"Tatort" aus Kiel Borowski und der grobe Unfug

Kiel · Durch überambitionierte Herangehensweise verschenkt "Borowski und das dunkle Netz" eine gelungene Aufarbeitung des Themas Kriminalität im Darknet.

Bilder vom Tatort aus Kiel: Borowski und das dunkle Netz
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Tatort: Borowski und das dunkle Netz

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Foto: NDR

Einerseits war er überfällig, der "Tatort", der das sogenannte Darknet beleuchtet, den Teil des Internets, in dem politisch Verfolgte offen miteinander kommunizieren können, wo aber auch der illegale Handel mit Medikamenten, Drogen und Waffen blüht. Andererseits denkt man sich danach: Wie so oft wäre hier weniger mehr gewesen.

Mit der Anfangssequenz will der sonst so brav-solide Kieler Krimi beweisen, wie mutig er sein kann: Der böse Bube steht im strömenden Regen, eine gruselige Wolfsmaske mit Reißzähnen über dem Kopf, einen Spielzeugteddy im Rucksack, ein Foto seines Opfers in der Hand. Sein Atem geht schwer, Stimmen raunen ihm Unverständliches ins Ohr. Dann nimmt die Kamera seine Perspektive ein: Fast ist es nun, als schraube man selbst einen Schalldämpfer auf eine Pistole, betrete ein Fitnessstudio und schieße zu irritierend fröhlichen Klängen um sich. Zweieinhalb Minuten geht das so, die Gewaltorgie wirkt durch die Ego-Shooter-Perspektive unmittelbarer und unwirklicher zugleich.

Schnell stellt sich heraus: Der Killer war übers Darknet angeheuert worden, um den Leiter der Spezialabteilung "Cyber Crime" des LKA zu töten. Sarah Brandt (Sibel Kekilli) ist ganz in ihrem Element, war sie doch einst selbst Hackerin. Umso gründlicher erklären die zwei Nerds vom Dienst dem durch und durch analogen Borowski (Axel Milberg) sowie dem Publikum die Idee des Darknet sowie dessen Vor- und Nachteile, dazu das Drumherum, etwa die virtuelle Währung Bitcoin zur Abwicklung anonymer Zahlungen.

Tatort – diese Teams ermitteln
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"Tatort" – diese Teams ermitteln

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Diese Herausforderung meistern die Macher unter anderem, indem sie einen digitalen Mini-Borowski in eine bunte, Comic-artige 3D-Simulation verfrachten. So weit, so gut, es hätte ein spannender Krimi werden können - nette Gags inklusive, darunter das Fremdscham auslösende und gerade deshalb so realistisch wirkende Werbevideo für "SCHAKAL - die Schleswig-Holsteinische Analyse-, Kriminologie-, Archivierungs- und Leitungssoftware".

Doch diese respektable Leistung wird ohne Not verschenkt. Während ein grotesker Schlenker auf den nächsten folgt, bleibt die Logik auf der Strecke: Eine ganze Stunde dauert es etwa, bis Borowski und seinen Genies dämmert, dass Teilnehmer geheimer Treffen ihre Handys doch tatsächlich abschalten können. Von vorn bis hinten absurd sind das Schicksal eines Fingers sowie eine Verfolgungsjagd, deren Beteiligte es während einer Handballpartie mit zehntausenden Zuschauern mitten auf das Spielfeld verschlägt.

Durch diesen Plot stolpern anstelle von Charakteren meist bloß Karikaturen. Einer der erwähnten Nerds stottert, der andere ist ein Klischee-Asiate mit Riesenbrille und Rollerskates, beide ernähren sich von Pizza und baggern Brandt an, wenn sie nicht gerade in "Hacken für Dummies" schmökern. Der LKA-Boss ist ein operettenhafter Hanswurst, und dann ist da noch eine übergewichtige Hotelfachangestellte mit übersteigertem Paarungsdrang (in einer maximal undankbaren Rolle stark: Svenja Hermuth).

Im Klamaukstadl Münster wäre all das Standard, im postironischen Weimar-"Tatort" teils sogar genial - doch dass Borowski und Brandt in diversen Genres, ja, Realitäten zugleich agieren sollen, ist grober Unfug. Kein Wunder, dass es Sibel Kekilli reicht. Sie hat hingeschmissen. Ein "Tatort" mit ihr wird noch im Mai gesendet, war aber bereits abgedreht, bevor sich David Wnendt am vorliegenden Film verhob.

"Tatort", Das Erste, So., 20.15 Uhr

(tojo)
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