Kino 2008 Kein Jahr für Superhelden

Düsseldorf (RPO). Es war nicht das Kinojahr der Superhelden: Peitschenschwinger Indiana Jones zwickt der Rücken, Batman verblasst in "The Dark Knight" neben Heath Ledgers brillanten Joker, und Will Smith wankt in "Hancock" als alkoholisierter Superheld über die Leinwand. Keine Spur vom Superheldenglanz vergangener Tage.

2008: Das Kinojahr der gebrochenen Helden
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2008: Das Kinojahr der gebrochenen Helden

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Symptomatisch für den Niedergang des Superheldentums ist Will Smiths erste Szene in der Action-Satire "Hancock": unrasiert und von einer durchzechten Nacht gezeichnet, schläft er an einer lärmenden Hauptverkehrsstraße schnarchend seinen Rausch aus. Währenddessen liefern sich Bankräuber mit der Polizei von Los Angeles eine wilde Verfolgungsjagd. Erst als ein empörter kleiner Junge ihn aufweckt, rappelt er sich widerwillig auf, schnappt sich die nächste Schnapsflasche und legt bei der folgenden Gangsterjagd die halbe Stadt in Schutt und Asche. Kein Wunder, dass die Bürger von Los Angeles es irgendwann satt haben und ihn in eine Entzugsklinik stecken. Natürlich — schließlich sind wir in Hollywood — kriegt Hancock noch die Kurve vom rülpsenden Alkoholiker zum glattgebügelten Vorzeigehelden.

Trotzdem: die Zeiten sind hart, auch für die Übermenschen auf der Kinoleinwand. Strahlende Alleskönner sind out, stattdessen zeigen die Weltenretter weiterhin - wie schon in den Vorjahren die Comichelden Spiderman oder die X-Men - Gefühle.

Pierce Brosnan: Vom Ex-Bond zur singenden Haartolle

Den Kinozuschauern gefällt es offenbar: Heldenfilme waren die Renner an den Kinokassen. Der zweite Auftritt von Daniel Craig als James Bond in "Ein Quantum Trost" ist erst im November gestartet, hat aber bereits 4,5 Mio. Zuschauer angezogen. Der neue 007 ist zwar härter und brutaler als alle seine Vorgänger, leidet aber an gebrochenem Herzen: Auf seiner neuesten Mission sucht er den Mörder seiner Geliebten Vesper aus dem ersten Teil "Casino Royale". "Hancock" schafft es mit 3,8 Mio. Zuschauern auf den dritten Platz, "Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels" und "The Dark Knight" müssen sich mit jeweils 2,8 Mio. Zuschauern begnügen.

Während Daniel Craig als James Bond weiter auf Verbrecherjagd geht, versucht sich ein anderer Ex-007 als Sängerknabe: in "Mamma Mia!" spielt Pierce Brosnan den Ex-Liebhaber von Meryl Streep. 4,1 Mio. Zuschauer wollten die Verfilmung des ABBA-Musicals sehen. Auch Knuddelhelden räumen wie immer beim Publikum ab: 3,2 Mio. Kinder und Erwachsene konnten dem steinerweichenden Niedlich-Blick des einsamen Müllroboters "Wall-E" nicht widerstehen. Die BBC-Dokumentation "Unsere Erde" war sogar der Überraschungserfolg des Jahres: Fast 4 Mio. Zuschauer ließen sich von der bildgewaltigen Liebeserklärung an unseren Planeten in den Bann ziehen.

Kinobetreiber stoppen Abwärtstrend

Der absolute Publikumsliebling war aber Til Schweigers Komödie "Keinohrhasen", die sich gut 6 Mio. Zuschauer trotz brutaler Verrisse in den Filmzeitschriften nicht entgehen lassen wollten. Weit entfernt von den 7,1 Mio. Zuschauern, die der fünfte Harry Potter im Vorjahr erreichte. Aber 2008 gingen dafür wieder etwas mehr Zuschauer in die Kinos als im insgesamt miserablen Vorjahr. Der Boom von Multiplex, Internet und DVD macht den Kinos schwer zu schaffen. Vor allem die kleinen Arthouse-Kinos könnten ohne staatliche Förderprogramme gar nicht überleben.

Dabei hält das Alternativkino auch in diesem Jahr wieder die wahren Kino-Perlen bereit: In "I'm Not There" spielen sage und schreibe sechs Schauspieler, darunter Filmgöttin Cate Blanchett, den legendären Folkrocksänger Bob Dylan. Hollywoodrebell Sean Penn verfilmt in "Into The Wild" mit grandiosen Landschaftsbildern den wahren Fall des Collegestudenten Christopher McCandless, der nach einem Selbstfindungstrip quer durch die USA in der Wildnis Alaskas einen einsamen Tod stirbt.

