TV-Talk "Maischberger" "Natürlich ist Deutschland ein Einwanderungsland"

Düsseldorf · Die Frage "Ausländer rein! Was bringt ein Einwanderungsgesetz?" blieb auch nach der Diskussion von Moderatorin Sandra Maischberger mit ihren Gästen unbeantwortet. Zu viele Aspekte wurden vermischt.

Porträt: Das ist Sandra Maischberger
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Das ist Sandra Maischberger

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Foto: dpa, hka bsc sab

Darum ging's

Unter dem Titel "Ausländer rein! Was bringt ein Einwanderungsgesetz?" diskutierte Sandra Maischberger mit drei Politikern, einer Schauspielerin, einem Migrationsforscher und einem syrischen Flüchtling. Sie wollten unter anderem die Frage klären, ob Deutschland ein Einwanderungsland ist.

Darum ging's wirklich

Maischberger war mehr damit beschäftigt, die Redezeit der einzelnen Teilnehmer nicht ausufern zu lassen, als - was wichtiger gewesen wäre - genauer zu trennen zwischen der Diskussion über Menschen, die aus Kriegsgebieten fliehen, und solchen, die aus anderen Gründen nach Deutschland einwandern und sich dort niederlassen wollen. Zurück blieb am Ende mehr Verwirrung als eine Antwort auf die eingangs gestellte Frage zum Einwanderungsgesetz.

Die Gäste

  • Renan Demirkan, Schauspielerin
  • Wolfgang Bosbach, CDU (Innenexperte)
  • Volker Beck, Grüne, Bundestagsabgeordneter
  • Marie-Agnes Strack-Zimmermann, stellvertretende Parteivorsitzende der FDP
  • Ruud Koopmans, Migrationsforscher und Professor der Berliner Humboldt-Universität
  • Alan Ezzat, aus seiner Heimat nach Deutschland geflohener Syrer

Frontverlauf

Die Autorin und Schauspielerin Renan Demirkan lässt kein gutes Haar an dem früheren Bundeskanzler Helmut Kohl, der stets verneinte, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei. "Ich habe Herrn Kohl alles übelgenommen", sagt Demirkan. Zum Beispiel, dass er den Graben zwischen den Menschen in Deutschland und denen, die aus anderen Ländern zuzogen, vergrößert habe, nach dem Motto "Wir hier, die da".

Sie berichtet anschaulich von ihrem 93-jährigen türkischen Vater, der sich damals bewusst für Deutschland entschieden habe. Er sei ohne Rückfahrticket gekommen, auch weil er die deutsche Geistesgeschichte so schätzte. Ihr Vater baute als Tiefbauingenieur in den sechziger Jahren an der U-Bahn in Hannover mit, einer Stadt, die ihn an Ankara erinnert habe. Ihre Mutter hingegen habe nie in Deutschland bleiben wollen. Sie und ihre Geschwister seien hin- und hergerissen gewesen. "Hätte es geholfen, wenn der Bundeskanzler gesagt hätte, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist?", fragt Maischberger nach. "Ja", sagt Demirkan klar. Sie sei beschimpft worden, "geh doch zurück". "Dann hätte ich sagen können. 'Nee, wieso, ich darf hierbleiben'."

"Deutschland ist kein Einwanderungsland", hieß es in der Koalitionsvereinbarung von Union und FDP aus dem Jahr 1983 wörtlich. Zumindest auf FDP-Seite scheint sich die Einstellung dazu geändert zu haben. Die stellvertretende FDP-Parteivorsitzende Marie-Agnes Strack-Zimmermann sagt: "Natürlich ist Deutschland ein Einwanderungsland."

Für Wolfgang Bosbach von der CDU hingegen, der eine andere "Maischberger"-Sendung zuletzt erbost vorzeitig verlies, sei die Diskussion über den Begriff verkrampft. Er stimmt nicht klar zu, macht es von der Definition des Begriffs abhängig. In gewisser Hinsicht seien "alle außer vielleicht Nordkorea und dem Vatikan ein Einwanderungsland", sagt er wohl bewusst flapsig.

Für den Migrationsforscher Ruud Koopmans von der Berliner Humboldt-Universität ist Deutschland kein Einwanderungsland - anders als die USA und Kanada, deren Selbstverständnis sich darauf begründet. Immer wieder wird im Verlauf der Diskussion Kanada als Orientierungspunkt herangezogen, wo die Immigration auf einem Punktesystem für Qualifikationen wie Sprachkenntnisse und akademischen Titeln basiert. Während es die einen in der Runde loben, monieren andere, dass es für Kanada nicht funktioniert habe und dass es zudem nicht auf Deutschland übertragbar sei - schon aufgrund der geografischen Lage Kanadas mit einer Grenze allein zu den USA.

