Sexismus-Talk bei Maischberger Moderatorin Lufen schildert sexuellen Übergriff

Düsseldorf · Nach den Enthüllungen um Harvey Weinstein wird weltweit über Sexismus debattiert. Sandra Maischberger fragt ihre Gäste, wann Sexismus beginnt, was passiert, wenn Frauen niemand glaubt - oder Männer falsch verdächtigt werden. Sat.1-Moderatorin Marlene Lufen erzählt von einem schlimmen Erlebnis.

 Sandra Maischberger (3.v.l) mit ihren Gästen, darunter Marlene Lufen (3.v.r.).

Sandra Maischberger (3.v.l) mit ihren Gästen, darunter Marlene Lufen (3.v.r.).

Foto: ARD

Darum ging's

Harvey Weinstein, Kevin Spacey, das britische Parlament, das EU-Parlament: Seit den Enthüllungen um US-Filmproduzent Harvey Weinstein kommt ans Licht, wie weit verbreitet Sexismus und sexuelle Gewalt sind. "Sexuelle Nötigung - Männer unter Generalverdacht?" lautete das Thema der Maischberger-Talkrunde am Mittwochabend. Vorangegangen war der ARD-Sendung der Fernsehfilm "Meine fremde Freundin", in dem ein Mann wegen eines erfundenen Vergewaltigungsvorwurfs zu Unrecht ins Gefängnis muss. Doch auch in der Realität gibt es solche Fehlurteile. Warum tun sich Gerichte bei Fällen sexueller Gewalt mit der Wahrheitsfindung oft so schwer? Und wann fängt Sexismus eigentlich an? Diese Fragen standen im Fokus der Sendung.

Darum ging's wirklich

Auch wenn nur ein Mann in der Runde saß: Die Talkgäste waren gut gewählt. Hannes Jaenicke, Hauptdarsteller im vorangegangenen Film, kam kaum zu Wort. Vor allem die vier Frauen hatten fundiert etwas zum Thema zu sagen. Sie diskutierten vernünftig und ruhig, tauschten interessante Argumente und Fakten aus. Es ging um erfundene Vergewaltigungsvorwürfe, die Frage, warum Frauen sexuelle Übergriffe oft nicht anzeigen, um Dominik Strauss-Kahn, Hollywood, Sexismus im Job und darum, was ein nettes Kompliment ist und was schon eine sexuelle Anspielung. Dem Zuschauer wurde klar, wie kompliziert und vielschichtig das Thema ist - und in welchem Dilemma die Richter oft stecken.

Die Gäste

Hannes Jaenicke, Schauspieler

Marlene Lufen, Sat.1-Moderatorin

Anja Keinath, ehemalige Frauenbeauftragte

Gisela Friedrichsen, Gerichtsreporterin

Teresa Bücker, Chefredakteurin den Frauenmagazins "Edition F"

Frontverlauf

Ein Großteil der Sendung dreht sich um das Dilemma der Justiz, wenn die Frage im Raum steht, ob die jeweiligen Vorwürfe sexueller Gewalt echt sind oder möglicherweise ausgedacht. Dass es Falschbehauptungen gibt - und wie sie das Leben eines Menschen ruinieren können -, wird am Fall von Horst Arnold veranschaulicht und diskutiert, der im Jahr 2002 bundesweit für Aufsehen gesorgt hatte. Der Lehrer war von einer Kollegin zu Unrecht einer Vergewaltigung beschuldigt worden - und musste fünf Jahre im Gefängnis absitzen. Erst nach seiner Entlassung aus der Haft verdichteten sich die Zweifel an seiner Schuld. In einem Wiederaufnahmeverfahren wurde er freigesprochen. Sein Leben aber war ruiniert, er war pleite, bekam nirgendwo einen neuen Job als Lehrer. Inzwischen ist er tot.

