TV-Talk bei Maischberger Respektverlust als Frustventil — Polizisten als Prügelknaben

Düsseldorf · Fehlt Respekt gegenüber der Polizei oder fehlen Deutschland mehr Ordnungshüter? Nüchterne Fakten prallten bei Maischberger am Abend auf eine große Dosis "gefühlte Unsicherheit".

Darum ging's

Mies bezahlt, zu viele Überstunden und als TV-Helden beliebt — sind Polizisten die Prügelknaben der Nation? Das wollte Sandra Maischberger von ihrer illustren Gäste-Runde wissen. Sie bekam viele Antworten und zettelte eine hitzige Diskussion an.

Darum ging's wirklich

Ob Polizisten ausbaden, was Politik und Justiz versäumen, wurde nicht wirklich beantwortet. Stattdessen ging es um Details im unschönen Polizeialltag, darum wie wirkungsvoll Video-Überwachung ist, und wer zu Recht oder Unrecht - Opfer oder Polizist - frustriert sein sollte. Statistik und Gefühle prallten aufeinander. Richter und Polizist stritten, ob Deutschland wirklich rauer geworden ist oder ob diese Entwicklung vielmehr herbeigeredet wird.

Die Gäste

  • Regine Lenders, Hamburger Polizeihauptkommissarin und Ausbilderin
  • Nick Hein, ehemaliger Bundespolizist
  • Christopher Lauer, früher bei den Piraten, Blogger und SPD-Mitglied
  • Heike Osterberg, Berliner Blumenhändlerin und Diebstahlopfer
  • Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft
  • Thomas Fischer, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof

Frontverlauf

Polizeihauptkommissarin Regine Lenders schildert zum Auftakt ihre Perspektive: Nach ihren Erfahrungen hat im Verlauf ihrer 37 Berufsjahre der Respekt gelitten. Die Hamburgerin höre häufiger Beschimpfungen wie "Bullensau" und erzählt, wie sie nach einer Aussage vor Gericht bedroht wurde. Bundesrichter Thomas Fischer meint, derlei habe es immer gegeben und fragt, wieso ihr das erst nach 37 Jahren auffalle. Ein Kommentar, der nicht eben vor Respekt strotzt, und den Ton für für den Rest der Sendung angibt. Zynismus und verbale Angriffe (Lauer: "Sie lügen doch!") inklusive. Auch die Moderatorin trägt wenig dazu bei, Meinungsverschiedenheiten nicht in gegenseitige Beschimpfungen eskalieren zu lassen.

Dem ehemaligen Bundespolizisten Nick Hein rät Maischberger etwas überheblich "Augen auf bei der Berufswahl". Er hatte kritisiert, dass aggressive T-Shirts ("Fuck the Police") ohne Strafe blieben und sich mehr Rückhalt von der Justiz gewünscht. Als Polizist, so der Tenor, müsse man mit so etwas eben rechnen. Zumal man überwiegend mit Menschen zu tun habe, die "unangenehm auffallen".

Rainer Wendt, Polizeigewerkschafter und Hauptkommissar, zitiert eine Statistik, nach der jeden Tag acht bis zehn Polizisten verbal oder körperlich angegriffen werden. Ex-Pirat Christoph Lauer (jetzt SPD Mitglied und Blogger) beruft sich auf seine Zeit als Abgeordneter und bestreitet die Existenz so einer Statistik. Richter Fischers Einlassung: Da werde ja offenbar jede Beleidigung mitgezählt, und derlei sei nun mal keine Gewalt. Außerdem reizt Fischer, dass Wendt für "die Polizei" spricht. Für solche Äußerungen fehlten ihm "Kompetenz und Legitimation". Dann ergänzt der Jurist lakonisch, man könne Respektlosigkeit nicht mit dem Strafrecht bekämpfen. Respekt, so mehrere Stimmen aus der Runde, fehle auch in vielen anderen Bereichen des öffentlichen Lebens.

Respektlos weil erfolglos?

Blumenhändlerin Heike Osterberg schlägt ein neues Kapitel auf. Die Berlinerin findet die Diebe, die in ihrem Laden klauen, inzwischen per Facebook-Video selbst, ist aber sauer, dass die Polizei ihren Hinweisen nicht nachgeht. Eine interessante Frage könnte jetzt heißen: Führt Frustration in Bezug auf die Polizei zu Respektlosigkeit? Die Diskussion schweift stattdessen dahin ab, dass in Zeiten der Unterbesetzung nun eben nicht alle Fälle verfolgt werden könnten.

"Die Personalnot ist sprichwörtlich", sagt Gewerkschafter Wendt und kritisiert, dass zu lange Stellen eingespart wurden. Wenn man nun mehr Kräfte bräuchte, "wachsen Polizisten eben nicht auf Bäumen", sondern müssten sorgfältig ausgebildet werden. Lender indes versteht den Frust der Blumenhändlerin und hält es für gefährlich, wenn Bürger selbst Detektive werden, weil sie annehmen, die Polizei könne sie nicht mehr vor Gewalt schützen.

Mehr Polizei wäre in Lenders Augen durchaus ein Weg, den Respekt der Bürger wieder herzustellen. Das böte den Ordnungshütern mehr Chancen zu erfolgreicher Prävention und Arbeit auf der Straße. Lauer sieht den Polizistenmangel anders. "Delikte werden seit Jahren weniger", zitiert er eine Statistik. Für ihn ist es eher ein Problem der Priorität: Natürlich sei die Polizei überfordert, aber das sei ja kein Wunder, wenn "500 Polizisten bei einer illegalen Wohnungsräumung helfen" oder "bei ähnlich bescheuerten Einsätzen verheizt würden".

Gefühlte Unsicherheit

Richter Fischer gibt zu bedenken, man müsse unterscheiden zwischen "gefühlter Unsicherheit" und tatsächlichen Straftaten. In unserer zunehmend komplexen, schwierigen Weltlage mit sich verändernden Strukturen für den Einzelnen seien "einzelne Menschen ängstlicher, weil von der Gemeinschaft alleingelassen". Er sieht einen großen Unterschied zwischen tatsächlicher und wirklicher Bedrohung. Und auf jeder U-Bahntreppe einen Polizisten zu positionieren, sei kaum eine Lösung.

Dann streiten Wendt und Fischer sich wortreich über die Milde der Justiz, die der Gewerkschafter auch in seinem Buch "Deutschland in Gefahr" angeprangert hat. "Wenn Justiz keine Folgen hat, nimmt die Frustration der Leute zu", so Wendt. Fischer hält den Vorwurf der Milde für aus der Luft gegriffen, für ihn sprechen schlicht die Zahlen gegen Wendt's Theorie von einem täglich schlimmer werdenden Deutschland.

Videoschirm als Hilfspolizist?

Auch darüber, ob mehr Video-Überwachung an öffentlichen Plätzen für weniger Gewalt und/oder mehr Respekt in der Gesellschaft sorgen könnte, gehen die Meinungen der Runde gehörig auseinander. "Video-Aufzeichnungen sind eine Möglichkeit der Kontrolle", findet Fischer. Möglicherweise erhöhten Kameras die Hemmschwelle für potentielle Täter. Er rät jedoch, genau zu überlegen, was wir uns "mit flächendeckender Video-Überwachung" einbrocken. Polizist Wendt findet Videos sinnvoll, Lauer hält sie für zynisch, die Kameras gaukelten Sicherheit nur vor. Er holt weit aus und plädiert dafür, mehr Prävention zu leisten, damit die Gesellschaft weniger "Verlierer produziere".

(juju)
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