WDR-Doku Wohnen in Duisburg-Marxloh — das Politiker-Experiment

Duisburg · In Duisburg beteiligen sich Lokalpolitiker aus NRW an einer ungewöhnlichen Fernsehsendung. Eine Woche lang wohnen sie im Problemstadtteil Marxloh und wollen dort Verbesserungen erreichen. Die Kameras sind immer dabei.

 Schon beim Frühstück wird diskutiert - vor laufenden Kameras (v. l.): Kathrin Vogler (Linke), Ulrich Scholten (SPD), Manuel Dröhne (Jusos), Luisa-Maximiliane Pischel (Junge Liberale), Klaus Franz (CDU), Paula Marie Purps (CDU-Bundesjugendbeirat) und Lisa-Marie Friede (Grüne Jugend).

Schon beim Frühstück wird diskutiert - vor laufenden Kameras (v. l.): Kathrin Vogler (Linke), Ulrich Scholten (SPD), Manuel Dröhne (Jusos), Luisa-Maximiliane Pischel (Junge Liberale), Klaus Franz (CDU), Paula Marie Purps (CDU-Bundesjugendbeirat) und Lisa-Marie Friede (Grüne Jugend).

Foto: Christoph Reichwein

Es ist 7.58 Uhr. Im Ladenlokal einer ehemaligen Bäckerei in Duisburg-Marxloh brennt Licht. Drinnen sitzen sieben Personen um einen Tisch herum, schmieren sich Brötchen, nippen an ihrem Kaffee, ab und zu fällt ein vereinzelter Satz. Schließlich ist es noch früh am Morgen, und die Nacht war kurz. Mit am Tisch sitzt Lisa-Marie Friede. Zögerlich beißt sie in ihr Brot.

"Ist schon ungewohnt, wenn die Kamera während des Essens auf einen gerichtet ist und so viele Leute daneben stehen", sagt die 22-Jährige. Denn die sieben Bewohner sind nicht allein. Um sie herum steht ein Fernsehteam: Kameraleute, Tonmann, Autoren, Aufnahmeleiter. Willkommen beim Fernsehexperiment.

Eine Woche lang leben die sieben Lokalpolitiker in zwei spärlich eingerichteten Wohnungen in Duisburgs Problemstadtteil. Die Truppe ist bunt gemischt: Jüngste Teilnehmerin ist mit 17 Jahren Paula Marie Purps (CDU/Bundesjugendbeirat für Inklusion), ältestes Mitglied Klaus Franz, 61, CDU-Bürgermeisterkandidat für Bochum. Mit Kathrin Vogler (Linke) sitzt auch ein Mitglied des Deutschen Bundestags am Tisch. Noch bis Sonntag gilt für sie alle: Parteiübergreifend und auf Augenhöhe Verbesserungen im Bereich Gesundheitsversorgung zu erreichen sowie ein Kochprojekt und einen Jugendtreff im Stadtteil zu etablieren. Keine leichte Aufgabe.

Am Sonntag ahnte noch niemand der Teilnehmer, welche Herausforderung man bald vor der Brust haben würde. Sie wussten lediglich, dass man mit Kollegen der anderen Fraktionen für eine WDR-Doku gefilmt werden würde. Das Motto: Anpacken und Macher-Qualitäten zeigen. Das Fernsehteam holte die Politiker vom Düsseldorfer Hauptbahnhof ab — und verfrachtete die Ahnungslosen in einem Kleinbus in Richtung Norden. "Ich war sehr gespannt, wo es hingehen würde", sagt Klaus Franz.

"Als der Blinker auf der A 59 dann an der Ausfahrt Marxloh gesetzt wurde, zeichnete sich ab, was das Ziel ist." Plötzlich herrschte Stille im Bus - denn obwohl kaum einer der Politiker je einen Fuß in den Stadtteil gesetzt hatte, hatte man davon gehört: hoher Migranten-Anteil, Arbeitslosigkeit, Armut, Leerstand.

"Ich habe direkt gedacht: Hat der WDR keine originelleren Ideen? Wir wurden voll ins Klischee geworfen", sagt Kathrin Vogler. Statt ins Hotel ging es zur ehemaligen Bäckerei. Zwei kahle Wohnungen mit Mini-Bad, kleiner Küche, die Zimmer mit Schreibtisch, Bett und Röhrenfernseher ausgestattet. Die Politiker geben sich tapfer: "Man glaubt immer, dass wir mit dem goldenen Löffel im Mund aufgewachsen sind", meint Vogler, "aber das ist nicht so." Zu Studentenzeiten habe man auch nicht anders gelebt, stimmt Ulrich Scholten, SPD-Bürgermeisterkandidat für Mülheim/Ruhr, zu.

Kaum war der erste Schock überwunden, ging es zum Fastenbrechen zur Ditib-Merkez-Moschee — schließlich will man mit den Menschen vor Ort ins Gespräch kommen. "Bis dahin waren die Aufgaben und Themen für uns eher diffus. Wir mussten zunächst herausfinden, wo die Probleme liegen, bevor wir Verbesserungsvorschläge machen", sagt Scholten.

So ganz ohne Ankerpunkt lassen die Macher der Doku die Politiker aber nicht. "Wir haben im Vorfeld mit sozialen und kirchlichen Einrichtungen Kontakt aufgenommen", sagt Simon Pützstück aus der WDR-Wirtschaftsredaktion. "Die Akteure vor Ort sprechen mit den Teilnehmern und geben ihnen Impulse." Drei Tage später hat sich der Einzug in die Politiker-WG im Stadtteil herumgesprochen. Man kommt mit den Menschen ins Gespräch — und erfährt Überraschendes. Zum Beispiel, dass die Marxloher keine Almosen wollen. "Sie wollen nicht abhängig sein und bekocht werden", erfuhr Luisa-Maximiliane Pischel, Kreisvorsitzende im Ruhrgebiet der Jungen Liberalen. "Sie wollen nicht Nehmer sein", bestätigt Scholten.

Auch wenn man sich manchmal uneins ist (Purps: "Wir brauchen einen festen Jugendtreff, da die jungen Mädchen nachts nicht alleine im Freien unterwegs sein wollen"; Franz: "Wir brauchen einen mobilen Jugendtreff, ein fester ist schon öfters gescheitert"), funktioniert die Arbeit der Teilnehmer gut — das Alter und die Partei-Angehörigkeit sind kein Thema. Dennoch sorgt das Fernsehexperiment für Gesprächsstoff in Politikerkreisen. Kein Wunder: So wurde die Stadt Duisburg nicht darüber informiert, dass ortsfremde Politiker im Problemstadtteil "aufräumen" sollen. Im Rathaus gibt man sich zurückhaltend: "Da uns das Format nicht bekannt ist, würden wir uns das Ergebnis erst ansehen, bevor wir eine Bewertung abgeben", heißt es in einer Mitteilung.

Die WG versucht zu beschwichtigen: "Unter den Duisburger Politikern herrscht natürlich Skepsis", sagt Franz. "Sie haben sich bereits umfänglich mit den Problemen in Marxloh befasst. Uns geht es darum, Impulse von außerhalb zu geben und auch selbst für unsere Städte zu lernen." Man wolle niemandem erklären, wie die Welt funktioniert, sagt Ulrich Scholten: "Wir wollen keinen Preis gewinnen, sondern etwas bewegen." Ob und wie gut das klappt, wird bald jeder, der will, erfahren. Schließlich sind die Kameras immer mit dabei.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort