Martin Schulz beim TV-Talk von Anne Will "Dieser Parteitag hat uns einen Auftrag gegeben"

Düsseldorf · Mit dem Ja auf dem SPD-Parteitag mag die Partei einen ersten Meilenstein geschafft haben, aber deswegen ist sie noch lange nicht in ruhigem Fahrwasser angekommen. Schulz verbreitet Zweckoptimismus, Altmaier fordert Kompromisse, und Lindner sät im Talk von Anne Will Kritik.

Darum ging's

Nach dem Ja der SPD zu Groko-Verhandlungen diskutieren die Politiker Martin Schulz, Peter Altmaier und Christian Lindner sowie die "Spiegel"-Politikjournalistin Christiane Hoffmann darüber, ob ein erneute Koalition von Sozialdemokraten und Union gut gehen kann.

Darum ging's wirklich

Keiner der Verhandlungspartner will sich anmerken lassen, wie sehr die Zitterpartie um die Entscheidung des SPD-Parteitags über die Koalitionsverhandlungen an ihren Nerven gezerrt hat. Lindner beteuert, die Entscheidung, mit dem FDP-Ausstieg eine Jamaika-Koalition platzen zu lassen, sei richtig gewesen. Schulz will sich zu keinen detaillierten Aussagen hinreißen lassen, versucht alles und nichts zu sagen.

  • Martin Schulz, SPD-Parteivorsitzender
  • Peter Altmaier (CDU), Chef des Bundeskanzleramtes
  • Christian Lindner, FDP-Parteivorsitzender
  • Christiane Hoffmann, Stellvertretende Leiterin des "Spiegel"-Hauptstadtbüros

Frontverlauf:

Es war eine Zitterpartie. Rund 600 Delegierte hatten beim mit Spannung erwarteten SPD-Parteitag fünf Stunden lang heftig debattiert und sich am Ende mit knapper Mehrheit für den Eintritt in Koalitionsverhandlungen mit der Union entschieden. Die SPD habe sich dadurch in eine gefährliche Lage manövriert, sagt Moderatorin Anne Will zum Auftakt der nach ihr benannten Sendung am Sonntagabend. "Wer immer sich als kleinerer Koalitionspartner in die Fänge von Angela Merkel begeben hat, der riskiert viel, vielleicht alles."

Für Martin Schulz gehe es nun ums politische Überleben, sagt Will weiter und fragt beim SPD-Parteivorsitzenden direkt nach: "Was haben Sie während der Auszählungen gedacht?" "Dass das ein historischer Tag für unsere Partei ist", antwortet Schulz betont gelassen. Er habe kontroverse Diskussionen erwartet. Auf Nachfrage sagt er, dass er gestärkt in die anstehenden Verhandlungen gehe.

Auch der CDU-Vertreter Peter Altmaier will den SPD-Parteitag, von dessen Abstimmung die Aufnahme der Koalitionsverhandlungen abhing, nicht nervös verfolgt haben. Der Chef des Bundeskanzleramtes habe sich während anderer Termine über soziale Medien auf dem Laufenden gehalten und sei von vielen Seiten darauf angesprochen worden. "Es besteht ein enormes öffentliches Interesse."

"Vabanque-Spiel"

Christiane Hoffmann, die stellvertretende Leiterin des "Spiegel"-Hauptstadtbüros, war beim Parteitag in Bonn dabei. Sie glaubt Schulz und dessen scheinbaren Gelassenheit nicht. "Schulz musste Versprechungen machen, die Altmaier halten muss", bringt sie die Zwickmühle des Parteivorsitzenden der SPD auf den Punkt. Das sei ein "Vabanque-Spiel": "Ich glaube, dass der SDP nach Ende des Parteitages ein weiterer heißer Ritt bevorsteht", lautet die Einschätzung der Politik-Journalistin. Die starke Nein-Stimmung auf dem Parteitag habe sie überrascht. Dort sei das Herz der Partei gewesen, bei der Parteiführung die Vernunft.

Christian Lindner, der Parteivorsitzende der FDP, findet bei Anne Will deutliche Worte. Die CDU sei ein "Scharnier", Merkel zeige "wenig eigenes Profil", kritisiert der Politiker und nennt die glücklosen Jamaika-Sondierungen einen Fehler: "Das würde ich kein zweites Mal in meinem politischen Leben machen." War der Abbruch dann auch ein Fehler, hakt Will nach. "Nein", sagt Linder sofort. "Wenn man Klarheit hat, dass Unterschiede so groß sind, dass Wortbruch gegenüber den Wählern so groß ist…". In der Politik gelte nicht nur "die Pflicht zum Konsens, sondern auch die Pflicht zur Kontroverse".

