Talk bei Maischberger "Europa zerbricht nicht, es zerbröselt"

Düsseldorf · Ist Europa noch zu retten? Darüber diskutierte Sandra Maischberger am Mittwoch mit ihren Gästen. Denn es sieht düster aus: drohender Brexit, Rechtsruck in Österreich, die Flüchtlingskrise, und nun will sogar ein Drittel der Deutschen raus aus der EU. Ein Neuanfang muss her, sagen die Talk-Gäste.

Talk bei Maischberger zu Europa: Das waren die Gäste
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Das waren Sandra Maischbergers Gäste

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Darum ging's

Die EU steckt in der Krise: In wenigen Wochen stimmen die Briten über einen EU-Austritt ab. Damit ist auch der Grexit wieder ein Thema. In Österreich könnte am Sonntag der bekennende EU-Kritiker Norbert Hofer (FPÖ) Bundespräsident werden. Und nicht zu vergessen: die Flüchtlingskrise. Sandra Maischberger wollte von ihren Gästen wissen: Läuft der letzte Countdown für Europa?

Darum ging's wirklich

Wer hat Recht, wer bricht das Recht und vor allem: Wer hält sich hier nicht an die Regeln der Europäischen Union? Darüber wurde heiß diskutiert. An den großen Knall, der das Ende der EU beschließt, wollte zwar keiner so recht glauben, doch so wie es ist, funktioniere es auch nicht. Da pocht der eine auf sein Recht, will geltendes Recht aber nicht anerkennen. Der Buhmann wurde gesucht — Deutschland, Merkel, die FPÖ, die Briten oder doch die Griechen, die EU-Kommission, die EU selbst —, aber nicht gefunden.

Die Runde

  • Edmund Stoiber, ehemaliger Ministerpräsident Bayerns (CSU)
  • Rolf-Dieter Krause, ARD-Studioleiter Brüssel
  • Ska Keller, Europaabgeordnete (B'90/Grüne)
  • Richard Sulik, slowakischer Europa-Abgeordneter
  • Jorgo Chatzimarkakis, ehemaliger FDP-Europaabgeordneter
  • Werner Schneyder, Kabarettist aus Österreich

Frontverlauf

Los geht es mit Zahlen, die tatsächlich kein gutes Licht auf die EU werfen. Laut einer aktuelle Umfrage sind 34 Prozent der Deutschen dafür, die EU zu verlassen, in Italien sind es 48, in Frankreich 41 Prozent. Ist das Verfallsdatum der EU damit erreicht? "Ausgeschlossen", stellt Edmund Stoiber klar — doch damit endet sein Optimismus auch schon. Eine Demokratie mit 28 Ländern sei einfach nicht zu verwirklichen. Also doch der große Knall? Nein, ein neuer Kurs müsse her, einer, bei dem sich Deutschland wieder etwas mehr im Hintergrund halte und nicht das Machtzentrum Europas zu sein versuche.

An den großen Knall glaubt auch Rolf-Dieter Krause, ARD-Studioleiter Brüssel, nicht. Ein gutes Zeugnis stellt er der EU jedoch mitnichten aus. "Die Gefahr ist nicht, dass Europa spektakulär zerbricht, sondern dass es vor sich hin bröselt", sagt er. Das Problem sei nicht, dass innerhalb der EU Uneinigkeit herrsche — das sei schon immer so gewesen. Man habe aber am Ende immer Kompromisse gefunden. Heute jedoch sei es so: "Wenn man sich nicht einigt, dann einigt man sich nicht", sagt Krause. Das will die Europaabgeordnete Ska Keller so nicht hinnehmen: "Die Kommission macht Vorschläge, aber die Mitgliedsstaaten setzen sie nicht um oder blockieren sie."

Also alle raus aus der EU? Naja, die Idee von der EU mit all seinen Vorzügen sei ja im Prinzip sehr gut, meint der slowakische Europa-Abgeordnete Richard Sulik. "Aber ich wäre nicht traurig, wenn es keine EU mehr gibt, die mir diktiert, wie viel Liter Wasser mein Klobehälter haben darf und wie viel Leistung mein Staubsauger hat", sagt Sulik. Krause hält dagegen. Es könne nicht sein, dass sich die Slowakei die Bonbons herauspickt wie einen gemeinsamen Binnenmarkt, sich dann aber nicht an die Regeln halten will. "Wir brauchen faire Bedingungen, man muss es konkret machen", sagt Krause. Und beim Thema Umweltschutz und Energie müsse man dann halt auch über den Staubsauger sprechen.