"Die Justiz tut sich grundsätzlich sehr schwer, wenn ein falsches Urteil gefallen ist, das dann zuzugeben", kritisiert die Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen, die unter anderem den Prozess um den früheren Wettermoderator Jörg Kachelmann begleitet hat. Es würde viel zu wenig getan, um solche Menschen wieder zu rehabilitieren. Sie verweist auch auf den geschichtlichen Kontext solcher Falschvorwürfe: Es habe eine Zeit gegeben, in der Frauen nicht selten, etwa bei Scheidungs- und Sogerechtsstreits, sexuelle Gewalt erfunden hätten, um ihre Ziele durchzusetzen. Das habe der Rechtspsychologie zu einem Aufschwung verholfen; heute könnten Experten sehr gut unterscheiden zwischen ausgedachten und echten Vergewaltigungsvorwürfen. Dadurch seien die ausgedachten Fälle zurückgegangen. "Aber jeder Fall der Falschbeschuldigung führt dazu, dass wirkliche Fälle mit etwas mehr Skepsis betrachtet werden, als vielleicht angemessen ist", sagt Friedrichsen.

Falschbehauptungen sind die Ausnahme

Teresa Bücker tut sich schwer damit, dass die Diskussion in diese Richtung abdriftet. Die Netzaktivistin betont, dass das die Zahl der Falschbeschuldigungen unter allen angezeigten Fällen bei nur zwei bis acht Prozent liegt - demgegenüber aber 80 bis 95 Prozent aller echten Vergewaltigungen nie zur Anzeige kommen, weil die Frauen Angst hätten und das Thema schambehaftet sei. "Für Männer ist es sogar wahrscheinlicher, selbst Opfer von sexuellen Übergriffen zu werden, als dass sie falsch beschuldigt werden", sagt Bücker.

Emotionaler Höhepunkt der Sendung ist der Moment, in dem TV-Moderatorin Marlene Lufen von einem eigenen schlimmen Erlebnis erzählt: Sie selbst wurde als 19-Jährige von einem Fotografen sexuell belästigt. Lufen schildert detailliert, wie es zu dieser Situation gekommen war - und wie sie hinterher die Schuld bei sich selbst suchte. Warum sie den Mann nicht angezeigt hat? "Das war überhaupt nicht in der Vorstellung damals, dass man so jemanden anzeigt. Meine Eltern sind auch nicht auf die Idee gekommen, auch wenn sie mir geglaubt haben." Dass es eine versuchte Vergewaltigung war, sei ihr erst später bewusst geworden. "Wenn meiner Tochter heute so etwas passieren würde, würde ich natürlich sagen, wir zeigen den an", sagt Lufen. Früher sei das aber noch anders gewesen.

Dann geht es um Ausländer

Doch auch heute sprechen die Zahlen eine eigene Sprache: Fast jede siebte Frau in Deutschland wurde schon einmal vergewaltigt oder sexuell genötigt, doch nur weniger als zehn Prozent der Sexualstraftaten werden Schätzungen zufolge angezeigt. Und: Lediglich acht Prozent der Angeklagten werden tatsächlich schuldig gesprochen, wenn es zum Prozess kommt. Das Hauptproblem der Richter: Meist steht Aussage gegen Aussage. Das Problem der Opfer: Die Prozesse sind oft sehr belastend.

Heikel wird es kurz vor Schluss, als die Runde auf "ganz neue Probleme" zu sprechen kommt - im Hinblick auf Männer mit Migrationshintergrund. "Wir haben ein massives Problem mit Gewalt gegen Frauen, das haben wir schon immer gehabt. Und dass sich das jetzt verschlimmern wird, das ist eine Verschiebung des Problems, eine Relativierung der Probleme, die wir gerade haben", sagt Bücker. Maischberger greift den Punkt nicht auf.

Zitat des Abends

"Es gibt irgendwann einen Punkt, wenn man etwas fortgeschrittenen Alters ist, wo man die Komplimente nur noch für die Leistung bekommt. Ich kann Ihnen sagen, das ist auch nicht so witzig." Mit diesen Worten sorgt Gisela Friedrichsen für großes Gelächter. Ein heiterer Moment in einer ernsten Diskussion.

(oko)
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