Amsterdam Fünf Dosen Bier als Lohn für Obdachlose

Amsterdam · Die Stadt Amsterdam will alkoholkranke Wohnungslose mit einem neuartigen Konzept von der Straße holen. Gelockt werden die Notleidenden mit Bier. Experten kritisieren, das Vorgehen helfe den Betroffenen nicht.

Die Stadt Amsterdam hat nicht erst seit gestern ein Obdachlosenproblem. Kämpfe, Krach und sexuelle Beleidigungen sind in den Grünanlagen der Stadt an der Tagesordnung. Einer der größten Brennpunkte ist der Oosterpark. Dort bepöbelten die Alkoholiker selbst junge Familien. Szenarien wie diese haben Stadtverwaltung und Bürger satt. Ein neues Konzept soll die Obdachlosen von den Straßen holen. Das umstrittene Prinzip: Bier gegen Arbeit.

Wer an drei Tagen in der Woche jeweils von 9.30 bis 15.30 Uhr die Straße kehrt, erhält fünf Dosen Bier, ein Päckchen Tabak und zehn Euro. So gelang es, Obdachlose zur Zusammenarbeit mit den Behörden zu motivieren. 19 Männer haben sich bereits freiwillig gemeldet. Begleitet wird die Arbeit von einem Sozialarbeiter, der den flüssigen Lohn schon während der Arbeit aushändigt. Am Morgen darf das erste Bier getrunken werden, danach zwei in der Mittagspause, das letzte am Abend.

Bei Experten stößt dieses Vorgehen auf massive Kritik. Der Vorwurf: Die Stadt nutze die Notlage der Süchtigen aus, helfe ihnen aber nicht, ihre Probleme zu bewältigen. Zudem stelle sich die Frage nach der ethischen Vertretbarkeit: Darf man Alkoholkranke mit Bier bezahlen?

Oliver Ongaro, Straßenarbeiter der Düsseldorfer Obdachlosen-Hilfsorganisation "fiftyfifty", reagiert auf das Projekt mit grobem Unverständnis: "Ich bin strikt gegen den zusätzlichen Ausschank von Alkohol. So honoriert man die Suchtkrankheit." Ein Ansatz, die Krankheit zu überwinden, sei das Amsterdamer Konzept nicht. "Das Problem ist die fehlende Perspektive", findet Ongaro. "Viele Obdachlose, die ich betreue, sind geknickt, dass es nicht weiter geht. Ihnen fehlt die Aussicht auf Besserung." Oft trinken sie nur deswegen weiter. "Natürlich will die Verwaltung die Obdachlosen aus den Städten kriegen, aber so funktioniert das nicht", mahnt Ongaro.

Einzig das Bier sei der Anreiz der Süchtigen, nicht der Wille, etwas zu verändern. Ongaro umschreibt das mit dem Begriff "Suchtdruck". "Wir brauchen Alkohol, um zu funktionieren", gesteht ein Teilnehmer der Amsterdamer Initiative. Nur wegen des Alkohols nehme er am Projekt teil, bestätigt er.

Horst Renner, Projektleiter bei der Obdachlosenhilfe Niederrhein, hält die Bezahlung mit Bier ebenso für "fragwürdig", will aber nicht die Augen vor der Realität verschließen. "Die Obdachlosen würden so oder so trinken, egal, ob sie mit Bier bezahlt werden oder nicht. Offenbar sagt man sich in Amsterdam: Warum dann nicht gleich offen?" Renner erklärt: "In Holland gehen die Leute liberaler mit Drogen um. Das sieht man allein an den vielen Coffee-Shops." Renner findet: "Wir sollten nicht mit dem Finger auf Amsterdam zeigen", und verweist auf hiesige Problemlagen: "Hier werden alkoholisierte Obdachlose von Notunterkünften abgewiesen und hilflos zurück in die Kälte geschickt."

(RP)
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