TV-Krimireihe Das waren die drei besten "Tatorte" des Jahres

Düsseldorf · Die ARD-Krimireihe gehört zu den letzten großen Quotenbringern im deutschen Fernsehen. Wir haben zurückgeblickt und die drei besten Folgen des Jahres 2014 gekürt.

"Tatort: Franziska" - niederschmetternd gut
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"Tatort: Franziska" - niederschmetternd gut

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Platz 3: "Franziska"

Direkt zu Beginn des Jahres scherte der "Tatort" aus der Reihe. Denn die Kölner Episode "Franziska", ausgestrahlt am 5. Januar, lief nicht wie gewohnt um 20.15 Uhr, sondern erst um 22 Uhr. Zu brutal, befanden die Medienaufseher, und tatsächlich war die dramatische Abschiedsfolge für die langjährige Assistentin Franziska (stark: Tessa Mittelstaedt) ein Thriller, der an die Nerven ging.

Zuvor immer nur netter Sidekick, der von den Kommissaren Freddy Schenk (Dietmar Bär) und Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) mit typischer Vorgesetzen-Arroganz behandelt wurde — Ballauf nahm Anrufe von ihr stets mit einem genervten "Was is, Franziska?" entgegen —, bekam die amtsmüde Darstellerin Mittelstaedt einen furiosen Abgang.

Die Polizistin glaubt, im Häftling Daniel Kehl (Hinnerk Schönemann) einen geläuterten Sünder vor sich sitzen zu haben, der es bereut, eine Frau vergewaltigt und getötet zu haben. Er steht nach zehn Jahren kurz vor der Entlassung, Franziska ist seine Bewährungshelferin und hat ihm bereits ein Zimmer in einem Wohnheim besorgt.

Plötzlich geht im Gefängnis der Alarm los, der Häftling Sergej Rowitsch (Dimitri Bilov) liegt erstochen in seiner Zelle. Mitinsasse Niklas Berg (Axel Schreiber) behauptet, Kehl habe den Mord begangen. Der hat Franziska inzwischen als Geisel genommen und verlangt, umgehend freigelassen zu werden. Er bietet dem Staatsanwalt von Prinz (Christian Tasche) dafür Namen von Häftlingen und JVA-Beamten an, die in der Vergangenheit Ausbrüche organisiert haben.

Den Mord an Rowitsch streitet er ab. Schenk und Ballauf, die auf Franziskas Geiselnahme hysterisch reagieren, sollen den Mord so schnell wie möglich aufklären, um den als unschuldig eingeschätzten Kehl zu entlasten und ihn so zu besänftigen. Franziska zieht derweil alle psychologischen Register, um Kehl zum Aufgeben zu bewegen. Doch der verlangt weiter, so schnell wie möglich freizukommen.

Der WDR-Film bricht mit der Erwartung, dass am Ende alles gut wird. In auch für hartgesottene Krimi-Fans schwer zu ertragenden Szenen stirbt Franziska einen brutalen, schmerzhaften Tod, stranguliert durch einen Kabelbinder.

Der Szenenwechsel zwischen dem Kammerspiel von Kehl und Franziska in dem Verhörraum einerseits und den hektischen Ermittlungen von Ballauf und Schenk andererseits gibt dem Film (Regie: Dror Zahavi, Buch: Jürgen Werner) eine besondere Dynamik. Tessa Mittelstadt zeigt, dass sie mehr kann, als die Assistentin im Hintergrund zu spielen.

Platz 2: "Am Ende des Flurs"

Szenenbilder aus "Tatort: Am Ende des Flurs"
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Szenenbilder aus "Tatort: Am Ende des Flurs"

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Vom Bayerischen Rundfunk ist man starke Fälle gewohnt, die wunderbar abgebrühten Kommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) ermitteln seit nunmehr 23 Jahren. Diese Folge vom 4. Mai aber brachte beide an ihre Grenzen, der Film stellte sogar eherne Branchengesetze auf den Kopf. Einen astreinen Cliffhanger kennt man sonst eher von amerikanischen Serien, nicht von der alten Tante Tatort.

Es ging in diesem Fall um die Wucht der Einsamkeit, und er fesselte von Anfang bis Ende. Die Edel-Prostituierte Lisa Brenner (Fanny Risberg) liegt tot vor einem Hochhaus, gefallen aus dem zwölften Stock, ein Champagnerglas neben ihr. Die Kommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) gehen den Fall zunächst an wie jeden anderen, mit routinierter Distanz und der üblichen Genervtheit über dreiste Gaffer und ignorante Nachbarn, die natürlich weder etwas gesehen noch gehört haben.

