FDP-Mann Kubicki bei Illner-Talk "Jamaika wird sozialere Politik machen als die SPD"

Düsseldorf · "Wie sozial wird Jamaika?", fragt Maybrit Illner und mutmaßt: Die neue Koalition könnte vorrangig Eliten bedienen. Tatsächlich sprechen ihre Gäste mehr über den Arbeitsmarkt der Zukunft als über die künftige Regierung.

Darum ging's

Mit dem Thema Gerechtigkeit war die Bundestagswahl, so mutmaßt Gastgeberin Maybrit Illner, nicht zu gewinnen. Von den Gästen ihrer TV-Runde will sie daher wissen, ob es den meisten Deutschen so gut geht, dass sie mit Jamaika ihre Wunschregierung bekommen? Außerdem soll die Talkrunde in die Zukunft schauen: Was wird aus dem Kampf um Löhne und Arbeitsplätze? Wie steht es um Deutschland als Industriestandort? Wenn Jobs, Renten oder Mieten nur noch zweitrangige Themen sind, wird Schwarz-Gelb-Grün dann vor allem eine Regierung die Erfolgreichen?

Darum ging's wirklich

Vier Politiker mit Talkrunden-Dauerkarte reden vor allem über Arbeit, deren Bezahlung, Sicherung und Verteilung. Ein Wirtschaftsforscher bringt die Dimension Zukunft ins Spiel und erklärt, wie der Wirtschaftsstandort Deutschland sich für die Zukunft rüsten muss.

Die Gäste

Frontverlauf

Maybrit Illner startet provokant: Wenn Jamaika die "neue deutsche Welle" wird, ist soziale Gerechtigkeit dann "out"? Ein Film ironisiert: "Ganz Deutschland wird umgebaut zum Wohlfühlbezirk Prenzlauer Berg - glutenfrei, leistungsorientiert und nachhaltig marktwirtschaftlich."

Andrea Nahles darf anfangen, unterlässt es aber, in der Oppositionsrolle Jamaika als Projekt der Eliten zu verurteilen. Sie glaube nicht, dass soziale Gerechtigkeit aus der Mode gekommen sei. Der Kampf um gerechte Löhne, Mieten und Renten bleibe zentral und gehe weiter. Die SPD müsse sich künftig nur bessere Wege einfallen lassen, die Menschen mit ihrer Botschaft dazu zu erreichen.

FDP-Mann Kubicki verspricht: "Jamaika wird sozialere Politik machen, als die SPD sie bisher gemacht hat." Auch wenn man sich dabei von veralteten Arbeitsmarkt-Modellen verabschieden muss. Künftig werde es mehr um Ergebnisse gehen als um Arbeitszeit. Ilse Aigner verspricht, ihre Partei werde wie bisher auch den "kleinen Menschen" Angebote machen. Die CSU-Frau hofft, der Wohlstand werde bei allen ankommen. Vollbeschäftigung, wie sie Bayern ja bereits habe, bleibe ihr Ziel.

Jürgen Trittin sieht noch mehr Herausforderungen, denen sich die Regierung stellen müsse. Für ihn wird das "Zerreißen der Gesellschaft" deutlich, "wenn normale Menschen sich in den Innenstädten von München oder Göttingen keine Wohnungen mehr leisten können". Das sorge für Unsicherheit im Land, und die sei schlecht. Wie Kubicki und Aigner will auch der Grüne Deutschland als Industriestandort erhalten, man müsse aber berücksichtigen, wie sich die Welt vor allem durch die Digitalisierung wandle. "Diese Veränderung zu gestalten, ist die Aufgabe, vor der wir stehen."

Evolution statt Revolution

Wirtschaftsforscher Marcel Fratzscher hat genau dazu ein paar konkrete Vorschläge: Obgleich Deutschland Exportweltmeister sei, gebe es eine soziale und politische Spaltung. Die Wahl sieht er als Weckruf. Viele seien mit der Politik nicht zufrieden, immer weniger Menschen hätten tatsächlich Anteil am wirtschaftlichem Erfolg. Der neuen Regierung schlägt er vor, einen Richtungswechsel in der Wirtschaftspolitik einzuschlagen und mehr "gute Jobs" zu fördern. Zugleich müsse sich die Sozialpolitik um bessere Bildungschancen kümmern. "Es gibt über eine Million offene Jobs", erinnert er. Es fehle nicht an Arbeit, sondern an besser qualifizierten Arbeitern.

