Premiere am Sonntag "Homeland" ist eine TV-Revolution

Der preisgekrönte US-Mehrteiler zeigt die Schattenseiten von Amerikas Krieg gegen den Terror. Am Sonntag feierte die Serie in Deutschland Premiere. Die komplexe Erzählform revolutioniert das Fernsehen. Davon sind deutsche TV-Produktionen noch Lichtjahre entfernt.

Das ist der Emmy-Gewinner "Homeland"
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Die CIA-Agentin Carrie Mathison sitzt auf ihrer Couch und starrt auf den Monitor. Ist der Irak-Heimkehrer Nicolas Brody, der sich wimmernd auf dem Boden seines Schlafzimmers zusammenrollt, ein Kriegsheld — oder ein Terrorist?

Szenenwechsel. Nach einer Scharfschützen-Attacke auf eine Wahlkampf-Party des US-Vizepräsidenten flieht der zweitmächtigste Mann der Welt mit seinen Vertrauten panisch in einen Schutzraum. Zitternd vor Angst steht Brody in der Menge, mit einem Selbstmordgürtel unter seiner Gala-Uniform. Wird er den Zünder betätigen — oder nicht?

Carrie Mathison und Nicolas Brody sind die Hauptfiguren in "Homeland", einer hochgepriesenen und vielfach ausgezeichneten US-Serie. Vom 3. Februar an wird sie auch im deutschen Fernsehen zu sehen sein, bei Sat.1. Der Geschäftsführer des Privatsenders, Nicolas Paalzow, freut sich so sehr über den Coup, dass er "Homeland" die "derzeit beste Serie der Welt" nennt. Und er hat Recht damit.

Das Fernsehen des 21.Jahrhunderts

"Homeland" als Agenten-Serie mit außergewöhnlichem Spannungsbogen zu bezeichnen, wäre maßlos untertrieben. Es geht um mehr, viel mehr. "Homeland" revolutioniert das Fernsehen. Die Serie setzt Maßstäbe für kluges, vielschichtiges, politisches Erzählfernsehen auf der Höhe unserer Zeit — und unserer Ängste. Sie funktioniert im Prinzip wie ein klassischer Bildungsroman, transferiert ins digitale Zeitalter. Sie entwickelt komplexe und gebrochene Figuren; ein Geflecht aus Wechselwirkungen entsteht, das dem Zuschauer einen ständigen Perspektivwechsel anbietet. Natürlich mit allen Zutaten eines atemberaubend schnellen, actiongeladenen, tabubrechenden TV-Plots. "Homeland" ist das Fernsehen des 21.Jahrhunderts.

Die Rahmenhandlung für "Homeland" liefert der Krieg gegen den Terror, zehn Jahre nach dem 11.September. Auf der Meta-Ebene thematisiert die Serie das Spannungsfeld zwischen Freiheitsrechten und Terrorabwehr, in dem sich die westlichen demokratischen Staaten bewegen. Es geht um die Fragen, die uns seit dem Angriff auf die Twin-Towers, den Kriegen im Irak und Afghanistan und der Einrichtung des Terroristen-Gefängnisses Guantanamo beschäftigen: Was macht der Kampf gegen den Terror mit einer Gesellschaft? Was macht Folter mit denjenigen, die sie erleiden, und mit deren Angehörigen? Wem kann man noch trauen?

Eine Handvoll Pillen gegen die täglichen Psychosen

Die manisch-depressive CIA-Agentin Mathison (Claire Danes) steht ihren Job als Jägerin des Al-Qaida-Terroristen Abu Nazir nur durch, weil sie sich täglich eine Handvoll Pillen gegen ihre Psychosen einwirft. Sie verdächtigt den Elite-Soldaten Brody (Damian Lewis), ein Schläfer zu sein. Acht Jahre lang war der US-Marine in irakischer Gefangenschaft. Er wurde in einem dunklen Kellerloch isoliert, gefoltert und von Al-Qaida-Kämpfern einer Gehirnwäsche unterzogen.

Sergeant Brody wird von einer US-Spezialeinheit befreit und kehrt als Held in die USA zurück. Seine CIA-Gegenspielerin Mathison glaubt jedoch, dass er für Abu Nazir arbeitet und einen Anschlag in der Heimat plant. Sie beginnt, auf eigene Faust zu ermitteln, sorgt dafür, dass Brodys Haus mit versteckten Kameras überwacht wird. Die Garage lässt sie jedoch außen vor — ein Fehler, wie zunächst nur der geschockte Fernsehzuschauer erkennt: Bei Sonnenaufgang geht Brody unbemerkt von seiner Familie in die Garage, rollt einen roten Gebetsteppich aus und betet — auf arabisch.

In "Homeland" gibt es kein Gut und Böse, keine echten Helden — und damit auch keine eindimensionale Langeweile. Alle Protagonisten bewegen sich in einer Grauzone, sie sind traumatisierte Figuren in einem vom Anti-Terror-Kampf beherrschten Land. Intrige und Verrat, Verzweiflung und Fanatismus sind ständige Begleiter. Der rote Faden der Serie ist die Lüge: Carrie, die ihre Paranoia ihrem Arbeitgeber verschweigt. Brodys Ehefrau Jessica, die versucht, eine jahrelange Beziehung mit dessen bestem Freund zu verheimlichen. Und natürlich der Elite-Soldat selbst, den sein dunkles Geheimnis fast in den Wahnsinn treibt.