Streitbarster Gast

Aufgemischt wurde die Runde eindeutig von Richard Sulik, der möchte, dass sich alle an die Regeln halten — nur selbst fällt es ihm leider sehr schwer. Als es darum geht, dass sein Land keine Flüchtlinge aufnehmen will, fühlt er sich im Recht. "Ihr Land hat beim Beitritt in die EU allerhand unterschrieben, und jetzt halten Sie sich nicht daran", wirft ihm Krause vor. Ja, aber man habe dagegen auch geklagt, und überhaupt sei der Verteilungsschlüssel unter sehr "komischen Umständen" zustande gekommen.

Jorgo Chatzimarkakis, ehemaliger FDP-Europaabgeordneter, zitiert dann schnell noch mal den zugeschalteten österreichischen Kabarettisten Werner Schneyder: "Herr Sulik, Sie sind ein typischer Europäer."

Die Flüchtlingskrise erklärt Sulik für beendet, schließlich seien die Grenzen in Mazedonien und Österreich jetzt dicht. "Ach ja, und was ist mit den Menschen", fragt Ska Keller — ohne eine Antwort darauf zu bekommen. Überhaupt, Sulik würde in der Flüchtlingskrise gerne den dominanten Verhandlungsführer abwählen: Kanzlerin Angela Merkel. Kann er aber nicht. Das stimmt ihn traurig.

Streitthema des Abends: Brexit

Richtig hitzig wurde es noch einmal beim Thema Brexit. Krause meint, es wäre gut, wenn ein Land mal austreten würde, um zu sehen, dass es ohne die EU einfach nicht geht. Dann müsse diese aber auch konsequent sein und dürfe nicht "etwas hinwurschteln", also Ausnahmen schaffen, damit die Briten weiter mitmischen können. Denn das könnte andere Länder zum Austritt animieren. Stoiber hingegen hält einen Austritt Großbritanniens für eine Katastrophe.

Jorgo Chatzimarkakis meint, dass Großbritannien ohnehin kein richtiges Mitglied sei. "Das wird symbolisch aufgebauscht. Wenn die Briten austreten, bleiben sie dem europäischen Binnenmarkt erhalten. Sie sind nur Mitglied zweiter Klasse." Nach dem Brexit würden alle Dämme brechen, prognostiziert er — dann folgte auch der Grexit. Das wäre doch fatal, würde die EU Griechenland herausdrängen. Stoiber hält dagegen. Als EU-Mitglied müsse man sich an Regeln halten, und Griechenland habe diese 109 Mal gebrochen. Dann beginnt das große Rechnen: Wer hat sich wie oft nicht an die Regeln gehalten? Deutschland doch auch nicht. Nein, nicht gut genug. Doch.

Die Lösung

Europa muss sich neu aufstellen. Denn hier sind sich die Gäste mal einig: Die Menschen haben das Vetrauen in die EU verloren, fühlen sich nicht eingebunden — kein Wunder, dass die FPÖ Oberwasser habe, sagt Sulik. Und auch die Strukturen innerhalb der EU funktionierten nicht. Chatzimarkakis spricht gar von Scheinpolitik ohne Aussicht auf Lösungen.

Zitat des Abends

Das kommt diesmal von Sandra Maischberger selbst und zwar als Atwort auf Suliks Aussage, dass das Aufnehmen von Flüchtlingen nie Bedingung für die Aufnahme der Slowakei in die EU war. Maischberger: "Dass man sich an europäische Werte und ans europäische Recht hält, kommt für Sie schon überraschend?

Fazit

Das Schicksal der EU scheint ungewiss, aber mal ehrlich: Jetzt heißt es "mitgehangen, mitgefangen". An den großen Knall glaubt hier niemand. Ob sich aber ein Umdenken einstellt, davon ist auch nicht auszugehen. Chatzimarkakis sagte den schönen Satz: "Sendungen wie diesen wird immer vorgeworfen, dass es keinen Erkenntnisgewinn gibt." Soviel dazu.

(jnar)
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