Uni-Projekt "Tatort"-Kommissare brechen oft das Gesetz

Dortmund · Hausfriedensbrüche, falscher Umgang mit Verdächtigen - pro Folge verhalten sich die Ermittler im Schnitt dreimal nicht korrekt, wie ein Uni-Projekt ermittelt hat.

 Das Ermittler-Team aus Münster: Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers, r) und Kommissar Frank Thiel (Axel Prahl, l).

Das Ermittler-Team aus Münster: Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers, r) und Kommissar Frank Thiel (Axel Prahl, l).

Foto: WDR/Thomas Kost/Martin Menke

Hausfriedensbrüche, falscher Umgang mit Verdächtigen - pro Folge verhalten sich die Ermittler im Schnitt dreimal nicht korrekt, wie ein Uni-Projekt ermittelt hat.

Professor Boerne kann es einfach nicht lassen. Den Rechtsmediziner aus dem Münsteraner "Tatort" zieht es immer wieder von seinem Obduktionstisch nach draußen zu den Tätern. Nicht selten gerät er dabei selbst in Gefahr. Aber er schnüffelt einfach viel zu gerne. Zum Leidwesen von Kommissar Thiel. Der muss Boerne jedes Mal wieder klar machen, dass er nicht mit ermitteln darf.

Doch nicht nur Boerne übergeht gerne mal die Regeln, auch Thiel hält sich nicht immer ans Gesetz. So steigt er auch schon mal in ein Haus ein - ohne Durchsuchungsbeschluss. Seine "Tatort"-Kollegen stehen ihm dabei in Sachen Rechtsauffassung in nichts nach.

Den letzten "Tatort" aus Münster sahen 14,56 Millionen Menschen. Thiel (Axel Prahl) und Boerne (Jan Josef Liefers) gehören zu den beliebtesten Teams der Krimiserie. Auch wenn der "Tatort" fiktive Geschichten erzählt, er gibt den Zuschauern Einblicke in die Welt von Polizei und Justiz. Und nicht immer ist der "Tatort" so erkennbar überzeichnet wie der aus Münster. Die meisten Ausgaben der Krimireihe zielen auf Realismus. Der Zuschauer könnte glauben, dass echte Kommissare ähnlich ermitteln wie die aus der TV-Serie.

Tobias Gostomzyk, Professor für Medienrecht an der Technischen Universität Dortmund, stellte sich deswegen die Frage: Wie sehen eigentlich die Rechtsauffassungen von "Tatort"-Kommissaren aus? "Der ,Tatort' eignet sich besonders gut, um zu verdeutlichen, welches Bild des Rechts ein Mediennutzer entwickelt", sagt er. "Die Serie greift nämlich aktuelle Themen auf, sie will nicht nur fiktional sein. Sie schafft vielmehr den Eindruck, die Realität abbilden zu wollen, auch im Hinblick auf die Darstellung der Justiz."

Zusammen mit seiner Projektgruppe, bestehend aus einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin, vier Journalistikstudenten der TU Dortmund und vier Jurastudenten der Ruhr-Uni Bochum, analysierte Gostomzyk 34 "Tatort"-Folgen aus dem Jahr 2015. Das Ergebnis: In jeder Folge verstoßen die Ermittler gegen das Recht. Insgesamt sind es 96 Verstöße in den Folgen aus dem Jahr 2015. Bei den Vergehen handelt es sich hauptsächlich um Verstöße gegen die Strafprozessordnung. In dieser ist zum Beispiel festgelegt, welche Informationen ein Ermittler einem Beschuldigten bei einer Festnahme mitteilen muss.

Auf Platz eins der Verstöße der "Tatort"-Kommissare landet genau diese unzureichende Belehrung von Tatverdächtigen. Verbotene Ermittlungsmethoden landen auf Platz zwei, unzulässige Durchsuchungen auf Platz drei. Auch Hausfriedensbrüche und Verkehrsdelikte stehen auf der Liste der Vergehen.

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Die Tatort-Kommissare feiern die 1000. Krimi-Folge

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Foto: dpa, ahe fgj

Aber warum greifen die Ermittler in der Krimiserie zu solchen Mitteln? Die Forschungsgruppe stellte fest, dass sich die Kommissare davon versprechen, den Täter schneller ausfindig zu machen. In 72 Prozent der Fälle ist das Motiv also der Ermittlungserfolg. Subjektiver Gerechtigkeitssinn spielt mit sieben Prozent nur selten eine Rolle. Doch auch wenn die Ermittler glauben, mit ihren Methoden schnelleren Erfolg zu haben, letztendlich bringen sie sie nicht weiter.

Die Hälfte der Rechtsverstöße trägt nämlich nicht zum Ermittlungserfolg bei. Manchmal konnte die Forschungsgruppe allerdings auch nicht erkennen, ob die Vergehen den Ermittlern weiterhelfen (13 Prozent). Mit ihrer nicht immer einwandfreien Vorgehensweise kommen die meisten Kommissare der Fernsehserie - übrigens sind 60 Prozent davon männlich - durch: Nur acht Prozent der Rechtsverstöße werden in den Krimis verfolgt.

Etwa die Hälfte wird von den Kollegen und Vorgesetzten ignoriert. "Besonders rechtskonform sind die Kommissare aus München", sagt Gostomzyk. "Der ,Tatort' aus Hamburg war zwar nicht unter den 34 Folgen. Es ist aber wahrscheinlich, dass in den aktionsreichen ,Tatorten' mit Til Schweiger die meisten Rechtsverstöße zu finden sein dürften." Überraschend war für Gostomzyk das Ergebnis der Auswertung der Münsteraner Folgen. Er ging davon aus, dass dort mehr Verstöße zu finden sind. Doch Thiel und Boerne verstoßen nicht öfter gegen das Recht als die anderen "Tatort"-Teams.

Fotos: Der 1000. Tatort "Taxi nach Leipzig"
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Szenen aus dem 1000. Tatort "Taxi nach Leipzig"

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Foto: ARD

Was für Folgen es haben kann, wenn Zuschauer das Bild der Justiz aus dem Fernsehen für wahr halten, zeigt sich seit Mitte der 90er Jahre in den USA. "Dort wurde beispielsweise festgestellt, dass sich Geschworene in ihren Erwartungen an das Rechtssystem von Krimiserien beeinflussen lassen. Man spricht dann mit Blick auf die amerikanische Serie vom CSI-Effekt", so Gostomzyk.

(eler)
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