Anne-Will-Talk zur Groko "Berufung von Kramp-Karrenbauer ist eine große Chance"

Düsseldorf · Die Vertreter von Union und SPD haben sich beim Talk von "Anne Will" am Sonntagabend betont zuversichtlich und gelassen kurz vor einer Woche gegeben, die über Wohl und Wehe der großen Koalition entscheidet. Die Runde forderte mehr inhaltliche Diskussionen von den Volksparteien anstatt Personaldebatten.

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Foto: dpa, frg kno Ken fpt

Darum ging's

Anne Will hat mit ihren Gästen aus Politik, Medien und Bildung über das Thema "Angeschlagen auf der Zielgeraden - gelingt Schwarz-Rot der Neuanfang?" diskutiert. Diese Woche stehen bei den Volksparteien Entscheide darüber an, ob Deutschland nun eine neue große Koalition bekommt — oder auf den letzten Metern doch nicht.

Darum ging's wirklich

Eigentlich wollten mehrere Gäste lieber über Inhalte diskutieren, was sie auf der politischen Bühne in den vergangenen Jahren schmerzlich vermisst hätten. Wohl infolge der gerade veröffentlichten Kabinettsbesetzung durch Angela Merkel wurden in der Sendung dann doch mehr die Personalien besprochen.

  • Olaf Scholz (SPD), Erster Bürgermeister von Hamburg und kommissarischer Parteivorsitzender der SPD
  • Volker Bouffier (CDU), Ministerpräsident von Hessen
  • Tina Hassel, Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios
  • Frank Richter, Theologe und ehemaliger Leiter der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung
  • Andreas Rödder, Historiker, CDU-Mitglied

Der Frontverlauf:

Vor Union und SPD liegt eine ereignisreiche Woche: Am Montag entscheidet der CDU-Parteitag über die Zukunft der großen Koalition, am Freitag sind die Mitglieder der SPD dran. Bereits im Vorfeld hat Bundeskanzlerin Angela Merkel über die Besetzung des neuen Kabinetts gesprochen — und damit bei einigen der Gäste in Anne Wills Runde nicht gerade für Begeisterung gesorgt, die den Fokus lieber auf der inhaltlichen Debatte sehen wollen. Zu dieser Gruppe gehört Andreas Rödder, Historiker und CDU-Mitglied. Er fordert, dass die CDU Profilierung und inhaltliche Debatten brauche anstatt "Alternativlosigkeit zu exekutieren". Trotzdem geht es in der Sendung schließlich mehr um Köpfe als Programme.

CDU-Vertreter Volker Bouffier unterstützt die Entscheidung der Kanzlerin, sowohl bei der Auswahl der Kandidaten als auch bei der Wahl des Zeitpunkts. "Merkel braucht keine öffentlichen Belehrungen, sie hat ein gutes Gespür für Stimmungen", sagt der Ministerpräsident von Hessen. Er gibt sich zuversichtlich, was die Entscheidung für die große Koalition betrifft und spricht von einem anstehenden "Parteitag des Aufbruchs".

Großen Anklang findet die Ernennung von Annegret Kramp-Karrenbauer zur Generalsekretärin der CDU. "Die Berufung von Frau Kramp-Karrenbauer ist eine große Chance", sagt Rödder. "Aber wir wissen alle aus dem Fußball, die Chance ist das eine, aber die zählt nur, wenn sie auch verwandelt wird."

Sachfragen, nicht Personen

Frank Richter, Theologe und ehemaliger Leiter der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, sieht seine Rolle in der Sendung darin, die ostdeutsche Perspektive zu vertreten. "Es geht mir um Sachfragen, nicht Personen", sagt auch er. Trotzdem hätte er sich eine Person aus den neuen Bundesländern im designierten Kabinett gewünscht. Angela Merkel sei in ihrer Aufgabe dafür nicht geeignet. Er warnt vor dem Erstarken der AfD, die in seinem Bundesland bei der Wahl die stärkste Kraft war.