Doch dieser Fall ist nicht Routine, er erschüttert das eheähnliche Verhältnis der Kommissare bis ins Mark. Als sie den seltsamen Rentner Harry Riedeck (Wolfgang Czeczor) befragen, der für die junge Frau einkaufte und ihren Papierkram erledigte, erzählt der von wechselnden Männerbekanntschaften der gebürtigen Schwedin. Keiner habe ihr viel bedeutet, auch er selbst sei nur eine Art väterlicher Freund gewesen.

Einer aber war etwas Besonderes, der eine, der es hätte schaffen können, sie von ihrem polygamen Leben abzubringen, der Abhängigkeit von Gönnern, die sie mit Sex und gespielter Zuneigung bezahlte. Es ist: Franz Leitmayr. Der Film ist zu diesem Zeitpunkt schon rund eine Viertelstunde alt, der Kommissar hat sich nichts anmerken lassen, hat sich in ihrer Wohnung umgesehen und Zeugen befragt.

Auf seine Entlarvung reagiert er mit störrischem Schweigen. Sein langjähriger Kollege ist außer sich. "Ich dachte, wir sind Freunde", herrscht er ihn an. Leitmayr, ein Mann ohne nennenswertes Privatleben, der sich seit mehr als 20 Jahren darauf beschränkt, Polizist zu sein, wirkt plötzlich wie ein völlig Fremder.

Für seinen Vorgesetzten Lammert (schön hysterisch: Alexander Jagsch) ist er damit untragbar, eine Katastrophe, er suspendiert ihn umgehend. Batic, der angesichts des Vertrauensbruchs zwischen Wut und freundschaftlicher Fürsorge schwankt, bekniet ihn, nicht alles noch schlimmer zu machen und sich herauszuhalten. Doch Leitmayr kann sich nicht heraushalten. In Rückblenden erfährt der Zuschauer, dass er Lisa Brenner geliebt hat und sie ihn, er wollte für sie seinen Job an den Nagel hängen.

Doch er hat es nicht geschafft, das Pflichtbewusstsein, sein sicheres Leben als einsamer Fahnder ohne emotionale Risiken war ihm am Ende wichtiger. Zwei Tage vor ihrem Tod hat Lisa ihm auf die Mailbox gesprochen, nach fast anderthalb Jahren ohne Kontakt. Er hat nicht zurückgerufen. Er glaubt, dass sie deshalb tot ist, obwohl die Ermittler Selbstmord bald ausschließen.

Tatsächlich war die unscheinbare Nachbarin Margot Höllerer (Barbara de Koy) die Mörderin, die Lisa Brenner nicht teilen wollte, die eine unheilvolle Bewunderung für sie entwickelt hatte. Sie sticht ihren vermeintlich größten Konkurrenten, Franz Leitmayr, in der letzten Szene in den Rücken. Er bleibt blutüberströmt liegen, Kollege Batic ruft verzweifelt: "Du schaffst das!" Dass Leitmayr im nächsten Münchener Tatort herumlief, als sei nichts passiert, tut der tollen Folge keinen Abbruch. Höchstens dem Bayerischen Rundfunk.

Platz 1: "Im Schmerz geboren"

Ulrich Tukur im Tatort "Im Schmerz geboren"
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Der Tatort "Im Schmerz geboren" mit Ulrich Tukur

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Bei aller Wertschätzung für die Plätze 2 und 3, an die Nummer 1 reichen sie beide nicht heran. Die Episode des Hessischen Rundfunks aus Wiesbaden vom 12. Oktober war kein Krimi, sondern ein Kunstwerk. Eine geniale Mischung aus Thriller, Western und Theaterstück, ein Film, der von seinen grandiosen Hauptdarstellern Ulrich Tukur (Hauptkommissar Felix Murot) und dem besten Bösewicht seit Christoph Waltz in "Inglorious Basterds", Ulrich Matthes, lebt.

Die von Regisseur Florian Schwarz (Buch: Michael Proehl) inszenierte Drama-Groteske wurde bereits auf dem Münchener Filmfest ausgezeichnet und mit dem Ludwigshafener Medienkulturpreis geehrt. So ziemlich alles an diesem Film — von der völlig genreuntypischen Erzählweise über die wuchtige Musik des HR-Symphonieorchesters bis hin zu psychedelischen Fantasy-Einlagen — ist anders, ungewöhnlich und damit hochspannend.

