Pro & Contra zu "Star Trek: Discovery" Dümmliches Desaster? Großer Wurf!

Düsseldorf · Nach 725 Folgen bricht die neueste "Star Trek"-Serie mit vielen Grundprinzipien der Utopie. Die düstere Doppelfolge zum Auftakt löste scharfe Debatten aus. Auch die Meinungen unserer beiden Experten gehen weit auseinander.

 Ambitionierte Anti-Heldin: Michael Burnham (Sonequa Martin-Green) ist die Hauptfigur von "Star Trek: Discovery", deren erste Folgen nun bei Netflix zu sehen sind.

Ambitionierte Anti-Heldin: Michael Burnham (Sonequa Martin-Green) ist die Hauptfigur von "Star Trek: Discovery", deren erste Folgen nun bei Netflix zu sehen sind.

Foto: Jan Thijs/CBS/Netflix

Ein dümmliches Desaster!
von Ludwig Jovanovic

Visuell ist "Discovery" brillant, so viel muss man ihr lassen. Noch nie sah eine "Star Trek"-Serie so umwerfend aus. Sie spielt zwar zehn Jahre vor den Abenteuern von Captain Kirk, Mister Spock und Doktor McCoy, aber dass jede Folge etwa acht Millionen US-Dollar kostet, merkt man ihr wahrlich an. Leider ist alles außer dem Look ein Desaster.

Die Hauptfigur Commander Michael Burnham (Sonequa Martin-Green) hat als kleines Mädchen einen Angriff der kriegerischen Klingonen überlebt und ist dann bei den von Logik dominierten Vulkaniern aufgewachsen, als Ziehtochter von Sarek (James Frain), dem Vater des legendären Spock. Wie aus dieser unterkühlten Figur eine impulsive Draufgängerin wird, bleibt ein Rätsel. Aber egal, Burnham stürzt sich munter in ein Abenteuer nach dem anderen, wobei ihr Verhalten mit Vernunft so viel zu tun hat wie ein Klingone mit einer Friedens-Demo: gar nichts. Mal ehrlich: Wer würde einer Ersten Offizierin vertrauen, die entgegen der pazifistischen Grundhaltung der Sternenflotte befiehlt, auf die mächtigen Klingonen zu schießen, und zwar nach einer 100-jährigen Funkstille?

Noch weniger überzeugend wirken nur die Dialoge zwischen Burnham und Captain Georgiou (Michelle Yeoh). Zwar geben sich die Schauspieler alle Mühe, das Beste aus dem Drehbuch herauszuholen. Das allerdings wirkt, als hätte es ein Zehnjähriger geschrieben.

Dass die Klingonen plötzlich ganz anders aussehen und auch oberflächlicher gezeichnet sind als in dutzenden Stunden zuvor etabliert, kann ich hinnehmen, die Mängel des dümmlichen Drehbuchs nicht: Der ultrakonservative Klingone T'Kuvma (Chris Obi) sieht sich als Wiedergeburt des klingonischen "Messias" Kahless, doch die diversen Vertreter seines zersplitterten Volkes erkennen ihn nicht an. Bis sie es plötzlich doch tun. Wieso? Weshalb? Warum? Man weiß es nicht.

Bei "Discovery" wurden diverse Ideen und Einflüsse zusammengewürfelt, doch es fehlt eine ordnende Hand, um daraus etwas Überzeugendes zu machen. Das Schicksal von Burnham lässt mich so kalt wie ein Eiswürfel, der in der Sonne schmilzt. Und "Star Trek" trägt die Serie bislang nur im Namen. Man kann nur hoffen, dass "Discovery" in den noch folgenden 13 Episoden besser wird. Sehr viel besser.

