TV-Talk mit Anne Will "Hau-Drauf Aktion" mit politischer Absicht

Düsseldorf · Gerechtfertigter "Warnschuss", der Positionen klärt, oder ein Bruch des Völkerrechts? Anne Wills Gäste sind sich über die Bewertung des amerikanischen Luftschlags gegen Syrien keineswegs einig.

Darum ging's

US-Präsident Donald Trump bombardiert nach einem Giftgasangriff eine syrische Luftwaffenbasis. Er vollzieht damit eine Kehrtwende in seiner Syrien-Politik. Viele halten Baschar al-Asssad verantwortlich für den Gasangriff, bei dem in der vergangenen Woche mehr als 80 Menschen starben. Für die Bundesregierung trägt Syriens Präsident Assad die alleinige Verantwortung für den Militärschlag. Wie geht es nach Trumps 59 Tomahawk-Raketen weiter: "Droht nach diesem Schlag ein globaler Konflikt?" möchte Anne Will von ihrer Talkrunde wissen. War die Bombardierung gerechtfertigt? Zugleich sollen zwei Politiker, ein Historiker, ein Autor und ein Diplomat analysieren, ob Syrien nach dieser Aktion einer friedlichen Zukunft näher gerückt ist oder ferner denn je.

Darum ging's wirklich

Die Gäste diskutieren den "Warnschuss" des US-Präsidenten kontrovers. Sie streiten darüber, ob die Aktion gerechtfertigt war und ob Donald Trump das Völkerrecht gebrochen hat. Die Runde debattiert über die Rolle Russlands, den Zeitpunkt der Bombardierung und deren eigentlichen Zweck. Auch die verfahrene Situation in Syrien wird besprochen. Die Bundesverteidigungsministerin muss einige Kritik einstecken.

Die Gäste

  • Ursula von der Leyen, Bundesverteidigungsministerin (CDU)
  • Jan van Aken, Außenpolitischer Sprecher (Die Linke), Ex-Biowaffeninspekteur bei den Vereinten Nationen
  • John Kornblum, Früherer US-Botschafter in Deutschland
  • Michael Wolffsohn, Historiker
  • Michael Lüders, Autor, Politik- und Wirtschaftsberater

Frontverlauf

Über die erste Frage — Besteht jetzt die Gefahr eines globalen Konflikts? — einigen sich die Gäste relativ schnell. Keineswegs einer Meinung sind Anne Wills Diskussionsrunge allerdings darüber, ob Trumps Reaktion gerechtfertigt war.

John Kornblum sieht keine Gefahr eines neuen Weltkriegs. Der ehemalige US-Botschafter in Deutschland hält Trumps Raketen für ein politisches Signal: Die Bomben seien eher "ein befreiender Schlag, der auch den Russen zeigt, dass ihre Politik so nicht länger haltbar ist." Michael Wolffsohn stimmt ihm zu: "Ich bin nicht von Weltkriegsangst befallen", so der Historiker und Publizist. Trump habe bei dem Angriff eine "global strategische" Absicht verfolgt.

Kontroverser besprechen Anne Wills Gäste die Frage, ob der Luftschlag "richtig und angemessen" war. Ursula von der Leyen hält die Aktion für gerechtfertigt und stellt sich klar hinter den Militärschlag: "Ich finde nach wie vor richtig, dass da auch sehr klar ein Warnschuss gegeben wurde", sagte sie. Die Amerikaner hätten bewusst eine isolierte Luftwaffenbasis in einem Gebiet ohne Anwohner ausgesucht und darauf geachtet, dass keine russischen Soldaten oder Flugzeuge zu Schaden kommen. Natürlich sei ein Luftschlag keine Lösung des Konflikts, gibt sie zu. Angesichts der hochkomplexen Situation könne das Land "nur Frieden finden, wenn sich alle an einen Tisch setzten und politische Lösung vereinbaren".

"Völlig unklar wer Gift eingesetzt hat"

Scharfe Kritik an Von der Leyens Position übt der Linke Jan von Aiken. Es sei nicht bewiesen dass es wirklich Assad war, der mit Giftgas angegriffen habe. Die Raketen könnten ebenso gut von IS-Kämpfern erobert und benutzt worden seien. "Es ist noch völlig unklar, wer dieses Giftgas eingesetzt hat", so von Aiken, der zeitweilig Biowaffenexperte der Vereinten Nationen war. Man dürfe doch "nicht erst Bomben, und dann Fragen stellen", sondern müsse erst in Ruhe untersuchen, um zu wissen wer's war. Für von der Leyen bleibt allerdings "glasklar, dass Assad seine Bevölkerung mit Giftgas angegriffen hat."

Auch Autor Michael Lüders spart nicht an Kritik, vor allem an den Ursachen für die Situation in Syrien, die er für einen Stellvertreterkrieg hält, bei dem sich die westlichen Staaten mit Russland, Iran und China nicht einigen könnten. In Syrien wäre es "niemals zu so einer humanitären Katastrophe gekommen, wenn nicht alle anderen da ihr Süppchen kochen wollten." Was die Syrer selbst wirklich wollten, interessiere mittlerweile niemanden mehr, kritisiert der Nahostexperte. John Kornblum kanzelt Lüders' Position als eine "Verschwörungstheorie" ab. Sich über die Schuldfrage zu streiten, helfe seiner Ansicht nach nicht bei der Lösung des Konflikts.

