 'Die Renten müssen sicher sein'." SPD-Generalsekretärin Katarina Barley entgegnet, gerade in dieser Legislaturperiode könne man der SPD diesbezüglich nichts vorwerfen, Stichwort Mindestlohn oder Rente mit 63.

"Wehe, es kommt eine Arbeitslosigkeit, eine Krankheit, eine Scheidung"

Eine vierfache Mutter, die sich für kinderreiche Familien engagiert, verweist auf die wachsende Kinderarmut. Ihr Mann ist auch da: Ein Krankenpfleger, der Vollzeit arbeitet. Die Familie komme gerade so über die Runden, staatliche Unterstützung stehe ihnen nicht zu. Ein ehemaliger Lehrer aus Köln, der seine Erwerbsminderungsrente mit Hartz IV aufstockt, sagt: "Es gibt einfach Armut im Land, das muss man kapieren." Dabei gehe es nicht nur um die finanzielle Not, sondern auch um die seelische Belastung.

Der Wirtschaftsjournalist Michael Opoczynski gibt zu bedenken: Wenn man die Armen und die Reichen zusammennehme, sehe das im Schnitt gut aus. Dass so viele Menschen glaubten, es gehe ungerecht zu, läge auch daran, dass an der Spitze wunderbar verdient werde. Unten "kämen die Leute irgendwie über die Runden" - "aber wehe, es kommt eine Arbeitslosigkeit, eine Krankheit, eine Scheidung".

Für Kopfschütteln sorgt die Aussage eines Berliners, der in seinem Leben etliche Berufe ausgeübt hat: Jeder sei für sein Leben selbst verantwortlich, meint er. "Jeder muss sein Geld selbst verdienen, um sich zu ernähren. Da ist nicht die Allgemeinheit für verantwortlich." Die Familie zum Beispiel habe selbst entschieden, vier Kinder zu bekommen. Der Familienvater kontert: "Wer bezahlt denn Ihre Rente?"

Das zweite Mal gelungen

Nach dem ersten Publikums-Experiment im November bleibt auch diese Maischberger-Sendung nah an der Lebenswirklichkeit der Menschen in Deutschland. Jeder sagt seine Meinung "frei Schnauze". Positiv hervorzuheben: Viele der TV-Laien bringen die Dinge besser auf den Punkt als so mancher Politiker. Eine Pause von Worthülsen, Schwurbel-Sätzen und ausweichenden Antworten.

Zitate des Abends

"Es heißt nicht Grundsicherung - es ist eine totale Grundverunsicherung, glauben Sie mir." (Ex-Lehrer aus Köln)

"Das Kernproblem ist nicht der Bruttolohn. Das Kernproblem ist das, was netto bei den Menschen in der Tasche übrig bleibt." (Neusser Unternehmer)

"Sich auf die Marktzugangsvoraussetzungen zu konzentrieren, vom Kindergarten bis hin zum Studium, das ist Aufgabe der Politik. Und zwar unabhängig von Herkunft, Religion oder Geschlecht." (Mann aus Hamburg)

"Wir verhungern nicht, wir haben Kleidung, wir haben ein Dach über dem Kopf. Aber am Ende des Monats ist einfach wenig da. Und es wird immer knapper." (Vierfach-Vater aus der Nähe von Göttingen)

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort