Trash-TV und Wertewandel Verändert das Dschungelcamp unser Denken?

Düsseldorf (RPO). Auf dem Bildschirm ist das Dschungelcamp vorbei. Aber nicht in den Köpfen. Sozialwissenschaftler und Medienexperten gehen davon aus, dass Unterhaltungsfernsehen a la RTL einen Einfluss auf unsere Wertvorstellungen hat. Der Dschungel wird damit endgültig zu einer unheimlichen Größe.

Finale: Peer ist der neue Dschungelkönig
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Der Vorsitzende der Ufa-Geschäftsführung, Wolf Bauer, hat kürzlich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen hoch interessanten Hinweis gemacht. Er setzte in seinem Beitrag die Reizwörter Dschungelcamp und Wertevermittlung in einen direkten Zusammenhang. Die These: Das Unterhaltungsfernsehen ist maßgeblich daran beteiligt, Stimmungen im Land zu prägen und unsere Werte mit zu definieren.

Der Gedanke, den er in den Raum stellt, ist nicht etwas radikal Neues. Bisher aber hat das Nachdenken über den Einfluss von Fernsehen auf Gesellschaft und die Werte, die einer Gesellschaft zugrundeliegen, sich überwiegend mit ernsteren Formaten auseinandergesetzt. Dass etwa politische Magazine oder Dokumentationen zur politischen Meinungsbildung beitragen sollen, gehört allgemein anerkannt zum Bildungsauftrag der Medien. Bauer aber weist daraufhin, dass das Unterhaltungsfernsehen vermutlich noch mehr Einfluss auf uns ausübt. Denn es hat mehr Zuschauer und erreicht diese auch noch auf der emotionalen Ebene.

"24" und Obamas Wahl zum Präsidenten

Für die Wirkungsmacht des Unterhaltungsfernsehens gibt es in der TV-Geschichte einen Kronzeugen, der immer wieder gerne aufgeführt wird. Dabei handelt es sich um den so genannten "Palmer-Effekt".

Der Begriff geht zurück auf die erfolgreiche amerikanische Action-Serie "24". In der ersten Staffel, ausgestrahlt im Jahr 2001, zählt ein dunkelhäutiger Politiker namens David Palmer zu den Hauptfiguren. Im Verlauf der Serie bringt er es bis ins Amt des US-Präsidenten. Acht Jahre später wurde Barack Obama erster dunkelhäutiger Präsident der Vereinigten Staaten. Etwas vor einer Dekade noch Unvorstellbares wurde Realität.

Seitdem steht die Frage im Raum: Hat etwa "24" die Vorstellung gesellschaftlich hoffähig gemacht, dass ein Schwarzer das höchste Amt des Staates bekleidet? Nicht wenige politische Analysten und Medienforscher sind überzeugt, dass die Figur "David Palmer" zumindest zum Teil den Erfolg Obamas erklärt.

Lernen wie in der Schule

Bauer zufolge gibt es noch weitere Beispiele, die zeigen, wie das Unterhaltungsprogramm im Fernsehen unser Denken verändert. In Brasilien haben demnach Telenovelas dazu beigetragen, das Rollenverständnis der Frau zu verändern.

Empirisch bleibt es schwierig, das nachzuweisen. Das Fernsehen funktioniert nicht wie ein physikalisches Gesetz, so dass mechanisch auf einen Impuls eine vorhersagbare Reaktion folgt.

Aber auch der Medienpsychologe Jo Groebel ist überzeugt, dass die Nation durch das, was sie auf den Bildschirmen verfolgt, geprägt wird. "Durch Unterhaltungsangebote lernen wir vielleicht noch mehr als in der Schule. Jedenfalls, wenn es um Lebensformen, Wertesysteme und den Umgang miteinander geht", erläutert Groebel auf Anfrage unserer Redaktion.

Immer länger vor dem Bildschirm

Lernen durch das Fernsehen? Die These gewinnt vor allem vor dem dem Hintergrund an Plausibilität, dass die Deutschen immer mehr vor dem Fernseher sitzen. Im Januar meldete Media Control, dass die TV-Zuschauer mittlerweile täglich 223 Minuten vor dem Bildschirm verbringen. Der höchste Durchschnittswert der Fernsehgeschichte. Er ist nicht etwa einem gewachsenen Interesse an politischen Aufklärungsmagazinen zu verdanken, sondern wvielmehr dem wachsenden Erfolg von Unterhaltungs-, insbesondere Castingshows.