Alle sind sich einig, dass Globalisierung und Digitalisierung die Arbeitswelt der Zukunft verändern werden. Trittin empfiehlt, wenn man schon über Globales rede, doch mal über die Grenze zu schauen. Subventionierte Dieselfahrzeuge etwa hätten die Weltmärkte offensichtlich nicht erreicht, während China die Nachfrage nach Elektroautos kaum befriedigen könne. Kubicki hofft auf deutsche Ingenieure und scherzt: "Im Gegensatz zu Jürgen Trittin komme ich nicht aus der Zukunft. Ich weiß nicht, wie das Auto der Zukunft aussieht."

Ilse Aigner sähe in der Automobilbranche lieber "keine Revolution, sondern eine Evolution". Andrea Nahles darf endlich zulangen: ja, ein Prozess sei besser als eine Sturzgeburt, doch es sei nicht akzeptabel, dass Arbeitnehmer es ausbaden müssten, wenn die Manager zuvor die Weichen nicht rechtzeitig gestellt hätten.

"Deutschland ist Opfer des eigenen Erfolges"

Wolfgang Kubicki und Wirtschaftsforscher Fratzscher wollen lieber die Zukunft als die Vergangenheit besprechen. "Wir müssen Menschen schon jetzt darauf vorbereiten, dass sich ihre Arbeitsplätze verändern", fordert der FDP-Mann. Fratzscher fragt, wieso bislang so wenig passiert sei, die Wirtschaft zukunftsfähiger zu machen. Die Wirtschaft müsse mehr in Innovation und Forschung investieren und die Politik bessere Rahmenbedingungen schaffen: Er kritisiert "zu viel Bürokratie, zu schlechte digitale Infrastruktur, schlechter werdende Verkehrsinfrastruktur und Fachkräftemangel".

In all diesen Bereichen sei die Regierung in der Pflicht. "Deutschland ist Opfer des eigenen Erfolges geworden", so der Wirtschaftsforscher. Die Transformation von einer Exportwirtschaft zu einer, die auch gut in neuen Industrien sei, nennt er als zentrale Herausforderung für die Jamaika-Koalition.

Maybrit Illner versucht dann noch mal, zurück in die "soziale Ecke" zu steuern. Sie zeigt einen Film, in dem eine Praxishilfe nach dem Halbtagsjob im Büro noch fünf Stunden Obst und Gemüse verkauft - zwei Minijobs, mit denen sie sich so gerade über Wasser hält. CSU-Frau Aigner freut sich "tendenziell über jeden, der Arbeit hat", räumt Fehler bei der Mindestentlohnung ein und landet dann direkt bei den Bayrischen Motorenwerken, die vorbildlich in der Weiterbildung seien: Es sei ja auch Aufgabe der Betriebe ihre Mitarbeiter weiter zu qualifizieren, begleiten könnten das dann die Arbeitsagenturen.

Andrea Nahles fordert, den Dienstleistungssektor besser zu entlohnen und die Wertigkeiten jenen der anderen Sektoren (Handel und Industrie) stärker anzugleichen. Trittin wünscht sich bessere Regeln, die Flexibilität und Sicherheit zugleich garantieren. Er freue sich zudem darauf, dass die Kanzlerin "die Flucht aus Tarifverträgen stoppen will".

Robotersteuer oder Geld von Amazon, Facebook und Google?

Maybrit Illner hat in Sachen "Arbeitsmarkt der Zukunft" noch einen Vorschlag parat: Sie zitiert Frank Appel, Vorstandsvorsitzenden der Post, mit der Idee, die Unternehmenssteuern künftig an die Zahl der Mitarbeiter zu koppeln. Je mehr Beschäftigte, umso weniger Steuern. Kubicki hält eine solche "Robotersteuer" langfristig für unvermeidlich, und lobt sich: "Wenn ich Chef der Post wäre, käme ich auch auf so eine Idee."

Andrea Nahles kontert mit ihrem Lieblingsfeind, der Steuersituation von Google, Amazon und Facebook. Sie schlägt vor, "dass wir die Besteuerung von Unternehmen an den Ort koppeln, an dem sie ihre Gewinne erwirtschaften". Die Studiogäste belohnen die SPD-Frau mit dem ersten Applaus der Sendung. Trittin ergänzt: "Der Bund verkauft endlich seine letzten Telekom-Anteile, und nutzt sie, um Glasfaser endlich bis vor die letzte Haustür zu verlegen."

Wolfgang Kubicki findet die Idee des Grünen nicht schlecht. Bei der Abschiedsrunde fällt ihm auf: "Ich habe ja heute gelernt, dass entgegen meinen Vorurteilen manche Vorstellungen von Jürgen Trittin ganz vernünftig sind." Der Grüne findet offenbar die Regierungszukunft mit dem FDP-Mann auch nicht so schlimm, er "fürchte sich vor gar nichts", wenn die Parteien am Mittwoch in die Sondierungsgespräche gehen.

(juju)
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