Tatort: Teams mit den besten Quoten
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Die quotenstärksten "Tatort"-Teams von November 2011 bis Dezember 2015

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Foto: dpa, Sven Hoppe

Zwei Gemälde an einer roten Wand, dann ein Mann, der im bolivianischen Dschungel mit dem Gewehr auf ein unbekanntes Opfer zielt. Plötzlich taucht ein Erzähler (Alexander Held) auf, der in Theatermanier und in blumiger, metaphernreicher Sprache die Geschichte ankündigt. In deren erster Szene werden drei Männer an einem einsamen hessischen Bahnsteig erschossen. Kurz zuvor ist ein Mann ausgestiegen. Er sieht die Drei sterben, verzieht keine Miene und geht. Dazu gibt es dramatische Musik und verzerrte Standbilder der Opfer, die an die Ästhetik von Tarantino-Filmen erinnern.

Ulrich Matthes, der Mann mit den tief sitzenden, schwarzen Augen, der im oscarnominierten Drama "Der Untergang" erschreckend präzise den NS-Propaganda-Hetzer Joseph Goebbels verkörperte, liefert in diesem Film eine furiose Performance ab. Er ist Richard Harloff, der fremde Mann vom Bahnsteig, der sich bald als alter Freund von LKA-Ermittler Felix Murot herausstellt.

Vor mehr als 30 Jahren waren die beiden zusammen an der Polizeischule und führten eine Dreiecksbeziehung mit einer Frau, die sie innig liebten und doch mit dem Kumpel teilten. Als Harloff des Drogenbesitzes verdächtigt wird, fliegt er von der Schule und taucht mit der gemeinsamen Freundin in Südamerika unter, die sich für ein Leben an seiner Seite entschieden hat. Bei der Geburt des ersten Kindes kommt sie um, und Harloff steigt zum skrupellosen Drogenboss auf. Nun ist er plötzlich zurück, im schwül-heißen Wiesbaden, und gibt den Geläuterten.

Mit den Morden am Bahnsteig habe er natürlich nichts zu tun, versichert er Murot, der sich ihm in einer Mischung aus Neugier, Faszination und Misstrauen nähert. Fast immer umspielt Harloffs Gesicht ein Lächeln, er ist charmant und wirft gönnerhaft mit 200-Euro-Scheinen um sich. Doch da ist auch das Abgründige, das Undurchschaubare, das auf eine innere Agenda des vermeintlichen Ex-Schurken hindeutet, die sich nicht mit seiner Geschichte vom heimgekehrten Kumpel deckt.

Auch dem Zuschauer wird bald klar, dass es sich hier um einen perfekt durchgeplanten Rachefeldzug handelt, bei dem Harloff all jene Menschen zerstören will, die damals zu seinem Rauswurf bei der Polizei beitrugen und ins Exil zwangen. Treu an seiner Seite steht sein Sohn David (Golo Euler), den Harloff genauso psychisch quält und manipuliert wie seine anderen Untergebenen.

Er verleibt sich die Werkstatt eines seiner Gegner ein, Alexander Bosco (Alexander Held in einer Doppelrolle als frühes Mordopfer und Erzähler), dem Vater der drei Toten vom Bahnsteig, und macht dessen Mitarbeiter kurzerhand zu Angestellten, die für ihn eine Spielbank überfallen sollen. Sein eigentliches Ziel aber ist Murot.

In Wahrheit ist der Kommissar der Vater von David, und Harloff, voller Hass für den Rivalen, möchte, dass Murot David tötet. Der bekommt mit, dass sein vermeintlicher Vater ihn aus reinen Rachegelüsten opfern will, und erwürgt ihn. Harloffs Plan war, David mit einer Pistole, die nur Platzpatronen enthält, auf Murot loszulassen in der Hoffnung, dass der ihn aus Notwehr erschießt.

Doch als es so weit ist, spürt Murot, dass etwas nicht stimmt, dass David nicht richtig auf ihn zielt. Tragischerweise spüren das die anrückenden Kollegen nicht und töten den jungen Mann. Murots Kollegin Wächter, die zuvor von Harloff entführt worden war und weiß, dass soeben Murots Sohn gestorben ist, vernichtet sämtliche Beweise für die Vaterschaft. Unterdessen hat vor der Spielbank ein regelrechtes Massaker unter Polizisten und Gangstern gegeben, genauso, wie Harloff es sich gewünscht hat.

Wenn der vertraute Abspann mit dem Fadenkreuz läuft, steckt der Zuschauer noch mittendrin — fasziniert, verstört, begeistert. Begeistert, dass der Tatort noch derart überraschen kann. Und begeistert, dass Deutschland Schauspieler wie Ulrich Matthes und Ulrich Tukur hat.

(gev)
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