"Tatort" aus Dortmund Ein schwer erträgliches Meisterwerk

Dortmund · Der siebte Dortmund-"Tatort" beleuchtet die Spirale von Ausländerfeindlichkeit und Ausländerkriminalität. Einige Szenen sind schwer zu ertragen, der Film überzeugt dennoch.

Tatort aus Dortmund: Szenen aus "Kollaps"
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Szenen aus dem Dortmunder Fall "Kollaps"

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Erst sechs Jahre alt ist die blonde Emma mit dem rosa Nagellack, die in der "Tatort"-Folge "Kollaps" beim Spielen im Sandkasten eines Parks qualvoll an einer Überdosis stirbt. Zwei Kleindealer aus dem Senegal hatten das Kokain bei einer Razzia in Panik dort vergraben - und wurden beim Versuch, es wiederzufinden, von Emmas Mutter verjagt wie Tiere.

In den Schock der Eltern mischt sich sehr schnell unbändige Wut. Auf die machtlose Polizei und vor allem auf "die Ausländer" selbst, die in "unser Leben eindringen". Angestachelt werden sie dabei von ihrem Freund aus dem Modelleisenbahn-Club. Durch die Armutszuwanderung in den sozialen Brennpunkt Dortmund-Nordstadt sieht er einen "gesellschaftlichen Tsunami" heranrollen - angesichts von "8000 Bulgaren, alles Analphabeten, die hier jeden Job machen, für jedes Geld. Dazu Kurden, Rumänen, Schwarzafrikaner."

Die Ermittler Peter Faber (Jörg Hartmann) und Martina Bönisch (Anna Schudt) fahnden nach den Dealern, einem Geschwisterpaar, das bei der Razzia fotografiert worden war. Doch bald geraten die afrikanischen Jugendlichen in tödliche Gefahr. Durch die Eltern oder deren Freunde, die sich blutig rächen wollen - oder doch durch den schmierig-schnöseligen türkischen Gangsterboss Tarim Abakay (Adrian Cay), der die Gelegenheit nutzen will, um sein Revier zurückzuerobern?

Davon, wie komplex Ausländerfeindlichkeit, Integrations-Versagen und Ausländerkriminalität sind und wie stark miteinander verwoben, erzählt dieses düstere Meisterwerk der "Tatort"-Historie, durch dessen drastisch entsättigte, farblose Dortmund-Kulisse die Akteure verzweifelt und vollends desillusioniert stolpern wie Zombies.

"Kollaps" lässt kein heikles Thema aus, von der Überforderung der Polizei und dem daraus erwachsenden Drang nach Selbstjustiz bis hin zu den Verlockungen durch bar bezahlte Halbwelt-Jobs für perspektivlose Migranten durch Mafiosi. Jede bittere Wahrheit oder das, was die Akteure dafür halten, wird dem Publikum ohne Korrektiv zugemutet, und der Anblick einer nackten Mädchenleiche in der Pathologie obendrein.

Eine weitere Facette bekommt das Drama durch die Selbstaufgabe der Hauptfigur Bönisch. Sie verliert das Sorgerecht für ihre Kinder, weil die beim Vater bleiben wollen. Bönisch selbst ignoriert die Avancen ihres psychisch zerrütteten Partners Faber - und lässt sich lieber auf One-Night-Stands in Hotels mit Männern ein, die sie als Tiefpunkt auch noch dafür bezahlen wollen. Niemandes privater Alltag stoppt, egal welche Katastrophen sich in der Welt ereignen - auch daran erinnert "Kollaps".

Sie selbst hätte als Zuschauerin bei dieser außerordentlich düsteren Folge abgeschaltet, gibt die Hauptdarstellerin Anna Schudt zu. Doch gerade wegen der bedrückenden und verstörenden Szenen sei es wichtig, sich diesen "Tatort" anzusehen - auch wenn es manchmal weh tut.

"Tatort: Kollaps", So., ARD, 20.15 Uhr

(tojo)
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