Wahre Perlen im Arthouse-Kino

Auch Woody Allen findet mit seinem erotischen Liebesreigen "Vicky Cristina Barcelona" im selbstgewählten europäischen Exil wieder zu alter Form zurück. Oscar-Preisträger Bardem hat hier wohl die Traumrolle des Jahres. Als spanischer Maler und Latin Lover Juan Antonio ist er der Geliebte von gleich drei wunderbaren Frauen: Penelopé Cruz, Scarlett Johansson und Rebecca Hall. Eine angemessene Entschädigung dafür, dass er in seiner Rolle als Serienkiller in "No Country for Old Men", für die er den Oscar bekam, die scheußlichste Frisur der Kinogeschichte tragen musste.

Erotik ganz anderer Art gibt es in Andreas Dresens "Wolke 9” zu sehen. Der deutsche Regisseur widmet sich dem Tabuthema der Sexualität im Alter — und trifft damit offenbar den Nerv einer in Würde alternden Gesellschaft.

Deutsche Terroristen treffen französische Postbeamte

Überhaupt — das deutsche Kino mischt wieder mit in der Kinowelt. Immer mehr internationale Großproduktionen werden in Deutschland gedreht, etwa Tom Cruises "Walküre" oder Quentin Tarantinos im nächsten Jahr erscheinender "Inglorious Bastards".

Der aufsehenerregendste deutsche Film dieses Jahres ist neben Dennis Gansels "Die Welle" jedoch "Der Baader-Meinhof-Komplex". Uli Edels 20 Millionen Euro teurer Politthriller bereitet auf Grundlage des gleichnamigen Standardwerks von Ex-Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust den RAF-Terror der 70er Jahre auf. Moritz Bleibtreu, Martina Gedeck, Jan Josef Liefers, Heino Ferch, Bruno Ganz und andere Hochkaräter der deutschen Schauspielerszene spielen sich gegenseitig an die Wand. Herausgekommen ist zwar kein Meisterwerk, aber ein grundsolider politischer Film, der bisher 2,4 Millionen Besucher in die Kinos lockte.

Das Highlight des Kinojahres kommt allerdings aus Frankreich: mehr als 20 Millionen Franzosen rannten ins Kino, um sich bei "Willkommen bei den Sch'tis" die Seele aus dem Leib zu lachen. Seit einigen Wochen beben die Lachmuskeln auch in Deutschland über den Postdirektor aus dem Süden Frankreichs, der unfreiwillig einen Posten in der tiefsten Provinz im Norden antreten muss. Dort stellt er fest, dass das Leben auch in Schlechtwetterregionen mit unverständlichem Dialekt annehmbar sein kann.

Abgesang auf die Ära Bush

Dem US-amerikanischen Independentkino ist hingegen das Lachen vergangen. Kratzen die Blockbusterfilme der letzten Jahre am Glanz der Superheldenuniformen, so fegen die alternativen US-Filmemacher die Scherben der Bush-Ära zusammen: Oliver Stone wirft in seiner Satire "W." noch einen erstaunlich milden Blick auf den unbeliebtesten US-Präsidenten aller Zeiten, während Leonardo di Caprio sich als CIA-Undercoveragent in Ridley Scotts "Der Mann, der niemals lebte" zwischen den Fronten der Globalisierung verirrt. Nicht nur das Independent-Kino, sondern auch der Blockbuster "Ein Quantum Trost" springt auf den Globalisierungszug und nimmt die kommenden Rohstoffkriege vorweg: Nicht mehr ein einsamer, nach der Weltherrschaft strebender Bösewicht ist hier 007s Gegenspieler, sondern der gerissene Netzwerker Dominic Greene, der mithilfe eines weltumspannenden Netzwerks von Geschäftsleuten die Kontrolle über die wichtigsten Wasserreserven der Erde erlangen will.

Einfache Lösungen und Schwarz-Weiß-Malerei helfen nicht weiter in dieser Welt. Nur logisch erscheint deshalb, dass der diesjährige Oscar-Gewinner "No Country for Old Men” der Coen Brothers ein bitterböser Abgesang auf die archaischen Heldenrituale der US-Gesellschaft ist. Es war halt nicht das Kinojahr der Superhelden.

(Quellen für die Besucherzahlen: insidekino, FFA)

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