Vor allem der Kölner Sender RTL erzielte damit Top-Quoten. Das "Supertalent", "Deutschland sucht den Superstar" und nicht zuletzt das "Dschungelcamp" lockten Millionen vor die Glotze. Schaut man sich an, welches Publikum sich für diese Formate interessiert, so stößt man auf enen überdurchschnittlich hohen Anteil von Jugendlichen. Es braucht keinen Entwicklungspsychologen um zu wissen, dass deren Wertegerüst noch nicht so festgezogen ist wie bei Erwachsenen. Sie sind im Vergleich zu den Alten noch offen für Einflüsse. Eine Umfrage ergab kürzlich, dass sich jeder Dritte Schüler vorstellen kann, einmal ins Dschungelcamp zu gehen.

Die Vorstellung, dass der Dschungel so etwas wie ein Laboratorium für die Veränderung gesellschaftlicher Werte sein kann, fällt dennoch schwer. Wer das annimmt, muss schließlich davon ausgehen, dass sich unser Sozialverhalten mehr und mehr an Castingshow-Qualitäten orientiert. Selbst-Inszenierung, falsche Tränen, Opportunismus, das Demütigen von Versagern und dergleichen. Doch, es gibt gegen ein solches Szenario einen gewichtigen Einwand, auf den auch die Experten hinweisen: Glücklicherweise bleibt dem Zuschauer eine kleine Widerstands-Nische. Er kann nachdenken über das, was er da vorgesetzt bekommt. Und er kann es bewerten.

Die Nachbarschaft ist auch nur ein Dschungel

Das Dschungelcamp lebt nicht zuletzt davon, dass es den Tabu-Bruch zum System macht. Es zwingt das Publikum, sich zu positionieren. Und das tut der Zuschauer bisher, indem er Betrug (Indira und Jay) ebenso abstraft wie unsoziales Verhalten (Sarah). Ob allerdings der ständig wiederholte Tabubruch auch auf lange Sicht beim Zuschauer auf Ablehnung stößt oder ein Gewöhnungseffekt einsetzt, bleibt eine offene Frage. Ähnlich verhält es sich mit der stetig wiederkehrenden Diskussion, ob denn der Dauer-Konsum von Gewalt-Videos und Hardcore-Filmen Jugendliche verrohen und abstumpfen lässt. Die Widerstands-Nische für die Zuschauer - sie wird womöglich enger.

Doch das Dschungelcamp ist mehr als der systematische Tabubruch. Es wäre nicht so erfolgreich, wäre es nicht auch ein Spiegel unserer Welt. Auch Medienpsychologe Jo Groebel weist darauf hin, wenn er sagt: "Das Dschungelcamp 'pflegt' Klatsch und Tratsch, Missgunst und Neid, holt aber auch nur in verdichteter und zugespitzter Form das heraus, was man ehrlicherweise als nicht unübliche Verhaltensweise in Nachbarschaft und Arbeitszusammenhang kennt."Als negativ wertet er, dass in dem TV-Format ein solches Verhalten als medial salonfähig propagiert wird, als positiv, dass "fiese" Verhaltensweisen sofort gebrandmarkt und mit Antipathie oder Abwahl bestraft werden.

So ergibt die Dschungel-Bilanz ein entschiedenes "Sowohl, als auch" - wie bei den meisten Fragen nach den Ursachen des Wertewandels. Die Quintessence bleibt die gleiche. Auch Groebel appelliert am Ende an das Kritikvermögen des Einzelnen: Dass zum Zwecke der Dramaturgie Sarah zum Sündenbock und 'Hassobjekt' der Nation gemacht wurde, findet er problematisch. Sein Fazit: "Selbst wenn sie auch in Echt 'ne Zicke sein sollte: An den Pranger gehört sie deshalb nicht. Hier sollte die Show nicht zu ernst genommen werden."

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