Analyse Das Talkshow-Parlament

Berlin · Die Debatten der Bundesrepublik finden nicht mehr nur im Parlament statt: Täglich informieren und unterhalten politische Talkshows die Zuschauer. Die Gesprächsrunden gewinnen zunehmend an Qualität und Relevanz.

Das ist TV-Moderator Günther Jauch
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Das ist Günther Jauch

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Foto: dpa/Henning Kaiser

Die politischen Talkshows sind zum ständigen Grundrauschen der Berliner Republik geworden. Nach vielen Diskussionen über Sinn und Qualität hat sich eine Handvoll von ihnen bei hohen Einschaltquoten etabliert. Schlimmste Befürchtungen, der Dauer-Talk auf vielen Kanälen könnte den politisch interessierten Bürger völlig vergrätzen, haben sich nicht bestätigt. Die meisten Polit-Gesprächsrunden sind besser als ihr Ruf. Selten, aber durchaus ab und zu werden sie sogar zu echten Sternstunden des Fernsehens. Richtig gut sind sie, wenn sie es dem Zuschauer ermöglichen, Spitzenpolitiker unmittelbar zu erleben. Dazu müssen und können sie nicht immer perfekt sein. Es kommt vor, dass auch einem Günther Jauch das Gespräch mit einem wortgewandten Salafisten entgleitet. Aber selbst das kann für den Zuschauer lehrreich sein.

Die ersten großen Streits darüber, wie sinnvoll das politische Gespräch vor laufenden Kameras sein kann, hat die Mutter der ersten großen Talk-Runde nach amerikanischem Format, Sabine Christiansen, auszuhalten gehabt. Sie moderierte den Talk zur besten Sendezeit am Sonntagabend im Ersten von 1998 bis 2007. Christiansen spaltete das Land in jene, die ihre Sendung unerträglich fanden, und die anderen, die sie liebten. So sehr wie ihre gleichnamige Show polarisiert heute kaum noch ein Format. Außer vielleicht "Markus Lanz", wenn er einen besonders schlechten Tag hat.

Der CDU-Politiker Friedrich Merz attestierte Christiansen damals, sie würde mit ihrer Show die politische Agenda der nächsten Woche setzen. Merz sprach sogar von der Talkshow als "Ersatzparlament". Dazu ist es nicht gekommen, auch nicht mit mehr Sendungen. Heute wird in den öffentlich-rechtlichen Programmen fast jeden Abend debattiert. Die Sendungen präsentieren informierende Einspieler, konfrontieren ihre Gäste mit gesammelten Fakten. Das macht die Shows relevanter. Frank Plasberg, Sandra Maischberger, Anne Will und Maybrit Illner talken um die Wette, jeder auf seine oder ihre Art. Während Illner hart nachhakt und auch weniger bekannte Fachpolitiker aus der zweiten Reihe zu Wort kommen, geht es bei Plasberg um den geordneten Faktencheck unter seiner Anleitung.

Anne Will ist auf ihrem neuen Termin am Mittwochabend etwas ins Abseits geraten, steht aber weiter für den eher unaufgeregten, hintergründigen Talk. Sandra Maischberger setzt auf den menschlichen Zwischenton, in ihrer Sendung wird es in der Regel gefühliger. Auch die Privatsender zogen nach. Unterhaltungsmann Stefan Raab etablierte seinen Turbo-Talk "Absolute Mehrheit" 2012 noch ein neues Format auf ProSieben, bei dem die Zuschauer am Ende einen Sieger wählen dürfen. Vor allem die ernsten Formate werden oft zum Gesprächsstoff. Bei Jauch etwa wurde mitten in der Krise mit der Ukraine ein erstes Interview eines ARD-Kollegen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ausgestrahlt. Schon während der Sendung begann in den sozialen Medien eine Paralleldebatte zu dessen Aussagen. Auch das ist ein neues Phänomen politischer Diskussionen. Während des Sehens werden Meinungen über Facebook und Twitter mit Freunden ausgetauscht oder an die Redaktionen gesendet. Formate wie "Hart aber Fair" in der ARD bauen die Fragen der Zuschauer gleich in die Sendung mit ein.

Das Echo auf die Jauch-Sendung mit Putin ist geteilt. Viele schätzen es, dass der russische Präsident sich erklären konnte. Andere sahen darin eine Bühne für Putin, auf der er nicht hart genug befragt wurde. Vielleicht ist das größte Verdienst der Talk-Runden, dass sie Politik ernst nehmen und sie mit ihren, der begrenzten Sendezeit geschuldeten, Zuspitzungen im Gespräch halten. Mehr als fünf Millionen Zuschauer sahen Jauchs Show an diesem Sonntag, als erstmals eine Vertreterin der "Pegida"-Bewegung auftrat. Eine Talkshow kann zwar kritisch fragen, läuft aber immer auch Gefahr, dass ihre Teilnehmer sie für ihre Sache nutzen können. "Der Hinterbänkler schafft es in der Regel nicht in die Polit-Talkshow. Gute und bekannte Köpfe bringen Quote und können Positionen auch gut vermitteln, erzeugen Sympathie oder Antipathie", sagt der Medienlinguist Sascha Michel von der Universität Koblenz-Landau.

Der häufigste Talkshow-Gast 2014, der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach, schätzt die Runden, "weil ich dort eine wesentlich größere Reichweite habe als in einer Bundestagsdebatte". Talkshows können aus seiner Sicht einen ohnehin vorhandenen politischen Trend verstärken, ihn aber nicht setzen. Bosbach sieht sie deshalb nicht als Konkurrenz zum Parlament.

Auch der "Bild"-Kolumnist und häufige Talkshow-Gast Hugo Müller-Vogg findet, dass sich beides ergänzt: "In meiner Jugend gab es sonntags den politischen Frühschoppen und ein, zwei weitere Formate während der Woche." Heute haben wir jeden Abend die Spitzenpolitiker im Wohnzimmer". Er sieht das als Gewinn. Es ist aus seiner Sicht eine "unrealistische Vorstellung", dass sich die meisten Bürger beim Lesen von Fachbüchern über Politik informieren.

Politische Talkshows können aus Sicht des Medienlinguisten Michel nie Debatten im Parlament ersetzen. Die "inszenierte Art des Wortgefechts" könne dazu beitragen, dass Politik für viele interessant wird. "Wir können nicht messen, ob sich ein Zuschauer durch den Genuss einer Talkshow in seiner politischen Einstellung verändert oder ob ihn das eher zur Wahlurne treibt", sagt Michel. Seine Beobachtung aus sozialen Netzwerken sei aber, dass die Zuschauer aus unterschiedlichen Gründen einschalten, um sich zu informieren oder sich unterhalten zu lassen. Talkshows sind aber nur eines von mehreren Vehikeln, um Politik zum Bürger zu transportieren. Sie machen ihre Sache zurzeit nicht schlecht.

(RP)
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