Berlin Die Jugendjahre der RAF-Terroristen

Berlin · Der Film "Wer wenn nicht wir" beleuchtet die Beziehung von Gudrun Ensslin und Bernward Vesper.

Der Prolog von "Wer wenn nicht wir" ist ebenso kurz wie eindringlich: Man sieht eine Katze, die ein Vogelnest plündert. Schnitt zum Mittagstisch im Hause Vesper, an dem Mutter Rose (Imogen Kogge) und der kleine Bernward sitzen. Die Suppe wird aufgetragen, der herrische Vater Will (Thomas Thieme) platzt herein und brüllt: "Jetzt reicht's!" Bernward versteckt die Katze im Hühnerstall, wo sie der Vater nachts erschießt und später zu ihm sagt: "Wenn keine Nachtigall mehr singen würde in der Nacht, dann wäre es doch totenstill. Katzen gehören einfach nicht zu uns - sie sind die Juden unter den Tieren." Das ARD-Drama von Andres Veiel beleuchtet, wie die Rote Armee Fraktion (RAF) entstand, und wählt dabei eine ungewöhnliche Perspektive: Es zeigt die Elternhäuser der Terroristin Gudrun Ensslin und ihres Mannes, des Verlegers Bernward Vesper.

Die zumeist guten Schauspieler - August Diehl als Vesper, Lena Lauzemis als Gudrun Ensslin, Alexander Fehling als Andreas Baader, Benjamin Sadler als Walter Jens - mühen sich redlich, doch haben sie für die extreme Entwicklung ihrer komplexen Charaktere viel zu wenig Raum. Viele Fragen - wie: Was treibt sie um? Sind die Eltern schuld? - bleiben leider im Dunkeln. Es hätte völlig genügt, ausschließlich die düsteren Familienverhältnisse und das ausbrechende Anderssein der beiden seltsamen Hauptfiguren zu beleuchten; den sattsam bekannten Rest hat man in Filmen wie "Der Baader Meinhof Komplex" wesentlich besser gesehen. Immerhin basiert das Drehbuch von "Wer wenn nicht wir" ja auf dem spannenden Buch "Vesper, Ensslin, Baader - Urszenen des deutschen Terrorismus" von Gerd Koenen.

Regisseur Andres Veiel (54, "Black Box BRD") hat selbst intensiv recherchiert, doch er will zu viel: Zeitgeschichtliche Doku-Szenen (Eichmann-Prozess, Kuba-Krise, Vietnam-Krieg, Schah-Besuch), eine viel zu lange Zeitspanne, hektische Schnitte und ein didaktischer Überbau machen seinen ersten Spielfilm zu einem merkwürdig uninspirierten Werk mit Längen, über die auch die gute Ausstattung und so manches Jazzstück nicht hinweghelfen. Irgendwie fühlt man sich fast so, als ob man die ganze Zeit in einem Filmvortrag im Uni-Hörsaal sitzt. Der Epilog ist ernüchternd: Die Katze ist zwar tot, aber die Nachtigall singt auch längst nicht mehr.

"Wer wenn nicht wir", ARD, 22.45 Uhr

(dpa)
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