Ein großer Wurf!
von Tobias Jochheim

Die Guten schießen nie zuerst, per Definition, denn wenn sie es täten, wären sie moralisch diskreditiert. Das galt selbst im militarisierten Märchenland des "Star Wars"-Universums (siehe "Han shot first!"-Debatte), und es ist nichts weniger als das Fundament der Utopie "Star Trek". Dort zahlt es sich immer aus, auf Kommunikation zu setzen, auf Diplomatie, Empathie und Pazifismus. Bis heute. Denn die Hauptfigur der neuen Serie befiehlt: "Visieren wir den Hals der Klingonen an, trennen wir ihnen den Kopf ab!" Nicht in akuter Notwehr, wohlgemerkt, sondern praktisch als pädagogische Maßnahme. "Gewalt bringt Respekt, Respekt bringt Frieden", lautet die Logik. Das mag eine billige, selbstgerechte Ausflucht sein oder echte Überzeugung; in jedem Fall fordert Commander Michael Burnham einen Präventivkrieg. Das ist unerhört — und die einzig richtige Entscheidung.

Es war überfällig, dass die Protagonisten ihre fast heilige Übermenschlichkeit verlieren, dass die "Discovery" nicht nur beim retro-futuristischen Design des Vorspanns mutig dahin vorstößt, wo noch nie eine "Star Trek"-Serie zuvor gewesen ist.

Als "Star Trek" 1966 erstmals auf die Bildschirme kam, waren seine Kernideen revolutionär: Russen und Amerikaner, Japaner und "satanische" Außerirdische als Mannschaftskameraden? Frauen auf einem Raumschiff statt am Herd? Reden statt Schießen? Und so weiter und so weiter. In den Achtzigern und Neunzigern aber verlor "Star Trek" an Wirkungskraft, weil es zu brav, zu blitzsauber war. Zu viel Friede, Freude, Eierkuchen. Am Ende fast jeder Folge war alles wieder im Lot.

Einzig die dritte echte Serie "Deep Space Nine" war deutlich düsterer, sie spielte nach der 50-jährigen brutalen Besetzung eines ganzen Planeten und mutete ihren Zuschauern viel zu — harte Fragen, Antworten, Wahrheiten. Doch diese Serie lief 1999 aus, also vor dem 11. September 2001. In einer anderen Zeit. "Discovery" schließt daran an, schon die 80-minütige Pilotfolge taugt als Allegorie, weil sie die Themen unserer Zeit verhandelt:

Erstens verachten die fanatischen Krieger liberale, progressive und angeblich minderwertige "Mischvölker", wie es heute Rechtspopulisten und Islamisten gleichermaßen tun.

Zweitens beklagt der Feind die Doppelmoral seines moralisch ach so überlegenen Gegners, die Bigotterie ihres, um nicht zu sagen unseres ewigen "Wir kommen in Frieden" samt Verneinung jeglicher niederer, etwa wirtschaftlicher Motive. Das ist derselbe Vorwurf, den ungezählte Völker gegen den Westen erhoben haben, von den Ureinwohnern Nordamerikas und Australiens über die während der Kolonialisierung ausgeplünderten afrikanischen Völker bis hin zu Vietnamesen, Afghanen, Irakern. Ein Vorwurf, der allzu oft begründet war und noch immer ist — wieso sollte er es nicht auch künftig sein?

Drittens und vor allem haben die Macher von "Discovery" den Mut, ihre Protagonisten von deren hohem Ross herunterzuholen. Erstmals hat ihre Menschlichkeit und damit Fehlbarkeit echte, fatale Konsequenzen. Die Hauptdarstellerin ist eine Antiheldin, von Anfang an, sie wird nicht erst langsam dazu gemacht wie der Archetyp Walter White in "Breaking Bad". "Wir sind Forscher, keine Soldaten!", stammelt der verschreckte Wissenschaftsoffizier Saru. Die Wahrheit ist, dass die Mitglieder der Sternenflotte schon immer beides waren — eine Kraft, die zwar stets das Gute wollen mag, aber oft auch Böses schafft. Die Macher von "Discovery" mögen im Pilotfilm arg dick auftragen, aber sie haben offenbar den Ehrgeiz, den Unterschied zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung sowie unsere Lebenslügen zu thematisieren. Der Weg führt über manches Logik-Schlagloch, aber die Richtung stimmt.

"Star Trek: Discovery" läuft beim Streamingdienst Netflix. Eine Doppel-Folge mit einer Gesamtlänge von 80 Minuten ist bereits abrufbar, jeden Montag soll eine Einzelfolge dazukommen.

(tojo; jov)
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