Interview: Robert Atzorn "Spiritualität kommt im TV zu kurz"

Der Schauspieler spielt in einem Film über die Schlecker-Pleite die Hauptrolle. Kritik übt er am fehlenden Mut der Sender.

düsseldorf Im Zweiteiler "Alles muss raus - Eine Familie rechnet ab" arbeitet das ZDF die Geschichte um den Niedergang des fiktiven Familienunternehmens Faber auf, angelehnt an die Pleite der Drogeriemarktkette "Schlecker". Erzählt wird aus der Perspektive der Kassiererin Janine Krause, des unbelehrbaren Unternehmenspatrons Max Faber und seiner Tochter Kerstin Faber, die einen radikalen Kurswechsel bewirken will.

Herr Atzorn, in "Alles muss raus" spielen Sie einen patriarchalischen Konzerngründer. Fünf Dinge, die Ihnen spontan zu ihm einfallen.

atzorn Er ist der Boss, der Bestimmer, stur, verlässt sich auf sein eigenes Erfolgsrezept, anstatt auf andere zu hören. Insgesamt ist Faber ein sehr selbstbezogener Mensch. Andererseits kann er aber auch liebevoll sein, jedenfalls, was seine Familie, insbesondere seine Frau, angeht.

Ein sympathischer Typ?

Atzorn Ich finde die Figur nachvollziehbar, sympathisch eher weniger. Faber ist ganz anders als ich. Als Schauspieler ist man ja auf Teamfähigkeit gedrillt. Und teamfähig, das ist dieser Faber ganz und gar nicht.

Es geht um Spielernaturen, Faber spekuliert mit Millionen. Und der Freund der Kassiererin verzockt viel Geld. Was sagt das über uns?

atzorn Die Gier nach Macht, Geld, Obensein gibt es auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Konzerne verlagern Arbeitsplätze nach Asien, große Unternehmen wie Neckermann oder Schlecker gehen pleite.

Sie feiern bald Ihren 70. Geburtstag. Worauf sind Sie stolz?

Atzorn Ich bin überhaupt nicht stolz. Ich bin froh, dass mein Leben schön verlaufen ist, dass ich eine wunderbare Familie habe. Ich lebe jeden Tag, wie er kommt, und versuche, im Hier zu bleiben. Meine Arbeit mache ich wie jeder andere auch und bemühe mich, Erfolge nicht zu euphorisch, Misserfolge nicht zu tragisch zu nehmen.

Für dieses Gleichgewicht bewundern Sie sicher viele.

atzorn Dieses Gleichgewicht ist das Wichtigste, sonst stürzt man ja immer wieder in ein Wechselbad der Gefühle. Natürlich ist mir Erfolg lieber, aber ich versuche, das alles zu relativieren.

Für einen Schauspieler, der naturgemäß stark in der Öffentlichkeit präsent ist, sicher schwierig.

Atzorn Bei meinem Beruf ist es so, dass jeder meine Leistung beurteilen kann, zumindest jeder, der meine Filme sieht. Bei einem Lehrer, der nur für eine begrenzte Zahl von Schülern arbeitet, ist das anders. Mir geht es heute vor allem darum, mit den Erwartungen umzugehen, Kritik ernstzunehmen und mir dennoch die Spielfreude zu erhalten.

Sie haben in der Serie "Unser Lehrer Doktor Specht" mitgespielt. In einer Szene erklärt Specht den Schülern am Beispiel Schokoküsse, dass er von politischer Korrektheit wenig hält. Könnte man das heute noch machen im Fernsehen?

atzorn Nein, ganz sicher nicht, das ist uns ausgetrieben worden. Ich persönlich finde es aber auch richtig, "Schokoküsse" zu sagen.

Sind die Sender zu zahm geworden?

atzorn Die Medien sind schon ziemlich zahm, das haben wir vor allem bei den Dreharbeiten zu "Kanzleramt" gemerkt. Dort musste vieles abgestimmt werden, damit wir nicht einer wirklich existierenden Partei zu nahe traten.

Was wünschen Sie sich vom deutschen Fernsehen?

atzorn Das Thema Spiritualität kommt für mich zu kurz. Ich fände zum Beispiel eine Figur interessant, die sich mit 50 die Frage stellt: "Was soll das Ganze?" Aber die Sender fürchten um ihre Quoten und bleiben bei erprobten Erfolgsrezepten.

Faber würde Spiritualität guttun.

Atzorn Ja, denn außer seiner Familie und immer mehr Geld zu machen hat er keine ethischen Werte. Seine eigene Tochter muss kämpfen wie eine Wahnsinnige. Letztlich ist sie aber genauso besessen wie ihr Vater.

VERENA PATEL FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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