ARD-Film "Terror" Zuschauer beantworten Gewissensfrage

Düsseldorf · Im Theater ist das Stück ständig ausverkauft. Nun läuft "Terror" im Fernsehprogramm. Die TV-Zuschauer stimmen anschließend in der Schuldfrage ab.

 Am Montagabend kommt der fiktive Falls ins Fernsehen.

Am Montagabend kommt der fiktive Falls ins Fernsehen.

Foto: dpa, kde

Es ist schon etwas Besonderes: abstimmen im Fernsehen. Und Einfluss auf das Ende einer Geschichte nehmen. Jede Stimme zählt. Millionenfach wird das am heutigen Montagabend, kurz vor 22 Uhr, in Deutschland geschehen, per Telefon oder online.

Auf dem Sofa mit einem Kaltgetränk und Salzstangen sitzend, wird man zunächst ab 20.15 Uhr eine vertrackte Gerichtsverhandlung und die ausführliche Diskussion der vor Gericht handelnden Menschen verfolgen. Man hört und prüft die Argumente der Staatsanwältin, die des Strafverteidigers, die des Richters und des Angeklagten selber. Dazu bringt eine Nebenklägerin völlig neue Sichtweisen auf den Verlust eines Menschen ein, sie macht durch ihre persönlichen Einlassungen den Schmerz begreifbar über den Verlust eines geliebten Menschen.

Der richterliche Urteilsspruch bleibt vorerst ausgespart, denn heute entscheidet die Fernsehgemeinde. Hat der auf der Anklagebank sitzende Pilot Schuld auf sich geladen, als er ein von Terroristen entführtes Passagier-Flugzeug abschoss, den Tod von 164 Menschen kalkulierend, um ein zahlenmäßig noch größeres Unglück mit mutmaßlich 70.000 Menschen abzuwenden? Ist dieser Pilot als Mörder oder als Held zu bewerten? Sind die Gründe seines Handelns angesichts der akuten Terrorgefahr anders zu bewerten als unter dem Diktum des Grundgesetzes?

Zum Schluss der Verhandlung, wenn alle Positionen klargeworden sind, werden die Zuschauer Richter spielen und ihr Urteil fällen. Volkes Stimme hat seit der Uraufführung des Theaterstücks im Oktober 2015 in 516 Verhandlungen (bis 12.10.) "Recht gesprochen", in sechs Ländern und 33 Theatern 34 Mal auf Schuld "plädiert" und 482 Mal auf Freispruch. Das sind 93,4 Prozent. Die Einzelergebnisse sind nicht so eindeutig, immerhin haben von 159.064 Schöffen 63.736 auf schuldig "plädiert" gegen eine Mehrheit von 95.328 - macht 59,9 Prozent.

Wie kann ein Stück Literatur so nachhaltig die Menschen erregen? Ferdinand von Schirach hat offenbar den richtigen Nerv getroffen, als er "Terror" für das Theater aufschrieb. Er hatte erfahren, dass seine kriminalistischen Geschichten gerne gelesen werden. Schnell wurde aus dem Strafverteidiger ein Bestsellerautor, den Stoff für viele Geschichten bezog er aus der Praxis.

Gerechtigkeit ist Schirachs großes Thema, Menschlichkeit, Würde. Kein Wunder, denn der hochsensible Mann ist Jurist, ein Strafverteidiger, der seit 1994 in seiner Berliner Kanzlei arbeitet. Mit 45 Jahren veröffentlichte er seine ersten Kurzgeschichten ("Verbrechen", 2009). Von da an ging's bergauf. 2014 fasste der 52-Jährige die im Magazin "Spiegel" erschienenen Essays in einem grundsätzlichen Buch "Die Würde ist antastbar" zusammen.

Nun also, nach Buch und Theaterstück der Film. Produziert von Oliver Berben, besetzt mit großartigen Schauspielern wie Martina Gedeck in der Rolle der Staatsanwältin oder Burghart Klaußner als Richter. Die Story bleibt nah am Theaterstück, der Gerichtssaal ist auch hier der Ort, an dem verhandelt wird. Jedes Wort wird auf die Goldwaage zu legen sein. Dabei steht eine Mahnung im Raum: "Lassen Sie sich nicht von Sympathie oder Antipathie beeinflussen, um den Fall zu beurteilen!" Von Schirach kennt sich genau aus mit den Regeln des psychologischen Nahkampfes.

So wie im Theater weist auch der Film Längen auf, dennoch ist der Fortgang der Verhandlung hoch interessant, da die sich für den Piloten extrem zuspitzende Situation angesichts der terroristschen Bedrohung plastisch verdichtet wird. Jeder will wissen, wie es am Ende zu dem verheerenden Unglück kam, bei dem 164 Menschen ihr Leben verloren. Der Autor hat Gesetze, Befehle, Entscheidungsspielräume, Gefühle und intuitives Handeln zu einem Cocktail vermixt, der hoch giftig ist. Am Ende bleibt keine Frage offen. Ganz im Ernst. Niemals dürfte jemand auf die Idee kommen, Paragraf eins des Grundgesetzes zu missachten. Wer die Würde des Menschen antastet, trägt Schuld.

(RP)
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