Kompromisse dringend gesucht

CDU-Politiker Altmaier übernimmt in der Diskussionsrunde die Rolle des Mediators, fordert mehrfach zu Kompromissbereitschaft auf und lobt die Politikerkollegen beider Lager. Er habe sich über die Rückkehr der FDP gefreut und ihren Rückzug bedauert, sagt Altmaier.

Die Union habe offenbar zu gut verhandelt, weil die SPD ihre Anhänger nicht mehr hinter sich bekomme, zieht Will ein Zwischenfazit, jetzt müsse die CDU Zugeständnisse machen, um die SPD nicht zu verprellen. Die Beschreibung der CDU als "Scharnier" durch Lindner sei treffend, sagt Will. "Das war die freundliche Formulierung", kommentiert der FDP-Parteichef. Und was sei die wahre? "Keine Position", schießt Lindner gegen die Union.

Schulz betont, wie viele seiner Parteikolleginnen und -kollegen, dass das mit der Union gemeinsam erarbeitete Papier der Beginn der Koalitionsverhandlungen sei, nicht das Ende. "Wenn sie scheitern, dann scheitern sie nicht an uns", sagt der SPD-Parteichef. Bei der "Spiegel"-Journalistin Hoffmann weckt er Misstrauen. Sie frage sich, ob es wohl eine Geheimabsprache von Schulz und Merkel gebe. Schulz weist dies wenig überzeugend zurück, versucht sich alle Wege offenzulassen. "Dieser Parteitag hat uns einen Auftrag gegeben und wir werden in den Koalitionsverhandlungen hart verhandeln", versucht er abzulenken. "Ein Prozent von etwas ist mehr als 100 Prozent von nichts", schiebt er eine Plattitüde nach.

Pressestimmen zum SPD-Votum für Groko-Gespräche: "Schulz wirkte wie ein Marktschreier"
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"Schulz wirkte wie ein Marktschreier"

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Foto: qvist /Shutterstock.com/Retusche RPO

Stichwort Mut

Hoffmann, die den drei Politikern bei "Anne Will" den Spiegel vorhält und die Männer sich schon einmal gegenseitig angiften lässt, bevor sie ruhig kommentiert, wirft Schulz vor, seine Parteikollegen beim Parteitag mit seiner Rede nicht erreicht zu haben. "Es gab kaum Applaus, und dabei sind Sie ein guter Redner." Das entscheidende Wort für sie sei am Parteitag "Mut" gewesen — wie auch aus dem Einspieler, den Will zum Auftakt der Sendung zeigt, hervorgeht. Ist es mutig, in die Koalition zu gehen, oder eben nicht?

Hoffmann bedauert offenbar die fehlgeschlagenen Verhandlungen von Union mit FDP und Grünen. "Jamaika hätte einen Neuaufbruch in sich tragen können", sagt die Journalistin. FDP-Chef Lindner, an dessen Rückzug aus den Verhandlungen Jamaika gescheitert war, weist dies zurück. Die Journalistenkollegen von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hätten Jamaika und Groko verglichen, "das Ergebnis war fast dasselbe". Dass er eine Chance zur Mitgestaltung verpasst habe, diesen Vorwurf will Lindner nicht auf sich sitzen lassen. "Diesen Schuh ziehe ich mir nicht an."

Schulz, dessen politische Karriere in den nächsten Wochen auf dem Spiel stehen dürfte, hat bei Will das erste und das letzte Wort. Er sei von Emmanuel Macron angerufen worden, berichtet er. "Hoffentlich bekommt Ihr das hin!", habe der französische Regierungschef gesagt. Sonst drohe die Gefahr durch Rechtsextremisten in der Politik. Auf Wills Nachfrage, ob sich Schulz nun doch vorstellen könnte, eine Rolle in einer Regierung unter Angela Merkel zu übernehmen, weicht dieser aus. "Ich rate uns allen dazu, Personalfragen am Ende zu entscheiden." Er wolle erreichen, dass Deutschland seine Führungsrolle in Europa endlich wahrnehme — und landet am Ende wieder bei seinem Lieblingsthema, der Europapolitik. Damit, hat die "Spiegel"-Journalistin Hoffmann beobachtet, habe er schon am Parteitag keinen begeistert.

(sbl)
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