Zeitpunkt war kein Zufall

Darüber, dass der Zeitpunkt des Schlages gegen Baschar al-Asssads Stützpunkt kein Zufall war, sind die Gäste sich weitgehend einig. Der Angriff wurde geflogen, während der chinesische Staatspräsident bei Trump in den USA war, für Historiker Wollfsohn eine klare Ansage an Xi Jinping und Nordkorea.

Auch von der Leyen sieht das so: Hier sei zu einem gewählten Zeitpunkt ein klares Signal Richtung Nordkorea gesendet worden. Während die USA Druck auf China verstärkten, Nordkoreas Atomprogramm zu stoppen, hätte Trump in Syrien gezeigt, dass man nicht alles durchgehen lasse.

"Völkerrechtlich nicht koscher"

Der Linke von Aken ist "schockiert, dass Frau von der Leyen den "Warnschuss" für gerechtfertigt hält." Er erinnert daran, dass es keine Völkerrechtsresolution gegeben habe, die diesen Schritt rechtfertige. Das Völkerrecht sei klar ignoriert worden, "wenn man sagt, wenn einer so brutal ist wie Assad, darf man auch mal bombardieren." Und er teilt weiter aus: "Das ist eine Irreleitung der Bevölkerung." Jan von Aken räumt ein, dass der Sicherheitsrat durch Russland blockiert sei, aber das erlaube nicht solche Schlüsse. "Wenn wir nicht wollen, dass sich das zwischen den beiden Machos in Washington und Moskau aufschaukelt", sei in seinen Augen eher ein gemeinsamer Untersuchungsausschuss sinnvoll.

Auch Wollfsohn sagt: "Völkerrechtlich muss man zugeben, das ist nicht koscher". Aber das Völkerrecht habe auch im syrischen Bürgerkrieg einen Völkermord nicht verhindert. "Wir sollten aber nicht diese "Hau-Drauf-Aktion" alleine anschauen", sagt der Historiker. Er und Kornblum sind sich einig, dass es vor dem Schlag offenbar eine Verständigung zwischen USA und Russland gegeben habe. Sonst hätten Russlands Raketenabwehr in Syrien die 59 US-Tomahawks angegriffen. Zugleich, so Kornblum zwinge die Aktion jetzt die russische Seite zum Handeln. "Putin weiß inzwischen, dass er sich mit Assad in einer Sackgasse befindet. Ich glaube die Zeit war gekommen, wo der Westen etwas sagen musste."

Kornblum hält dagegen: "Die Trump Administration ist total durcheinander." Aber auch der betreffende Teil der Welt sei durcheinander, da sei Völkerrecht nicht immer, was geschrieben stehe, sondern müsse sich den Gegebenheiten anpassen. Seiner Ansicht nach werde es in Syrien "wahrscheinlich nie einen zentralen Staat geben."

Was passiert als nächstes?

Anne Wills Aufforderung, vorherzusagen was als nächstes passieren werde, folgt die Bundesverteidigungsministerin mit ihrer Perspektiven. Für von der Leyen geht es weiter vor allem darum, IS zu bekämpfen, eine militärische Beteiligung Deutschlands werde es indes in keinem Fall geben. Für das Bürgerkriegsland werde es nie eine militärische Lösung geben, es müsse eine politische Lösung gefunden werden. Genf und die Vereinten Nationen seien dafür der richtige Ort, an dem Gespräche stattfinden sollen, auch wenn es lange dauere.

Von der Leyen hofft auf eine Übergangszeit, an deren Ende ein Syrien ohne Assad steht. "Der Mann hat 400.000 Menschen auf dem Gewissen und zwölf Millionen in die Flucht geschlagen." Das sei "so unerträglich", vom Giftgas mal gar nicht zu reden, "dass man sich einfach nicht vorstellen kann, dass er weiter eine zentrale Rolle spielt."

Darüber dass die Idee "man nehme mal einen Diktator raus, und dann löst sich das Problem" nicht funktioniere, waren sich auch die übrigen Teilnehmern einig.

Wolffsohn findet schwer zu beurteilen, was als nächstes kommt, findet aber, dass angesichts der offensichtlichen Zusammenarbeit zwischen USA und Moskau die positiven Zeichen überwiegen: "Meiner Ansicht nach wird es darauf hinauslaufen, dass die Europäer mehr und mehr beiseite gedrängt werden." Der Historiker kann sich vorstellen, dass es zu einer "Dreiheit von USA, Russland China" kommen könnte. "Eine Pazifierung Syriens ist nur möglich durch föderative Strukturen." Dass sich Putin wenn auch nicht offen sondern indirekt von Assad distanziere sei ein gutes Zeichen. Auch Michael Lüders sieht da eine Chance. Es gebe eine Chance, "wenn Russland und die USA sich auf gleicher Augenhöhe begegnen und einen Deal machen."

Fazit

Eine spannende Diskussion über eine brisante Situation, die den Zuschauern wichtige Einsichten lieferte. Statt Meinungen zu plakatieren wurde zum Mitdenken aufgefordert.

(juju)
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