RTL-Castingshow Warum "Rising Star“ auch an den Juroren gescheitert ist

Düsseldorf · Die Casting-Show wird als einer der schmerzhaftesten Flops in die RTL-Geschichte eingehen. Das liegt nicht nur an den mäßigen Leistungen der Kandidaten, sondern auch am mangelnden Mut der vier Experten Sasha, Anastacia, Gentleman und Joy Denalane, mal Klartext zu reden.

Rising Star – Bilder der Jury und der Kandidaten
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"Rising Star" – Bilder der Jury und der Kandidaten

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Die Frage, ob Deutschland noch eine weitere Casting-Show brauchte, scheint beantwortet: nein. Die Quoten für "Rising Star", einem in Israel eingekauften Format, bei dem die Zuschauer per App entscheiden, ob ein Kandidat weiterkommt, sind desaströs. Gerade mal 1,11 Millionen Menschen wollten die Show zuletzt sehen, das entspricht einem für RTL indiskutablen Marktanteil von 5,9 Prozent. Auch bei den jüngeren Zuschauern lief es nur unwesentlich besser.

Nun zieht der Sender die Notbremse und nimmt die Life-Show aus dem Abendprogramm, die bis zum 2. Oktober jeweils donnerstags und samstags laufen sollte. Das bedeutet nicht nur einen immensen Imageschaden für den Kölner Sender, der langsam um die Vorherrschaft bei den jungen Zuschauern bangen muss, sondern stellt ihn auch vor organisatorische Probleme. Schließlich braucht er nun schnell Ersatz. Die restlichen Folgen von "Rising Star", so deutet es ein RTL-Sprecher an, werden irgendwo versendet, wo sie möglichst wenig Schaden anrichten.

Auf den ersten Blick ist das Konzept der Show zwar alles andere als revolutionär, aber durchaus unterhaltsam. Ein Talent hat zwei Minuten Zeit, um die Zuschauer und die vier Juroren von sich zu überzeugen. Die können mit einer App "Ja" oder "Nein" stimmen, wobei die Klicks der Zuschauer jeweils einem Prozent und die der Juroren fünf Prozent entsprechen. Schafft es ein Kandidat, mehr als 75 Prozent Zustimmung zu bekommen, hebt sich eine gewaltige Wand im Studio und er ist eine Runde weiter.

Rhetorische Akrobatik

Der Verdacht, dass Deutschland nach diversen Staffeln "Deutschland sucht den Superstar", "Popstars", "X-Factor" und "The Voice of Germany" langsam leergecastet ist, scheint sich zu bestätigen. Das Niveau der Sängerinnen und Sänger ist allenfalls mittelmäßig. Daran ändern auch die viel zu langen Einspielfilme nichts, in denen die Kandidaten samt Familie, Freunde, Hobbys und Hund vorgestellt werden. Im Gegenteil: Der Versuch des Senders, die Teilnehmer besonders sympathisch darzustellen und so Klicks zu generieren, ist allzu durchsichtig. Oft haben die Sänger schon Fans, die auf der riesigen Wand samt Foto erscheinen, obwohl sie kaum drei Worte gesungen haben.

Dennoch bleibt die Wand bei den meisten am Ende unten. Danach schaltet Moderator Rainer Maria Jilg, der seine Sache solide bis unauffällig macht, zu den vier Juroren Sasha, Anastacia, Gentleman und Joy Denalane. Alle vier sind keine Superstars, haben aber Charterfolge gefeiert und bilden eine durchaus kompetente und sympathische Expertenrunde. Ihre Rolle ist eher kommentierend, da in erster Linie die Zuschauer über das Weiterkommen der Kandidaten entscheiden. Um so enttäuschender, dass es keiner von ihnen fertig bringt, einem schlechten Sänger auch mal ins Gesicht zu sagen, dass er schlecht ist.

Es geht nicht darum, die Kandidaten in Dieter-Bohlen-Manier herunterzuputzen. Allerdings sollten die Juroren ihre Zuschauer schon so ernst nehmen, dass sie aus einem miesen Auftritt nicht mit rhetorischer Akrobatik einen guten machen, der irgendwie leider "nicht ganz gereicht hat". Wenn schon das Publikum einem Sänger kaum mehr als 40 Prozent zugesteht, wüssten sie bei Kritik ja eine Mehrheit hinter sich.

"Ich mag dich als Mensch total gerne"

Stattdessen beginnen vor allem Sasha und Gentleman ihre Kommentare grundsätzlich mit Lob. "Du bist ein super Typ". "Du lebst die Musik." "Ich war ganz bei dir." Wenn man sich als Zuschauer gerade fragt, warum zur Hölle sie dann nicht mit "Ja" gestimmt haben, kommt windelweiche Kritik, bei der sich die "Experten" winden, als müssten sie jemandem ein Todesurteil überbringen. "Irgendwie hat es mich am Ende dann doch nicht so gepackt." "Andere waren einen Tick besser." "Leider hat man dir die Nervosität zu sehr angemerkt."

Joy Denalane und Anastacia trauen sich schon mal, konkrete Kritik am Gesang zu üben, doch auch sie bleiben stets in dem "Du bist trotzdem ganz toll"-Duktus. Natürlich sollte in einer Sendung, einer Live-Show zumal, niemand niedergemacht werden, der sich auf eine derart große Bühne traut. Doch bringt es letztlich auch den Kandidaten nichts, wenn man sie mit netten Worte von der Bühne komplimentiert.

Einige begreifen die Musik, das legen auch ihre Einspielfilme nahe, als lustiges Hobby. Deswegen haben sie in einer Show, die für sich in Anspruch nimmt, einen neuen Star finden zu wollen, nichts zu suchen. Konstruktive, aber deutliche Kritik seitens der Jury ist kein Fall für Amnesty International, sondern sollte im Sinne der Show selbstverständlich sein. Schon die inzwischen abgesetzte Konkurrenz-Show "X-Factor" krankte an den Schmuse-Kommentaren ihrer Juroren, die gleichzeitig Mentoren der Kandidaten waren. Das Gleiche gilt für den Branchenprimus "The Voice of Germany", bei dem nur die "Blind Auditions", bei denen die Juroren allein anhand der Stimme über das Weiterkommen entscheiden, wirklich spannend sind.

Das oberste Gebot einer jeden Fernsehshow lautet: Du sollst nicht langweilen. Doch die immergleichen Jury-Floskeln wie "Ich mag dich als Mensch total gerne" oder "Heute hast du mich nicht überzeugt, aber mach auf jeden Fall weiter!" tun genau das. Vielleicht hat die Vox-Show "Die Höhle der Löwen", in der Jungunternehmer fünf Experten ihre Ideen vorstellen, damit diese bei ihnen einsteigen, auch deshalb drei Mal so viele Zuschauer, weil die Juroren so herrlich Tacheles reden. Der Internetunternehmer Frank Thelen gab zwei jungen Frauen, die online Strickkurse verkaufen wollten, einen Tipp, der auch vielen "Rising Star"-Kandidaten helfen würde: "Hört auf."

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