"Hart aber Fair" zum Fall Dieter Wedel Über Männer, Macht und Missbrauch

Düsseldorf · Hat Regisseur Dieter Wedel genötigt, gequält, vergewaltigt? Und wenn ja: Wie konnten damals so viele wegschauen? Diese Fragen hat Frank Plasberg bei "Hart aber Fair" diskutieren lassen. Eine Juristin kritisierte den "digitalen Pranger" durch die Medien - stand damit aber recht alleine da.

Darum ging's

Nach Maybrit Illner nimmt sich auch Frank Plasberg in "Hart aber fair" die Vorwürfe gegen Dieter Wedel vor. Dem Regisseur waren mehrere schwere Fälle von sexuellen Übergriffen vorgeworfen worden, im Januar berichtete das Zeit-Magazin über die Vorwürfe. Hat Wedel genötigt, gequält, vergewaltigt? Wenn ja: Wie konnten damals so viele wegschauen? Außerdem sollen Plasbergs Gäste diskutieren, ob derlei Verhalten heute noch möglich ist. Sind wir wachsamer geworden? Oder reagieren wir auf Alltags-Sexismus sogar schon hysterisch?

Darum ging's wirklich

Plasbergs Gäste diskutieren engagiert vor allem darüber, ob Situationen, wie sie sich vor zwei Jahrzehnten mutmaßlich bei Filmdrehs ereigneten, auch heute noch möglich wären. Zur Sprache kommen Schweigekartelle, Macht, deren Missbrauch und alltägliche Situationen, in denen Übergriffe vorkommen.

Die Gäste

  • Katarina Barley, SPD, Bundesfamilienministerin
  • Monika Frommel, Strafrechtlerin und Kriminologin
  • Lisa Ortgies, Moderatorin der WDR-Sendung "Frau tv"
  • Thomas Kleist, Intendant des Saarländischen Rundfunks
  • Christoph Amend, Chefredakteur des Zeit-Magazins
  • Emilia Smechowski, freie Reporterin, Autorin SZ-Magazin

Frontverlauf

Frank Plasberg will wissen, was uns der Fall Wedel lehrt, und lernt vor allem: Es gibt durchaus Diskussionsbedarf und mitnichten Einigkeit zum Thema. Strafrechtlerin Frommel kritisiert die Veröffentlichung der Wedel-Vorwürfe als "unerträgliches Tribunal". Sie findet "unfassbar, wie er an den digitalen Pranger gestellt" werde und sieht es als "Scherbengericht, wie in der alten Antike".

Die Juristin vermisst ein geordnetes Verfahren und kritisiert, dass Staatsanwalt, Gericht und Verteidigung "vollständig übersprungen" und quasi von den Medien ersetzt würden. Ihr Hauptargument: Heute sei das Klima in Deutschland ein völlig anderes als in den "widerwärtigen 1980er Jahren", auch sei die Lage für Opfer deutlich besser als etwa in den USA.

Christoph Amend, Chefredakteur des Zeit-Magazins widerspricht ihr freundlich aber bestimmt. Zunächst erzählt er, wie es zu den Recherchen kam: Wedel hatte in einem Interview zum Fall Harvey Weinstein erzählt, wie er selbst als junger Mann in ähnlicher Lage gewesen sie, sich gewehrt und schadlos entkommen sei. Als die Schauspielerin Jany Tempel das gelesen habe, entschloss sie sich, über ihre Erfahrungen mit Wedel zu sprechen und wandte sich an "Die Zeit".

Umfangreiche Recherchen begannen, auch der Regisseur bezog Stellung. "Wir haben Wedels Sicht immer gleichberechtigt dokumentiert und veröffentlicht", erklärt Amend. Natürlich sei Journalismus keine rechtliche Ermittlung, aber für ihn hätten Journalisten eine Verantwortung, solche Geschehnisse an die Öffentlichkeit zu bringen.

