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"Menschen bei Maischberger" Wenn der Mörder der Tochter nie verurteilt wird

Hamburg · Laut Aussage eines Richters am Bundesgerichtshof sind ein Viertel aller in Deutschland gesprochenen Gerichtsurteile Fehlurteile. Doch wie geht man damit um, wenn sich ein verurteilter Mörder als unschuldig, oder ein vermeintlich Unschuldiger als Mörder herausstellt? Bei Sandra Maischberger gab es am Dienstagabend einen sehr emotionalen Blick auf dieses heikle Thema. Denn auf den Talksesseln saßen vier persönlich Betroffene.

Im ARD-Talk "Menschen bei Maischberger" kamen Menschen zu Wort, die persönlich von juristischen Fehlurteilen betroffen sind.

Im ARD-Talk "Menschen bei Maischberger" kamen Menschen zu Wort, die persönlich von juristischen Fehlurteilen betroffen sind.

Foto: Screenshot ARD

Die Emotionen waren das größte Pfund der aktuellen Sendung von "Menschen bei Maischberger". Denn in Fällen wie denen, die bei Sandra Maischberger ausführlich besprochen wurden, scheint es nahezu unmöglich, sachliche Urteile zu fällen. Doch genau das ist die - schwierige - Aufgabe von Richtern. Einer der Gäste, Rechtsanwalt Wolfram Schädler, sprach gleich zu Anfang das zentrale Dilemma an: "Das Problem ist, dass derjenige, der ein Fehlurteil ausspricht, nicht weiß, dass es eines ist." Dass Richter mit Absicht Fehlurteile aussprächen, sei nach seiner "langjährigen beruflichen Erfahrung völlig ausgeschlossen."

Damit war im Grunde auf der sachlichen Ebene alles gesagt. Auf der emotionalen Ebene folgten dagegen noch viele Worte. Mit ihren vier Gästen, die alle nahe Angehörige wie Kinder oder Ehepartner hatten, die von juristischen Fehlurteilen betroffen sind, sprach Sandra Maischberger in der für sie typischen Art sehr persönlich - und berührte damit die Zuschauer.

"Bevor ich sterbe, möchte ich wissen, wer der Mörder meiner Tochter ist."

Da war zunächst der Fall der Tochter von Hans von Möhlmann. Im November 1981 wurde die 17-Jährige Opfer eines brutalen Mordes. Die Schülerin war als Anhalterin in das Autos eines Mannes gestiegen, vergewaltigt und erstochen worden. Das Gericht verurteilte einen Tatverdächtigen wegen Mordes, sprach ihn jedoch im Revisionsverfahren wieder frei. Jetzt sind neue Beweise gegen den Täter gefunden worden und von Möhlmann und sein Rechtsanwalt Wolfram Schädler wollen versuchen, ein neues Verfahren in Gang zu bringen.

Nach dem Freispruch des Tatverdächtigen habe von Möhlmann gar nicht daran gedacht, dass der Mann vielleicht doch schuldig sein könnte, erzählte er Maischberger. "Ich war gerichtsgläubig", sagte von Möhlmann. Doch der Tod seiner Tochter ließ ihn nicht los, 30 Jahre lang suchte er weiter nach dem Mörder. "Ich bin jetzt fast 70 Jahre alt", sagte er. "Bevor ich sterbe, möchte ich wissen, wer der Mörder meiner Tochter ist."

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Doch obwohl die Beweislage heute eine grundlegend andere ist als beim Urteil in den 80er Jahren, wird es wahrscheinlich nie zu einem Prozess gegen den Mann kommen: Nach deutschem Recht "darf niemand wegen derselben Tat zweimal bestraft werden", erklärte Rechtsexperte Karl-Dieter Möller. Die Ohnmacht, unter der von Möhlmann leiden muss, war für den Zuschauer in diesem Moment beinahe spürbar.

"Ihr Sohn war zu falschen Zeit am falschen Ort."

Auch Werner und Vera Janzen waren persönlich von einem mutmaßlichen juristischen Fehlurteil betroffen. Ihr Sohn wurde 2009 an einem Hamburger S-Bahnhof von zwei Jugendlichen so brutal zusammengeschlagen, dass er später an seinen Verletzungen starb. Der Staatsanwalt klagte die Jugendlichen wegen Körperverletzung mit Todesfolge und versuchten Totschlags an. Der damals 17-jährige Haupttäter kam nach einer ersten Verurteilung mit einer Bewährungsstrafe davon. Später wurde er rückfällig und erneut gewalttätig.

Werner Janzen sagte, dass das Gericht zu milde geurteilt habe. Er glaube, dass die damals angeklagten Jugendlichen seinen Sohn "unter Vorsatz" angegriffen hätten. Doch der Anwalt des Haupttäters appellierte an den Richter, bei dem erst 17-Jährigen an die Möglichkeit der Rehabilitation zu denken. Man solle ihn besser erziehen, statt ihn zu verurteilen. Dem schloss sich der Richter schließlich an. Auch heute, sechs Jahre nach dem Vorfall, verspürt das Ehepaar große Wut auf die Täter und den Anwalt. "Als ich mir vom Gericht anhören musste, mein Sohn sei 'zur falschen Zeit am falschen Ort' gewesen, konnte ich es nicht fassen", sagte Werner Janzen.

"Ich muss wissen, ob mein Mann ein Täter ist."

Wie lebt man als Ehefrau eines verurteilten Mörders? Das konnte die 38-jährige Anja Darsow erzählen. Ihr Mann ist wegen Doppelmordes an einem benachbarten Ehepaar verurteilt. Doch Darsow glaubt an die Unschuld ihres Mannes und kämpft für die Wiederaufnahme des Verfahrens. Sandra Maischberger hakte ein und fragte, ob Darsow als Ehefrau nicht befangen sei. Doch Darsow konnte gut argumentativ begründen, warum ihr Mann ihrer Meinung nach unschuldig sei. Dennoch drangen bei ihr zwischendurch Zweifel an der Unschuld ihres Mannes durch: "Wer nichts tut hat schon verloren. Ich muss wissen, ob mein Mann ein Täter ist."

Was kann getan werden, damit Fehlurteile in Zukunft seltener oder im besten Falle gar nicht mehr vorkommen? Wie kann Menschen geholfen werden, die damit umgehen müssen, dass ihre Angehörigen zu unrecht verurteilt wurden? Und wie kann denen geholfen werden, die damit leben müssen, dass der Mörder ihres Kindes frei herumläuft? Die Runde bei Maischberger zeigte auf eindrucksvolle und berührende Weise, dass eine Antwort auf diese Fragen für die Betroffenen wirklich sehr wichtig wäre - und blieb sie schuldig.

(lsa)
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