Eine Weile diskutiert die Runde über die Gastarbeiter, die Deutschland in den sechziger Jahren ins Land rief. Auf zwei Jahre sollte ihr Aufenthalt begrenzt sein. Doch weil die Wirtschaft die Menschen, die sie angelernt und eingearbeitet hatte, nicht wieder ziehen lassen wollte, wurden Ausnahmetatbestände geschaffen und die Rotationsregelung aufgeweicht. Ein Umstand, der nach Ansicht von Strack-Zimmermann noch heute relevant ist: "Man hat das Gefühl, Deutschland schnurrt wie eine dicke Katze, und die merken nicht, wenn der Zug weiterfährt. Wir brauchen Einwanderung!", sagt die FDP-Politikerin, und ergänzt: "Vor allem die von Fachkräften."

Auch für den B‘90/Grüne-Bundestagsabgeordneten Volker Beck ist der wirtschaftliche Bezug klar. "Man braucht Qualifizierte, die hierherkommen können, zur Arbeitssuche." Zu verlangen, dass diese vorher einen Arbeitsvertrag vorlegen müssten, hält er für unrealistisch. "Damit werden wir die demografische Entwicklung (…) nicht bändigen", warnt er. "Wir wissen, dass es in den nächsten Jahren eine Million Pflegebedürftige geben wird." Schon heute schaffe es Deutschland nicht, die Lage alleine zu bewältigen. Er will Menschen, die nach Deutschland kommen möchten, zwar keine Unterstützung anbieten, aber zulassen, dass sie während der Suche nach einer qualifizierten Arbeitsstelle jobben.

Demirkan fordert die anderen Gäste auf, einen Schritt zurückzutreten: "Mehr denn je (…) müssen wir das im Kontext unserer eigenen Gesellschaft sehen. Wir müssen uns klarmachen, in welcher Gesellschaft wir zukünftig leben wollen." Und Migranten seien nicht einfach nur im Land, um zu arbeiten, sondern auch, um die Gesellschaft mitzugestalten. Zunehmend vermischt sich an dieser Stelle die Diskussion über Flüchtlinge, die etwa wegen Krieg aus ihrer Heimat fliehen, und über Menschen, die sich über das Einwanderungsgesetz in Deutschland bewerben - ein Problem, das die Sendung prägt und am Ende beim Zuschauer mehr Verwirrung als Klarheit hinterlassen wird.

Später berichtet Alan Ezzat, ein Syrer, der vor zwei Jahren aus seiner Heimat floh und seine Frau und seinen Sohn dort zurückließ, über seine persönliche Situation. Er arbeite derzeit über eine Leiharbeitsfirma in der Spätschicht im Handel. Mit seiner Familie könne er daher nur am Wochenende über Whatsapp und Skype kommunizieren.

Seinen Sohn, der damals erst drei Monate alt war, habe er auf der gefährlichen Flucht im Winter über die Türkei, Griechenland, Serbien, Kroatien, Slowenien und Österreich nach Deutschland nicht mitnehmen wollen. Nun hoffte er, die Familie bald nachholen zu können. Die 2016 eingeführte Sperrfrist für den Familiennachzug von zwei Jahren bedeutet, dass seine Frau und sein Sohn weiter in Syrien leben, bei seinen Eltern. "Aber man weiß nicht, was passiert", sagt Ezzat, ob sie dort länger bleiben können. Er selbst befürchte, bei der Rückkehr verhaftet, ins Gefängnis gesteckt und umgebracht zu werden.

Bosbach zeigt Verständnis für die Lage Ezzats, sagt aber direkt, dass man den Familiennachzug "nicht aus Jux und Dollerei" begrenzt habe. Sondern weil Deutschland an die Grenzen seiner Möglichkeiten gekommen sei. Er weist darauf hin, dass Flüchtlinge im Vergleich in einer besseren Lage seien als Bewerber aus Drittstaaten und leichter ihre Familie nachholen könnten, weil sie zum Beispiel anders als diese weder Sprachkenntnisse noch einen Aufenthaltsort nachweisen müssen. Die Sprachkenntnisse als Voraussetzung sei ohnehin "Schikane", findet Beck. Man könne nicht erwarten, dass Menschen in den entlegensten Winkeln von Anatolien noch eine Volkshochschule mit Deutschkursen finden könnten.

Demirkan appelliert an die Politiker in der Sendung, Migranten mehr einzubinden, sie als Ressource zu nutzen. Vom Begriff Integration hält sie, die sich als "assimiliert", als in Deutschland "angewachsen" bezeichnet, nichts: "Ich mag das Wort Integration gar nicht, weil es dieses Reservatdenken ist. Wir holen Menschen, die erstmal in kultureller Quarantäne sind, in etwas, was vermeintlich einheitlich ist." Dabei gebe es ja auch nicht nur ein einziges Deutschland, sondern von Norden nach Süden etwa zehn verschiedene.

Zitat des Abends

"Wir müssen uns klarmachen, in welcher Gesellschaft wir zukünftig leben wollen." (Renan Demirkan, Schauspielerin)

(sbl)
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