Darüber sind sich viele in der Runde einig. "Auch Verjährung macht ja eine Tat nicht ungeschehen", sagt Thomas Kleist, heutiger Intendant des Saarländischen Rundfunks. In Kleists Rundfunkanstalt seien Aufzeichnungen gefunden worden, die ihn schockiert hätten.

In den Protokollen wird demnach berichtet, wie eine Hauptdarstellerin aufgrund Wedels Verhalten ausgetauscht wurde, aber gegen den Regisseur keine Sanktionen erfolgten. Er lasse den Fall im Sender derzeit durch eine "Task Force" untersuchen und trainiere mit seinen Führungskräften eine bessere Feedback-Kultur. "In einem Klima von gegenseitigem Respekt und Anerkennung grapscht niemand", ist der Intendant überzeugt.

"Erstmal eine schallern"

Einzig Jurisitin Frommel besteht darauf, dass sich Deutschland grundlegend geändert habe: Es gebe Anlaufstellen, Notrufnummern, zivile Verfahren und Prozesskostenbeteiligung. Frauen könnten den Typen auch "erstmal eine schallern", so ihr Vorschlag.

Wenn Institutionen die bestehenden Gesetze nicht umsetzen würden, beruhe das auf Fehlern der Politiker, greift sie Katarina Barley an. Der Rest der Runde rollt mit den Augen. Eigentlich war man schon etwas weiter, eigentlich ging es jetzt nicht mehr darum, den Fehler für Fehlverhalten von Männern erstmal bei Frauen zu suchen, sagen ihre Blicke.

SPD-Frau Barley betont, eine Diskussion über das Thema bleibe wichtig, auch wenn sich das Klima in Deutschland in den vergangenen 25 Jahren verbessert habe. "Solange wir ein Machtungleichgewicht in der Gesellschaft haben, werden wir sexuelle Übergriffe erleben." Wie es klingt, wenn die Balance zwischen Mann und Frau nicht stimmt, illustriert sie mit einer Erinnerung an einen Chef, der im Jahr 2000 zu ihr gesagt habe: "Gut, dass Sie einen Doktortitel haben, dann halten die Leute Sie nicht für meine Sekretärin."

"Froh, dass der Korken von der Flasche ist"

Lisa Ortgies hofft, die öffentliche Diskussion über Wedel - aber auch über Situationen mit viel alltäglicheren Übergriffen - könnten Frauen ermutigen, auch aktuelle Fälle ans Tageslicht zu bringen. Das sei trotz Antidiskriminierungsgesetzen nach wie vor nicht so einfach, wie Frau Frommel es darstelle.

Davon kann auch Emilia Smechowski berichten: In einem Selbstversuch hat die freie Reporterin einige Wochen lange Alltags-Sexismus zur Sprache gebracht, sobald ihr unangemessenes Verhalten auffiel. Sie erzählt in der Sendung von durchaus guten Gesprächen und von Männern, die sich entschuldigen.

Während des Versuchs fiel ihr allerdings auch auf, wie sie derlei Verhalten "wie ein ständiges Summen im Hintergrund" über Jahre hinweg ignoriert habe. Ihr fehle in der #Metoo-Debatte und bei eigenen Recherchen allerdings häufig die Stimme der Männer. Die könnten sich ihrer Meinung nach durchaus etwas lauter und häufiger zu Wort melden.

Frank Plasberg lobt zuletzt seine Sendung und die grundsätzliche Debatte: "Wir sind alle froh, dass der Korken von der Flasche ist, und wir offen über das Thema reden können." Das findet auch Christoph Amend: Die Debatte erhöhe die Aufmerksamkeit und das Bewusstsein in der Öffentlichkeit.

Wenn Männer dadurch zwischendurch mal verunsichert würden, sei das gar nicht so schlecht", meint der Journalist. Verunsicherung könne auch dazu führen, mal über sich nachzudenken und Veränderungen zu bewirken.

(juju)
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