Türkei-Talk bei Maybrit Illner "Wenn Sie mich jetzt nicht reden lassen, dann gehe ich!"

Düsseldorf · Eine ernsthafte, ausgeglichene Debatte über die Situation in der Türkei - das war bei Maybrit Illner nicht möglich. Zu viele Vorwürfe wurden von allen Seiten erhoben, zu dünnhäutig reagierten die Akteure. Selbst die Moderatorin wurde da nicht ausgelassen.

Erdogan-Anhänger feiern in der Türkei nach Putschversuch
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Erdogan-Anhänger feiern in der Türkei nach Putschversuch

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Foto: dpa, sdt lb

Darum ging's
Treibt die Türkei in eine Art Despotie? Und was hieße das für Europa? - Das fragte Maybrit Illner zu Beginn der Sendung mit dem Titel "Erdogans Rache". Es sollte ein Talk werden über die Folgen des gescheiterten Putschversuches und des nun in der Türkei geltenden Ausnahmezustands. Doch dazu kam es kaum.

Darum ging's wirklich
Letztlich ging es für die Gäste mehr darum, ihre eigenen Ansichten mit aller Macht zu verteidigen — mitunter in beleidigender und beleidigter Art und Weise. Lange wurde sich in einer Talkshow nicht mehr so gezofft.

Die Runde

  • Deniz Yücel, Korrespondent der "Welt", der den Putsch in der Türkei erlebte
  • Mustafa Yeneroglu, AKP-Abgeordneter
  • Michael Wolffsohn, Historiker
  • Sevim Dagdelen, Politikerin der Partei "Die Linke"
  • Andreas Scheuer, CSU-Politiker
  • Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter

Frontverlauf
"Jeder gegen jeden" schien das Motto des Abends zu sein. Das zeigte sich gleich zu Beginn, als Yeneroglu und Yücel erzählten, wie sie die Nacht de Putsches in der Türkei erlebten. Der AKP-Politiker berichtete von den Stunden im Parlament in Ankara, von der Bombardierung des Gebäudes, der Journalist von Schüssen in Istanbul und einer aufgeheizten Stimmung am Flughafen, wo es für ihn den Anschein gehabt habe, dass einige Menschen festgenommene Soldaten am liebsten gelyncht hätten. Dann entbrannte der erste Streit des Abends.

Zoff Nummer 1: Yeneroglu gegen Yücel
Yeneroglu wollte einfach nicht gelten lassen, was Yücel von der Nacht des Putsches erzählte. Immer wieder unterbrach er den Journalisten und warf ihm vor, am Tag zuvor noch etwas ganz anderes erzählt zu haben. Der wiederum wehrte sich in scharfem Ton gegen die ständigen Unterbrechungen durch Yeneroglu ("Ich bin jetzt dran"). Und als es um die Anhänger der Gülen-Bewegung ging, die Ankara hinter dem Putschversuch sieht, konterte Yücel mit den Worten: "Das waren ihre alten Freunde, Ihre alten Betbrüder, nicht meine!"

Zoff Nummer 2: Scheuer gegen Yeneroglu
Dass die CSU sich stets skeptisch in Sachen Türkei äußert, ist bekannt. An diesem Abend aber schoss Scheuer zwischenzeitlich übers Ziel hinaus und wurde persönlich. Zunächst sagte er in Richtung des AKP-Politikers: "Wenn Sie Vorsitzender des Menschrechtsausschusses des türkischen Parlaments sind, dann weiß ich, warum Sie Zeit haben, heute Abend hier zu sein — weil die Menschenrechte dort nämlich ausgesetzt sind." Und dann, als Yeneroglu mal wieder keinen zu Wort kommen lassen wollte, sagte er in dessen Richtung: "Halten Sie mal die Gepflogenheiten der deutschen Gesellschaft bei einem deutschen Sender ein, wie man so miteinander umgeht." Daraufhin Yeneroglu, der in Deutschland aufwuchs und studierte: "Ach so, jetzt wollen sie mir die Gepflogenheiten der deutschen Gesellschaft erklären. Das ist aber vornehm von ihnen. Wow!" Und sogar Yücel stieß das sauer auf: "Diese Form der Maßregelung ist sehr unangenehm, und das ist sehr typisch für ihre Partei."

Zoff Nummer 3: Dagdelen gegen Yeneroglu
Der Historiker Wolffsohn nannte die Reaktionen der türkischen Regierung auf den Putschversuch als "totale Machtergreifung nach dem Lehrbuch der Geschichte", die Erinnerung an die Machtergreifung Hitlers sei da nur eine Chiffre. Aber Dagdelen griff das gern auf. Sie selbst würde das ja nicht sagen — tat es aber so letztlich doch —, aber wenn es einen Vergleich zur Situation in der Türkei gebe, dann sei dies nicht etwa der Ausnahmezustand in Frankreich, sondern das Dritte Reich. Woraufhin Yeneroglu sich verärgert jeden Vergleich mit der Nazi-Herrschaft verbat. Das seien Totschlagsargumente, dann gebe es keine sinnvolle Diskussion. Die Nazi-Herrschaft sei ein absolut singuläres Ereignis gewesen. Der AKP-Politiker konnte es sich dann aber nicht verkneifen, Dagdelen vorzuwerfen, immer wieder die kurdische Arbeiterparteipartei PKK zu verteidigen. Die Linken-Politikerin: "Das ist eine Lüge! Sie lügen hier! Und das wissen Sie auch! Beweisen Sie das erstmal!"

Die überforderte Moderatorin
Illner hatte die Runde fast nie im Griff. Das zeigte etwa der Moment, als Yeneroglu sich im Nachteil sah, was die Redezeit angeht. "Wenn Sie mich jetzt nicht reden lassen, dann gehe ich!", polterte er. Die Moderatorin schmunzelnd: "Sie müssen überhaupt nicht gehen, ich wollte ihnen eine Frage stellen." Als sie den AKP-Politiker aber fragte, ob denn überhaupt noch Kritik an Erdogan möglich sei und er mit "natürlich" antwortete, griff Yeneroglu die Moderatorin direkt an: "Frau Illner, Sie haben doch von der türkischen Situation überhaupt keine Ahnung. Tut mir leid, dass ich ihnen das jetzt vorwerfe." Sie daraufhin: "Soll ich jetzt gleich gehen? Das ist auch keine Haltung, oder?" Und dann der Moment, als Illner ihn fragt, ob denn jeder Gülen-Anhänger nun ein Terrorist sei. Yeneroglu sagt "Nein", und Illner will den nächsten Gast fragen. Daraufhin echauffiert sich der türkische Politiker: "Und das soll jetzt die Diskussion gewesen sein? Damit geben Sie weiter? Illner: "Nein, sie haben ja durchaus schon eine recht raumgreifende Antwort gegeben." Irgendwann bleibt der Moderatorin und ihrer Redaktion nichts anderes übrig, als die Kamera nur noch auf sie zu halten und den nächsten Diskussionspunkt anzumoderieren, während im Hintergrund unter anderem Scheuer munter weiterdiskutiert.

Erkenntnis
Ob AKP-Anhänger, Journalist oder Erdogan-Gegner — in Sachen Türkei sind die Ansichten inzwischen so gespalten und verschieden, dass man kaum auf einen gemeinsamen Nenner kommt. Und die Debatte ist derart aufgeheizt, dass die Stimmung immer wieder zu kippen droht. Das zeigt sich täglich in der politischen Debatte - und bei Maybrit Illner ganz besonders. Es wird eine Weile dauern, bis eine sachliche Diskussion möglich wird.

(das)
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