Dreifacher Triumph bei den Golden Globes

In den USA sind sich die Kritiker einig: "Homeland", von Fox 21 für den Sender Showtime produziert, sei die beste Serie der 2010-erJahre, ein würdiger Nachfolger von "The Sopranos", "The Wire" und "Breaking Bad". Das Agenten-Drama war bislang für 36 Fernsehpreise nominiert und hat 25 gewonnen. Bei der Golden-Globe-Verleihung 2013 gewann "Homeland" triumphal in den Kategorien Beste Serie, Beste Serienhauptdarstellerin und Bester Serienhauptdarsteller.

Überhaupt die Schauspieler: Claire Danes, die bislang nur in den Neunziger Jahren neben Leonardo DiCaprio in "Romeo und Julia" auffiel, brilliert als Borderlinerin in Diensten der CIA: Mal ist sie Heldin, mal reif für die Klapse. Der Brite Damian Lewis, bekannt aus "Band of Brothers", spielt den Kriegs-Heimkehrer Brody satanisch undurchschaubar, aber eben auch voller Seelenpein. Ebenfalls grandios: Mandy Patinkin ("Criminal Minds", "Chicago Hope") als unterkühlter, immerhin aber zu Empathie fähiger Vorgesetzter und Mentor Carrie Mathisons. Geschrieben haben die Serie, von der seit 2011 bislang zwei Staffeln in den USA gezeigt wurden (die dritte Staffel soll im September starten), die beiden Top-Autoren Alex Gansa und Howard Gordon, die sich zuvor mit dem Echtzeit-Epos "24" einen Namen machten.

"Homeland" steht für eine TV-Qualität, die bei deutschen Produktionen leider derzeit nicht vorstellbar ist. Während das "New York Magazine" über die "künstlerisch reichste Periode der Fernsehgeschichte" in den USA jubelt, liefern öffentlich-rechtliche und private TV-Sender hierzulande auch nicht ansatzweise Vergleichbares. Und das, obwohl ARD und ZDF mit dem Hinweis auf Qualität und kulturellen Auftrag jedes Jahr mehr als acht Milliarden Euro ausgeben. Die beiden großen deutschen Sender seien "das finanzstärkste Pay-TV der Welt, das man leider nicht abbestellen kann", ätzt "Der Spiegel".

Statt Qualität zählt beim gebührenbezahlten deutschen Fernsehen nur die Quote — mit der Folge, dass die ARD es für angebracht hält, die Nonnen-TV-Serie "Um Himmels Willen" zur besten Sendezeit auszustrahlen, während eines der wenigen deutschen TV-Ereignisse der letzten Jahre, die in Berlin spielende Russenmafia-Saga "Im Angesicht des Verbrechens" von Dominik Graf, vom WDR im Spätprogramm versenkt wurde.

Für ARD, ZDF, RTL, Sat.1 und ProSieben hat das Fernsehzeitalter der komplexen Serien noch nicht begonnen. Wie banal, wie altbacken wirkt ein deutscher TV-Krimi im Vergleich zu den großen Serien des US-Fernsehens. "Tatort" und "Homeland" — das ist wie Regionalliga und Champions League im Fußball.

Mutloser Kleingeist der deutschen Programm-Macher

Warum sind komplexe Serien wie "The Sopranos", "Breaking Bad" und "Homeland" in den USA erfolgreiche TV-Formate, in Deutschland aber nicht? Eine Antwort darauf ist zuallererst beim mutlosen Kleingeist der deutschen Programm-Macher zu suchen. Ein weiterer Grund liegt in der Besonderheit der amerikanischen Fernsehlandschaft. Neben den großen, landesweit ausgestrahlten Sendern wie ABC, NBC oder FOX gibt es viele kleinere Pay-TV-Sender, die sich mit der Zeit durch komplexe Serienformate ein Alleinstellungsmerkmal im Markt erarbeiteten.

Vorreiter war HBO mit den 1999 gestarteten "The Sopranos". Die Serie über das Leben eines Mafiabosses in New Jersey beschränkte sich nicht auf die typische Gangsterstory, sondern rückte die Beziehungen der Mafia-Familie in den Mittelpunkt, zahlreiche psychologische und selbstreflexive Elemente inklusive. "The Sopranos" ist die Mutter der modernen komplexen US-TV-Serie. Wer sowohl "Sopranos" als auch "Homeland" kennt, erkennt die Muster des vielschichtigen Erzählfernsehens wieder.

Barack Obama ist bekennender "Homeland"-Fan

In den USA hat sich im letzten Jahrzehnt ein TV-Publikum gebildet, dass Ansprüche an Qualität und Vielschichtigkeit stellt (in Deutschland muss dieses Publikum leider noch auf DVDs und Downloads ausweichen). Ein prominenter Anhänger des modernen amerikanischen Erzählfernsehens heißt: Barack Obama. Obwohl die Figur des US-Präsidenten kein einziges Mal in "Homeland" vorkommt, noch nicht einmal einen Namen hat (das hielten die Macher nach "Westwing" wohl für überflüssig), ist Obama ein bekennender Fan der Serie. Er empfing die beiden Hauptdarsteller Danes und Lewis sogar im Weißen Haus.

Wie das ablief, erzählte Damian Lewis später in einer TV-Talkshow: Wann er denn dazu komme, "Homeland" zu schauen, habe er den Präsidenten gefragt. Antwort: Samstags, wenn seine Frau Michelle mit den Mädchen Tennis spiele. Dann gehe er ins Oval Office und tue so, als habe er etwas zu erledigen. In Wirklichkeit schalte er "Homeland" ein.

(caf)
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