Moderatorin Anne Will weist darauf hin, dass noch eine weitere Personengruppe nicht vertreten sei, nämlich Menschen mit Migrationshintergrund. Im Vergleich zum Kabinett von 2013 falle auf, dass es dieses Mal weiblicher, katholischer und jünger sei. "Ist das der Preis, den das Land dafür zahlt, dass Merkel ihren Kritikern nachgeben musste?", fragt sie. Bouffier widerspricht: "Sie können nicht alles unter einen Hut bringen." Das Entscheidende sei, dass die, die ausgewählt wurden, insgesamt in der Lage seien, ihr Amt gut auszuüben, egal woher sie stammten. "Man kann doch erwarten, dass sich ein Bayer um die Küste kümmert und jemand von der Küste um die Berge", sagt Bouffier. "Ich glaube, dass die, die wir ausgewählt haben, eine gute Mischung sind."

Tina Hassel, die Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios, sieht in der Auswahl Merkels zwei Botschaften. Erstens, dass Merkel stark und souverän genug ist, in die Erneuerung und Programmdiskussion der Partei einzugreifen und damit sicherzustellen, dass ihr Erbe erhalten bleibt. Zweitens, dass sie andererseits an Macht verloren hat. Dies zeige die Absicht, ihren scharfen parteiinternen Kritiker Jens Spahn zum Gesundheitsminister zu ernennen — wohl um Druck herauszunehmen.

Die Ernennung von Kramp-Karrenbauer habe sie überrascht. "Sie ist Ministerpräsidentin und geht auf einen Schleudersitz", sagt Hassel über den Schritt der Politikerin. Politisch liberal, gesellschaftlich eher konservativ decke diese ein breites Spektrum ab. Das gebe Freiraum. Es stelle sich aber auch die Frage, wo Kramp-Karrenbauer eigentlich hinwolle, sagt die ARD-Hauptstadtstudio-Leiterin. Wer diese als "Mini-Merkel" einschätze, unterschätze sie.

Ostdeutsche Präsenz

Ein Thema, das in der relativ ausgeglichenen Sendung zu verhältnismäßig viel Diskussionen führt, ist der Einwurf Richters, dass es mehr ostdeutsche Präsenz im Kabinett brauche. CDU-Vertreter Bouffier sagt: "Ostdeutschland sollte sich nicht kleiner machen als es ist, das sind doch starke Bataillone."

Hassel wiederum gibt Richter recht, sie verstehe diese Forderung. Merkel alleine sei nicht genug. Richter schaltet sich noch einmal ein, um etwas klarzustellen: Es gehe ihm nicht darum, Sonderrechte für Ostdeutsche einzufordern. Vielmehr müsse die Politik erkennen, dass die Gesellschaft auseinanderdrifte, und etwas dafür tun, dies zu verhindern. Er fordert ein "gesellschaftliches Brainstorming".

SPD-Vertreter Olaf Scholz, der sich den Hinweis gefallen lassen muss, dass die Zustimmungsrate der SPD in den vergangenen Wochen auf unter 17 Prozent abgefallen ist, tritt besonnen auf und scheint den Eindruck vermitteln zu wollen, dass die SPD die Stimme der Menschen gehört habe und Antworten für drängende Fragen habe. "Aus meiner Sicht ist was los, nicht nur bei uns in Deutschland, auch in USA", analysiert er. Viele Bürger wüssten nicht mehr, ob angesichts der Zeitenwende ihre Lebensperspektiven noch so sicher seien, wie sie im vergangenen Jahrhundert lange angenommen hatten.

"Darauf müssen Parteien Antworten finden — sonst bekommen wir wieder überall irgendeinen Trump, der sich schlecht benimmt", warnt Scholz. Wenn es gelänge, Antworten zu finden, könnten die Volksparteien aus der aktuellen Krise gestärkt hervorgehen, sagt der Erste Bürgermeister von Hamburg und kommissarischer Parteivorsitzender der SPD. "Parteien müssen verstanden werden von Wählern, auch wenn man nicht deren Programm durchliest", sagt Scholz, und kündigt Veränderungen an.

Richter widerspricht Scholz: "Es ist doch schon etwas los!" Er warnt davor, dass die Menschen in antidemokratische Richtungen abdriften könnten. Scholz pflichtet Richter bei: "Ich glaube, dass das so ist, aber ich glaube nicht, dass es zwangsläufige Entwicklungen gibt." Es gebe sehr wohl Chancen, etwas zu verändern — zum Positiven. "Wir sollten nie vertreten, dass früher alles besser war", sagt Scholz. "Wir müssen optimistische Perspektive für die Zukunft haben."

Zitat des Abends:

"Sie ist Ministerpräsidentin und geht auf einen Schleudersitz." Tina Hassel, Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios über Annegret Kramp-Karrenbauer.

(sbl)
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